Werbeverbot Gegenwind und Lob für Özdemir-Pläne

Die Initiative von Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne), an „Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel“ zu verbieten, hat heftige Kritik der Lebensmittelwirtschaft und Werbeindustrie hervorgerufen. Christoph Minhoff (Foto), Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands, weist Özdemirs Vorwurf „Geld damit zu verdienen, in dem man die Gesundheit der Kinder ruiniert“ zurück. Es gibt aber auch Befürworter.

Dienstag, 28. Februar 2023 - Hersteller
Markus Wörmann
Artikelbild Gegenwind und Lob für Özdemir-Pläne
Bildquelle: BVE/ Nils Krüger

Christoph Minhoff kritisiert: „Eine solche bösartige Aussage, die eine ganze Branche diffamiert, die über fünf Millionen Erwerbstätige beschäftigt und täglich die Bevölkerung versorgt, ist eines Bundesministers nicht würdig. Dies stellt Cem Özdemir zudem ein erschreckendes Zeugnis über seine Einstellung zu Grundwerten und Grundlagen einer sozialen Marktwirtschaft aus.“ Nach seiner Ansicht folgten nach der Vorstellung des Eckpunktepapiers zum Thema Werbeverbote nur noch schwache Fakten. So hätte der Minister nicht schlüssig dargelegt, was denn für ihn überhaupt „an Kinder gerichtete Werbung“ darstellt und wie sich dieser Terminus genau definiert. Es entstünde vielmehr der Eindruck, als plane er am Ende ein fast generelles Werbeverbot für Lebensmittel. „Cem Özdemir scheint sich über die Tragweite seiner Eckpunkte noch gar nicht im Klaren zu sein. Wenn zwischen 6 Uhr morgens und 23 Uhr abends für Lebensmittel, die den völlig intransparent festgelegten WHO-Kriterien nicht entsprechen, nicht mehr geworben werden darf, betrifft das mehr als 70 Prozent der Produkte. Wenn auch Sport-Sponsering, Social Media-Aktivitäten und Samstagabendshows impliziert sind, wird das weitreichende Folgen für die Medien-, Sport- und Kulturlandschaft in Deutschland haben“, erläutert Minhoff.

Für Solveig Schneider vom Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie gehen die Özdemir-Vorschläge weit über die von den Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag beschlossenen Vereinbarungen hinaus. „Die heute genannten Vorschläge sind nicht verhältnismäßig und zudem verfassungsrechtlich bedenklich, denn einerseits existieren keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Werbeverboten auf die Entwicklung von kindlichem Übergewicht, andererseits greifen die Vorschläge in ihrer praktischen Auswirkung auch auf die Werbung insgesamt ein.“

Die Lebensmittelhersteller berufen sich auf eine Internetrecherche des Max-Rubner-Instituts (MRI) für 17 ausgewählte europäische Länder, die gezeigt habe, dass für Staaten, in denen Produkte mit hohen Fett-, Zucker- und Salzgehalten anhand von verschiedenen Nährwertprofilmodellen eingeordnet und von der Bewerbung ausgeschlossen oder eingeschränkt sind, keinerlei Wirksamkeitsstudien in Bezug auf die Gewichtsentwicklung von Kindern gefunden werden konnten. Gleichzeitig habe das Bundesernährungsministerium in einer parlamentarischen Anfrage vor kurzem deutlich gemacht, dass es bisher keine wissenschaftlichen Studien gibt, die quantifizierbar belegen würden, dass Werbeverbote für bestimmte Lebensmittel zu einer Reduzierung von Übergewicht führen.

Ramona Pop, Vorständin im Bundesverband der Verbraucherzentralen, begrüßt dagegen die Pläne aus dem Bundesernährungsministerium: „Werberegulierungen für ungesunde Lebensmittel wären ein echter Durchbruch für mehr Kinderschutz. Es gibt eine gesellschaftliche Verantwortung, dass Kinder gesund aufwachsen. Seit Jahren sprechen sich führende Wissenschaftler, ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft und auch die Mehrheit der Verbraucher dafür aus, Kinder endlich vor Werbung für zu Fettiges oder Süßes zu schützen. Die kommt häufig mit niedlichen Comics, Bärchen oder Dinos daher, verführt die Kinder am Ende aber immer wieder dazu, zu viel Zucker, Fett oder Salz zu konsumieren.“

„Ernährungsminister Cem Özdemir macht endlich Schluss mit dem von der Bundesregierung jahrelang vorgelebten, erfolglosen Prinzip der Freiwilligkeit. Der Minister nimmt die Lebensmittelindustrie in die Pflicht, die mit aggressiven Marketingtricks Kindern Burger, Süßigkeiten und Limonaden andreht“, heißt es von Foodwatch. Es sei richtig, dass das WHO-Nährwertprofil als Grundlage diene und auch Influencer adressiert würden, die für Kinder Idole und beste Freunde zugleich sind. Wichtig sei auch, dass das Gesetz nicht nur klassische Kindersendungen umfasst: Denn unter den bei Kindern beliebtesten Sendungen ist jede dritte ein Familienformat, also etwa eine Unterhaltungsshow oder ein Fußballspiel.

Wie Özdemir beruft sich auch Foodwatch auf eine Studie der Universität Hamburg, wonach jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Kinder essen demnach etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell seien etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und 6 Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen.

Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft kritisierte eine „untaugliche Verbotspolitik“, die in Kauf nehme, die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend zu beschädigen und den Wettbewerb auszuschalten. Die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger betonten, zur Finanzierung der Presse seien Werbeeinnahmen weiterhin unverzichtbar. Die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU/CSU, Gitta Connemann (CDU) kritisierte „Bevormundung pur“. Nicht Werbung sei das Problem, sondern übermäßiger Konsum.

In der Koalition gab es ein geteiltes Echo. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstützte Özdemir. Oft beginne eine chronische Krankheit in der Kindheit, ungesunde Ernährung sei häufig der Anfang. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch begrüßte den Gesetzesvorschlag. „Wir wollen Kinder besser vor Werbung schützen, damit ungesunde Lebensweisen gar nicht erst normalisiert werden.“ Grünen-Expertin Renate Künast wies auf hohe gesellschaftliche Kosten von Krankheiten hin. Die FDP meldete dagegen erhebliche Einwände an. Fachpolitiker Gero Hocker mahnte, ein Werbeverbot dürfe sich „nicht an willkürlich festgelegten Uhrzeiten orientieren, sondern muss am tatsächlichen Zuschaueranteil von Kindern festgemacht werden“.

Neue Produkte

Viel gelesen in Hersteller

Nachhaltigkeit

Sortiment

Personalien Hersteller

Im Gespräch - Hersteller

Warenkunden

LP.economy - Internationale Nachrichten