Nachhaltigkeit Brasiliens Fleischbranche feilt an ihrem Image

Brasiliens Fleischproduktion wächst von Jahr zu Jahr. Brasilianische Unternehmen erobern immer größere Marktanteile – vor allem in Asien. Gleichzeitig versuchen sie, Europa von ihrer wachsenden Nachhaltigkeit zu überzeugen.

Dienstag, 08. Oktober 2024 -
Santiago Engelhardt
Artikelbild Brasiliens Fleischbranche feilt an ihrem Image
Bildquelle: Getty Images

Die Weltbevölkerung wird bis 2050 voraussichtlich um zwei Milliarden Menschen wachsen. Indien wird dann das bevölkerungsreichste Land der Welt sein, China das zweitbevölkerungsreichste. Aber auch in Lateinamerika und Afrika wird die Zahl der Konsumenten weiter steigen. Die Weltbank prognostiziert, dass der Fleischkonsum in den nächsten zehn Jahren um 14 Prozent steigen wird. Bei Hähnchen sollen es sogar 22 Prozent sein.

Wenn Ricardo Santín auf dem Fleischkongress SIAVIS in São Paulo über solche Prognosen spricht, kann er seine Begeisterung kaum verbergen. Der Präsident des brasilianischen Verbandes für tierische Proteine ABPA sieht sein Land und die von ihm vertretenen Unternehmen vor einer Zukunft als Ernährer der Welt.

Weltmeister beim Geflügelexport

Die Zahlen geben ihm Recht. Brasilien exportiert Fleisch in über 150 Länder und ist damit einer der größten Lebensmittelexporteure der Welt. Vor allem die Branche, die Santín vertritt - die Hühner-, Schweine-, Fisch- und Eierproduzenten – hat in den letzten Jahren große Erfolge erzielt. Brasilien ist nach den USA der zweitgrößte Produzent von Geflügelfleisch und Weltmeister im Export. Bei Schweinefleisch liegt der südamerikanische Riese an vierter Stelle.

Im ersten Halbjahr 2024 exportierte Brasilien 614 Tausend Tonnen Schweinefleisch. Die Volksrepublik China orderte zwar 40 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum, bleibt aber mit 128 Tausend Tonnen Brasiliens bester Kunde, gefolgt von den Philippinen, Hongkong und Chile. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Hühnerfleisch.

Von den 2,58 Millionen Tonnen, die Brasilien exportierte, gingen 614.000 Tonnen nach China. An zweiter und dritter Stelle kommen die Vereinigten Arabischen Emirate, gefolgt von Japan mit 240.000 beziehungsweise 214.000 Tausend Tonnen. Die Europäische Union liegt mit 113.000 Tonnen an achter Stelle.

Brasilien arbeitet hart daran, sein Hühnerfleisch auch nach Indien liefern zu dürfen. Es ist aber auch bereit, seine Fleischlieferungen nach China zu erhöhen, falls die EU wegen der Schweinepest weniger liefern kann oder die USA nach einem Wahlsieg Donald Trumps kein Fleisch mehr in die Volksrepublik liefern. Die brasilianischen Exporte würden nicht von ideologischen Barrieren abhängen, so Santín.

Standortvorteile

Brasilien verfügt über eine Vielzahl von Standortvorteilen, die weit über günstige Arbeitskraft hinausgehen. Der Großteil der benötigten Futtermittel wird von der eigenen Landwirtschaft produziert, sodass nur 2 Prozent der Produktionsmittel importiert werden müssen. Brasilien verfügt nicht nur über 14 Prozent des weltweiten Trinkwassers, seine Fleischindustrie hat in den letzten Jahren auch massiv in Windenergie und vor allem in Photovoltaikanlagen investiert. Die Zulieferer der beiden größten Unternehmen JBS und BRF/MARFRIG beziehen inzwischen rund 60 Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Energien.

Die Wirtschaftspolitik der Regierung Lula ist wie schon bei der Vorgängerregierung stark auf die Landwirtschaft ausgerichtet. Ein Beispiel dafür sind die Bemühungen des Präsidenten und seines Landwirtschaftsministers Carlos Fávaro, weltweit neue Märkte für brasilianisches Fleisch zu erschließen. Fávaro, der selbst Bauer ist, war unter anderem Vizepräsident des brasilianischen Verbandes der Sojaproduzenten (Aprosoja Brasil), bevor er Landwirtschaftsminister wurde.

Brasiliens Imageprobleme

Doch in Europa haben die brasilianischen Fleischproduzenten Probleme: Bilder von brennenden brasilianischen Wäldern zum Beispiel. Die Produzenten des Landes genießen in Deutschland den Ruf, nicht besonders nachhaltig zu wirtschaften. Der Präsident der ABPA reagiert darauf mit Unverständnis. Mit der teilweise kritisierten Rinderzucht haben die Mitglieder seines Verbandes ohnehin nichts zu tun. Sie produzieren Hühner- und Schweinefleisch, Fisch und Eier. Ihre Produkte kämen vor allem aus den drei südlichsten Bundesstaaten Brasiliens, einer Region, die vom durch Abholzung bedrohten Amazonasgebiet so weit entfernt sei wie Lissabon von Moskau, sagt Santín. Zudem habe Brasilien eine der strengsten Umweltgesetzgebungen der Welt. Es sei kein Geheimnis, dass die neue Regierung diese wieder effektiver durchsetzen wolle.

Und doch reicht das nicht, wie der renommierte brasilianische Ökonom Eduardo Gianetti erklärt: „Es reicht nicht, nachhaltig zu sein, man muss auch so wirken.“ Global Player in der Fleischproduktion wie BRF/Marfrig und JBS haben längst erkannt, dass die Weltbevölkerung ein riesiger Markt für ihre Produkte ist, der aber langfristig nur mit nachhaltiger, und somit auch effektiveren Produktionsmethoden bedient werden kann.

Für die Verbraucher bleibt es unverständlich, wie in den letzten 30 Jahren die Weidefläche – trotz eines Produktionsanstiegs von 109 Prozent – um 14,7 Prozent zurückgehen konnte, Bilder von brennenden Wäldern aber weiterhin ihren Weg in europäische Medien finden.

Wald weicht dem Sojaanbau

Eine Erklärung für diesen Widerspruch ist das Phänomen der Grileiros (Grillen), die sich mit Hilfe von kleinen Rinderherden illegal Land aneignen. Bei dieser weit verbreiteten Straftat werden Waldstücke, die öffentlicher Grund sind, abgeholzt, um die Tropenhölzer zu verkaufen. Im Anschluss werden auf diesen freien Flächen Rinder gezüchtet, um den Landanspruch gegenüber den Behörden zu zementieren. Diese Rinder werden schon bald an größere Betriebe verkauft, wo sie gemästet und später an große Schlachtereien weiter verkauft werden. Am Tag der Schlachtung ist das illegal besetzte Land, auf dem die Rinder gezüchtet wurden, schon längst auf legalem Wege verkauft und seinem eigentlichen kommerziellen Zweck zugeführt worden: dem Sojaanbau.

Um zu vermeiden, dass diese Rinder in ihre Lieferkette geraten, arbeiten die großen Konzerne seit Jahren an der Rückverfolgbarkeit. Um die Nachhaltigkeit der gesamten Lieferkette zu gewährleisten, hat JBS eine Datenbank eingerichtet, in der die Viehlieferanten und deren Subunternehmer erfasst werden. Betriebe, die gegen die Nachhaltigkeitspolitik von JBS verstoßen, werden suspendiert. Die Betriebe haben dann die Möglichkeit, sich von einer der vielen Green Offices, die JBS übers Land verteilt eröffnet hat, beraten zu lassen, wie sie zu einem regelkonformen Umgang zurückfinden und JBS wieder beliefern können.

Auch BRF/MARFRIG arbeitet daran, seine Lieferketten transparenter zu gestalten. Mittlerweile sind 100 Prozent der direkten Lieferanten rückverfolgbar. Bei den indirekten Lieferanten sind es 85 Prozent im Amazonasgebiet und 71 Prozent im Cerrado, der zentralen Region Brasiliens.

Viel Potenzial und viel Verantwortung

Ricardo Santín, wurde Ende 2023 zum Präsidenten des International Poultry Council (IPC) – der wichtigsten Organisation der globalen Geflügelbranche – ernannt. Wenn man ihn nach seinem Ziel fragt, antwortet er: „Eine Welt, in der es keine Grenzen für Lebensmittel gibt“.

Laut FAO wird die weltweite Nachfrage nach Lebensmitteln von 2010 bis 2050 um 70 Prozent steigen. Für Fleisch bedeutet dies 200 Millionen Tonnen. Diese Entwicklung bietet große Chancen für ein Land wie Brasilien, dessen Fleischproduktion seit Jahren kontinuierlich wächst. Brasilien verfügt über die größten Süßwasservorkommen der Welt, ein Klima, das bis zu drei Ernten pro Jahr ermöglicht, und viele weitere Vorteile. Doch um diese zu nutzen, muss das Land nicht nur seine Häfen modernisieren, das Straßennetz ausbauen und die Digitalisierung vorantreiben, sondern auch seinen Regenwald schützen. Sonst könnte der Klimawandel dieser beeindruckenden Entwicklung ein Ende setzen.

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