Ein Bündnis aus Verbraucher- und Ärzteverbänden fordert von der künftigen Bundesregierung einen besseren Schutz der Kindergesundheit. Jeder siebte Minderjährige in Deutschland sei von Übergewicht oder Adipositas betroffen, teilten der Verbraucherzentrale Bundesverband, das Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, das Deutsche Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund, der Bundesjugendring und die Verbraucherorganisation Foodwatch mit. Besonders Kinder aus ärmeren Familien seien betroffen.
Die Verbände schlagen vier konkrete Maßnahmen vor, die die künftige Regierung in den Koalitionsvertrag aufnehmen soll: Eine Abgabe auf Süßgetränke, Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel, ein kostenloses Mittagessen nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Kitas und Schulen sowie die Streichung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Diese Maßnahmen seien nicht nur sozial gerecht, sondern könnten auch erhebliche Gesundheitskosten einsparen.
„Die gesundheitlichen Folgen von Adipositas und Diabetes sind alarmierend – und die sozialen Folgen und wirtschaftlichen Kosten immens“, erklärte Barbara Bitzer von der Deutschen Allianz nichtübertragbare Krankheiten in der Mitteilung. Allein für Diabetes und seine Folgen entstünden der Solidargemeinschaft jährlich Kosten von etwa 30 Milliarden Euro. „Die Politik muss die Sorgen der Verbraucher ernst nehmen und für spürbare Verbesserungen in ihrem Alltag sorgen“, forderte Michaela Schröder vom Verbraucherzentrale Bundesverband.
Großbritannien und Schweden als Vorbilder
Die Verbände verweisen auf Erfolge in anderen Ländern. In Großbritannien habe eine 2018 eingeführte Süßgetränkeabgabe den Zuckerkonsum bei Kindern deutlich gesenkt. Für Deutschland haben Forscher der TU München berechnet, dass eine solche Abgabe hunderttausende Fälle von Typ-2-Diabetes verhindern und volkswirtschaftliche Kosten von 16 Milliarden Euro einsparen könnte. In Schweden habe ein kostenloses, gesundes Schulessen zur Reduktion sozioökonomischer Unterschiede und zu einem höheren Einkommen im Erwachsenenalter geführt. Deutschland liegt nach Ansicht der Verbände bei der Prävention ernährungsbedingter Krankheiten zurück.
Das geplante Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel war in der zu Ende gehenden Legislaturperiode einer der zentralen Streitpunkte zwischen Lebensmittelindustrie und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter Cem Özdemir (Grüne). Die Gesetzentwürfe aus Özdemirs Ressort gingen weit über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinaus und über das, was die Industrie mitgetragen hätte. In der Frage des Werbeverbotes konnte letztlich kein Konsens gefunden werden.
Die Lebensmittelindustrie wies die Behauptung zurück, wonach ein Zusammenhang zwischen Werbung und Übergewicht wissenschaftlich belegt sei. Der Lebensmittelverband Deutschland gab eine eigene Studie in Auftrag, in der Studien untersucht wurden, die in der Debatte um Werbeverbote immer wieder von Unterstützern zitiert werden. „Nicht nur, dass diese Studien methodische Schwächen aufweisen, nicht selten interpretieren die Befürworter des Werbeverbots die Ergebnisse grob falsch und interessensgeleitet“, hieß es in einer Mitteilung des Verbands.
Hersteller verweisen auf geänderte Rezepturen
Auch die die Einführung einer Zucker-Steuer bei Softdrinks wurde im vergangenen Jahr in Deutschland kontrovers diskutiert. Während Bundesernährungsminister Özdemir sich offen dafür zeigte, stieß der Vorschlag im FDP-geführten Finanzministerium sowie bei Lebensmittel-Branchenverbänden auf Ablehnung. Letztere verweisen darauf, dass Übergewicht und ernährungsbedingte Erkrankungen durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst würden und nicht allein durch den Konsum gezuckerter Getränke. Hersteller verweisen in der Debatte außerdem auf geänderte Rezepturen und eine steigende Anzahl von zuckerfreien Getränken im Markt.
Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist in Deutschland jeder siebte Todesfall auf ungesunde Ernährung zurückzuführen. Die wirtschaftlichen Folgekosten allein für Adipositas belaufen sich den Angaben zufolge jährlich auf mehr als 60 Milliarden Euro.