Halbierte Viehhaltung gefordert Foodwatch nimmt sich nun die Milchwirtschaft zur Brust

Die Verbraucherorganisation Foodwatch nimmt sich die Milchindustrie zur Brust und hat eine Kampagne gestartet. Sie wirft ihr ein klimaschädliches Verhalten und ein Irreführen der Verbraucher vor, fordert mindestens eine Halbierung der Milchvieh-Haltung in Deutschland. Die Branche widerspricht energisch.

Donnerstag, 24. Oktober 2024, 10:37 Uhr
Thomas Klaus
Artikelbild Foodwatch nimmt sich nun die Milchwirtschaft zur Brust
Foodwatch will weniger Kühe: Der Milchindustrie-Verband hält dagegen. Bildquelle: Getty Images

Aus Sicht der Verbraucherorganisation Foodwatch muss die Zahl der fast 3,7 Millionen Milchkühe in Deutschland mindestens um die Hälfte reduziert werden. Deshalb hat die Organisation einen Report erarbeitet und eine bundesweite Kampagne gestartet, die die Milchwirtschaft unter öffentlichen Druck setzen soll.

Milchindustrie ruft zu faktenbasiertem Dialog auf

Die Emissionen der Tierhaltung in Deutschland seien in Wahrheit dreimal höher als von der Milchwirtschaft dargestellt. Durch Umstieg auf pflanzliche Milchalternativen und Renaturierung von Futter- und Weideflächen könnten Emissionen in der Größenordnung von mehr als zehn Prozent der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen verringert werden.

Der Milchindustrie-Verband (MIV) widerspricht gegenüber der Lebensmittel Praxis energisch. Er ruft zu einem „faktenbasierten Dialog“ und zum Auflösen „emotionaler Glaubenskriege“ auf.

Foodwatch behauptet, die deutsche Milchindustrie wolle sich „mit irreführenden Marketing-Kampagnen“ als klimafreundlich zeigen. Dabei trage sie viel stärker zur Klimakrise bei als behauptet.

Deutlich weniger Milchprodukte herstellen und essen

Die Milchlobby versuche mit reichweitenstarken Videos auf Tiktok und Co., eigenen Websites oder Aktions- und Lehrmaterialen für Kitas und Schulen gezielt, das Image der Milchproduktion zu verbessern und „ihre negativen Auswirkungen zu verharmlosen“. Tatsächlich jedoch verursachten Milch und Milchprodukte rund dreimal so hohe Klima-Emissionen wie pflanzliche Alternativen.

Bei der Vorlage des „Milchmärchen“ überschriebenen Foodwatch-Reports sagte Foodwatch-Referentin Annemarie Botzki: „Es geht nicht darum, Milch, Käse oder Joghurt zu verbieten. Aber wenn wir Klima- und Tierschutz ernst nehmen wollen, kommen wir um eine Wahrheit nicht herum: Wir müssen deutlich weniger Kühe halten und deutlich weniger Milchprodukte herstellen und essen.“

Foodwatch spricht von Greenwashing

Der Agrarökonom Dr. Benjamin Bodirsky vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung ergänzte mit Blick auf die Klimabilanz von Milchprodukten, dasswichtige Emissionsquellen oft nicht berücksichtigt“ würden. Zum Beispiel seien in den letzten Jahrzehnten viele Moore in Deutschland trockengelegt worden, um sie als Weideflächen oder zum Anbau von Futtermitteln zu nutzen. Bodirsky: „Durch die Trockenlegung baut sich der Torf ab, der sich dort über Jahrtausende aufgebaut hat – dies führt zu riesigen Emissionen. Die landwirtschaftlich genutzten ehemaligen Moore in Deutschland emittieren etwa sechs Prozent der deutschen Gesamtemissionen, die jedoch in offiziellen Statistiken nicht der Landwirtschaft zugewiesen werden.“

Von der Milchwirtschaft unterstützte Lösungen wie Weidehaltung der Tiere, Spezialfutter oder Effizienz-Steigerung werden von Foodwatch als „Greenwashing“ bezeichnet. So stände zum Beispiel gerade einmal ein Drittel aller Kühe auf der Weide, und das Futter stamme zum Großteil nicht von der Wiese, sondern vom Acker. Zudem sei die Weidehaltung auf entwässerten Moorböden ein „besonderer Klimakiller“.

Verband sieht Milchwirtschaft auf sehr gutem Weg

Spezialfutter könne die Klima-Versprechen ebenfalls nicht einhalten und sei kaum in großem Maßstab umsetzbar, so Foodwatch. Und Milchkühe noch „effizienter“ zu machen sei aus Tierschutzgründen keine Lösung.

Roderik Wickert, Sprecher des Milchindustrie-Verbandes, betont im Gespräch mit der LP: „Die deutsche Milchwirtschaft ist auf einem sehr guten Weg und hat schon viel geschafft. Vor allem arbeitet sie, zusammen mit der Initiative Milch, mit validierten und offiziellen Zahlen.“ Außerdem halte sich die Branche an nationale und internationale Standards.

Kaum ein Land produziert Milch so klimaneutral

Wie Wickert schildert, nimmt die Zahl der Rinder in Deutschland seit Jahren ab und die Emissionen sinken entsprechend. Der MIV konkretisiert: „Die Emissionen der deutschen Landwirtschaften müssen bis 2030 auf einen Stand von 56 Mio. Tonnen ⁠CO₂⁠-Äquivalente liegen. Schon 2023 übererfüllt die Landwirtschaft diese Forderung mit einem Stand von rund 52 Millionen Tonnen CO₂-Äquialenten.“

Ferner produziere kaum ein Land so klimaneutral einen Liter Milch wie Deutschland, hebt Wickert hervor. Für den Klimaschutz hätten landwirtschaftliche Betriebe und Molkereien verschiedene CO₂-Hebel im Betriebsablauf im Auge, wie etwa regenerative Energiequellen, bedarfsgerechte Fütterung oder smarte Fuhrpark-Planung.

Rolle der Milch als gesundes Nahrungsmittel

Eine Reduzierung der Anzahl der in der Landwirtschaft gehaltenen Tiere um die Hälfte sei „das falsche Ziel“. Der Klimawandel sei ein Problem, welches auf einer globalen Ebene angegangen werden müsse. Roderik Wickert formuliert: „Insofern sehen wir eine Abwanderung der Milchindustrie ins Ausland durch eine Selbstbeschränkung der deutschen Industrie kritisch. Dies würde aus unserer Sicht zu einer klimaschädlicheren Milcherzeugung führen als in Deutschland.“

Darüber hinaus unterstreicht der MIV die Rolle der Milch als gesundes Nahrungsmittel mit vielen Nährwerten wie Jod, Kalzium oder den Vitaminen B2 und B12. Der Verband beruft sich an dieser Stelle auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die bei Milch und Milchprodukten zwei Portionen täglich empfiehlt.

Foodwarch-Partner befürwortet zivilen Ungehorsam

Der Foodwatch-Report wurde zusammen mit dem Verein Faba Konzepte erstellt. Die Verbraucherorganisation nennt ihn einen „Thinktank“, eine Denkfabrik. Faba Konzepte propagiert den „Ausstieg aus der Tierindustrie“. Deshalb müsse der Verzehr von Fleisch, Milch und Eiern bis 2030 rapide sinken. In diesem Zusammenhang fordern Vertreter des Verein unter anderem, dass Werbekampagnen für Tierprodukte einzustellen seien. Solche Ziele sollten auch mit „Massenaktionen zivilen Ungehorsams“ wie zum Beispiel Blockaden und Besetzungen von Unternehmen erreicht werden.

Auch ein antikapitalistischer Kampf

Faba Konzepte unterstützt folgerichtig das Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“, das insbesondere Konzerne der Fleischindustrie in den Fokus nimmt und diese enteignen will. Faba-Leiterin Dr. Friederike Schmitz gehörte bei Blockade-Aktionen zum Kommunikations-Team des Bündnisses. Dabei werden nicht nur Tierschutzbelange vertreten, sondern anscheinend auch politische Interessen verfolgt.

Im Selbstverständnis des Bündnisses heißt es: „Wir sind Teil linker Kämpfe und verstehen unseren Kampf daher auch als queerfeministisch, antifaschistisch, antirassistisch und antikapitalistisch. In diesem Rahmen sind wir solidarisch mit allen, die Widerstand gegen die Zerstörung von Klima und Umwelt, gegen die Ausbeutung von Menschen und Tieren leisten.“ 

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