„Die EU plant bis 2040 mit einem rPET-Anteil von 65 Prozent. So bekommen wir keine Kreisläufe geschlossen“, kritisiert Annega die Pläne in Brüssel. Bis zu 80 Prozent Rezyklat-Anteil in Plastikflaschen der Getränkeindustrie in Europa seien realistisch. Ein zweites Problem sei die „Zweckentfremdung“ von rPET, also ein Down-Cycling-Effekt, der durch den Verkauf des Materials an andere Branchen wie die Textil- oder Automobilindustrie entsteht. „Eine Tasche, die zum Teil aus PET-Flaschen hergestellt wurde, lässt sich als nachhaltig vermarkten, aber sie ist es im Grunde nicht, denn aus diesem PET kann nie wieder eine Flasche werden“, veranschaulicht Annega das Problem. Bislang werden laut GVM (Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung) nur 37,7 Prozent recyceltes PET für neue Flaschen genutzt. Der Gerolsteiner-Brunnen verkauft seine Produkte in sowohl Mehrweg (Glas und PET) als auch Einweg-PET zu jeweils gleichen Anteilen. Im Zuge der Corona-Pandemie war ein deutliches Wachstum von Glas zu beobachten. Mit der Inflation rückten auch wieder Einweg-Flaschen in den Fokus der Verbraucher. „Gebindevielfalt ist ein wichtiger Baustein unserer Strategie“, so der Gerolsteiner-Chef.
Wachstum über Markt-Niveau
Was die letzte Performance des Mineralwasser-Marktführers angeht, ist Annega zufrieden. Der Eifeler Brunnen konnte seinen Absatz um 6,6 Prozent und den Umsatz um 7,8 Prozent steigern (Branche: Absatz -1,6 Prozent, Umsatz + 5,1 Prozent, Nielsen, LEH+DM+GAM inklusive Discount, YTD September 2022 vs. Vorjahr). Besonders ausgeprägt sei das Wachstum beim stillen Gerolsteiner Naturell gewesen, das sich hinter Volvic auf Platz zwei in dieser Kategorie vorarbeiten konnte. Positiv bewertet der Gerolsteiner-Geschäftsführer die Preiserhöhungen bei den Preiseinstiegsmarken von 19 auf 25 Cent. „Ein längst überfälliger Schritt und gut für die Kategorie Mineralwasser.“
Wachstumsimpulse sollen in den kommenden Jahren neben Mineralwasser verstärkt aus dem Segment der Erfrischungsgetränke kommen. Hier hatte Gerolsteiner zuletzt mit einem Tee, der mit dem Cold Brew Verfahren hergestellt wird, sowie diversen Limonaden Akzente gesetzt. „Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen. Die alkoholfreien Getränke haben bei uns einen Anteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Wir wollen einen deutlich zweistelligen Anteil erreichen.“ Besonders das beliebte Longneck-Glasgebinde sowie außergewöhnliche Geschmacksvarianten wie „Grilled Lemon Rosemary“ sollen im März 2023 im Markt für Aufmerksamkeit sorgen und neue Käufer ansprechen.
„Licence to operate“
Auch Mineralbrunnen müssen sich immer häufiger gegenüber dem Konsumenten erklären und eine „Licence to operate“, also eine Daseinsberechtigung ihres Unternehmens formulieren. Das zeigt auch das Beispiel der Marke Vittel. Das französische Markenwasser aus dem Hause Nestlé wurde auch aufgrund anhaltender Kritik an der wenig nachhaltigen Produktion und Logistik vom deutschen Markt genommen. Gerolsteiner hatte sich zuletzt verpflichtet, die klimarelevanten Emissionen am eigenen Standort bis 2030 um 59 Prozent zu reduzieren (im Vergleich zu 2016). Dieses Ziel sei schon heute zu 47 Prozent erreicht. Der Dialog mit den Lieferanten, um weitere Einsparungen bei den CO2-Emissionen zu realisieren, verlaufe sehr positiv, so Annega. Mehr Sorge bereite dem Führungsteam beim Eifeler Brunnen das im Zuge der Flutkatastrophe 2021 beschädigte und noch immer nicht vollständig zurückgebaute Bahn-Netz („Eifelstrecke“) sowie eine fehlende Wasserstoffinfrastruktur.
Zur kritischen Debatte um den Erwerb einer „Klimaneutralität“ im Zuge von Kompensationsprojekten (beispielsweise Waldaufforstung und -schutz) in Ländern wie Brasilien und Indonesien, sagte Annega: „Gerolsteiner war der erste Brunnen, der sich zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens bekannt hat. Wir bemühen uns zudem intensiv um eine Reduktion der Emissionen am eigenen Standort. Darüber hinaus gilt: Wir schauen uns regelmäßig an, was Sinn macht und was nicht.“
Im Sommer war bekannt geworden, dass der Händler Rewe seine Eigenmarken nicht mehr mit dem möglicherweise irreführenden Label „klimaneutral“ bewirbt, nachdem es von diversen NGOs Kritik an den Kompensationsprojekten und Vorwürfe des „Greenwashings“ gab. Trotz der Zusammenarbeit mit dem Zertifizierer Climate Partner bewirbt Gerolsteiner seine Produkte nicht explizit als „klimaneutral“ auf den Etiketten.