Der kräftige Anstieg der Lebensmittelpreise in den vergangenen Monaten ist nach Einschätzung des Kreditversicherers Allianz-Trade nicht nur auf die gestiegenen Rohstoffkosten und Energiepreise zurückzuführen. „Es scheint zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen zu geben sowie unzureichenden Wettbewerb in den Bereichen mit besonders starken Preissteigerungen, wie zum Beispiel bei Herstellern von Milchprodukten und Eiern, aber auch bei nicht-saisonalem Gemüse und Obst“, sagte der Branchenkenner. Mehr als ein Drittel der Verteuerung in den vergangenen Monaten könne in Deutschland nicht mit den traditionellen Treibern wie den Rohstoffkosten oder der Entwicklung der Energiepreise werden, sagte Jobst. Europaweit lagen die Lebensmittelpreise Allianz Trade zufolge im ersten Quartal um knapp 15 Prozent über dem Vorjahresniveau, in Deutschland sogar um rund 22 Prozent.
„Wir beobachten, dass insbesondere Lebensmittelhersteller hungrig nach Profiten sind. Sie haben die Preise wesentlich stärker erhöht als die Einzelhändler“, sagte der Allianz Trade-Branchenexperte Aurélien Duthoit. Die Lebensmittelproduzenten hätten in Deutschland 2022 rund 18,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr aufgeschlagen, der Lebensmitteleinzelhandel dagegen „nur“ 12,6 Prozent. Viele Einzelhändler hätten offenbar nicht alle gestiegenen Kosten an die Kunden weitergegeben. Das zeige sich auch in schrumpfenden Bruttomargen vieler Händler.
Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser vom Milchindustrie-Verband (MIV) entgegnet auf Nachfrage der LP diesen Behauptungen mit deutlichen Worten: „Unsere Molkereien waren gezwungen die Preise anzuheben. Ausweislich der Statistiken der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sind die Rohstoffkosten bei Milch explodiert! In 2022 zahlten wir den höchsten Milchpreis der Nachkriegsgeschichte. Dazu kamen Kosten der erweiterten Lieferkette, Energie, Verpackung und Arbeit.“ Insbesondere die Behauptung eines unzureichenden Wettbewerbes sei bei 80 Molkereien im MIV gegenüber vier maßgeblichen Handelsketten nicht nachzuvollziehen.
Auch die Bundesvereiniung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) äußert sich auf Nachfrage kritisch zur Studie. Die Vereinigung betont, dass die Erzeugerorganisationen bei den aktuellen Obst- und Gemüsepreisen keine Gewinnmitnahmen generieren. „Ein Grund für höhere Preise beim Abverkauf an den Lebensmitteleinzelhandel sind in der Regel oft in den Witterungsbedingungen zu begründen. Zum Beispiel bei Gemüse im März 2023: Laut AMI-Frischeindex waren Paprika, Eissalat und Salatgurken aufgrund der kühlen Witterung in den Anbauregionen nicht in den üblichen Mengen verfügbar“, so der BVEO. Außerdem sei laut eigenen Angaben Obst sogar die Warengruppe mit der geringsten Teuerungsrate unter den Frischeprodukten. Auch im April sei der Preisanstieg laut vorläufigen Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) noch unterdurchschnittlich.