In Deutschland wird wieder über die zukünftige Mindestlohn-Höhe diskutiert und gestritten. Darüber macht sich zum Beispiel der Handelsverband Deutschland (HDE) Sorgen. Er wertet eine staatliche Lohnfestsetzung als „Gift für unser Land“.
Eindringliche Warnung in gemeinsamer Verbände-Erklärung
Mit Blick auf die Einigung im Koalitionsvertrag und die andauernde Debatte über eine politische Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde warnt der HDE zusammen mit dem Deutschen Bauernverband, dem Deutschen Raiffeisenverband (DRV), dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks, dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall sowie dem Gesamtverband der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände in einer gemeinsamen Erklärung.
Die Warnung bezieht sich auf „weitere – auch indirekte – politische Eingriffe in die unabhängige Entscheidungsfindung der Mindestlohnkommission und deren fatalen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes“.
HDE: Staatliche Einmischungen produzieren nur Verlierer
Erst kürzlich hatte HDE-Präsident Alexander von Preen klargestellt, dass der Verband insbesondere die ausdrückliche Benennung einer möglichen Mindestlohnhöhe von 15 Euro im Jahr 2026 kritisch bewertet. Der HDE-Präsident: „Die Tarifautonomie hat in Deutschland aus gutem Grund Verfassungsrang und muss vor politischen Eingriffen geschützt bleiben. Der Staat hat sich aus der Lohnfindung herauszuhalten, politische Zielmarken für die unabhängige Mindestlohnkommission sind auch in indirekter Form seitens der Politik nicht akzeptabel.“
Der Mindestlohn sei seit 2022 bereits um mehr als 30 Prozent gestiegen. Staatliche Einmischungen beim Mindestlohn produzierten nur Verlierer: Die Wirtschaft, weil sie weiter an Wettbewerbsfähigkeit einbüße und die Menschen, die mit höheren Preisen und wachsender Arbeitsplatzunsicherheit leben müssten.
Verbände: Bereits jetzt erhebliche Stauchungen im Tarifgitter
In der Verbände-Erklärung heißt es unter anderem: „Der rein politisch motivierte Eingriff in zahlreiche Tarifverträge durch eine sprunghafte staatliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Oktober 2022 auf zwölf Euro pro Stunde war extrem problematisch und hat auch bereits zu erheblichen Stauchungen im Tarifgitter vieler Branchen geführt. Zudem ist eine Differenzierung bei den Tariflöhnen von ungelernten Tätigkeiten bereits heute kaum noch möglich. Aber auch die darüber liegenden Tariflöhne mussten in der Folge nach oben angepasst werden, so dass die Lohnkosten insgesamt steigen.“
Außerdem forderten Gewerkschaften üblicherweise auch noch einen Abstand der Tariflöhne zum gesetzlichen Mindestlohn, was als zusätzliches Argument für Lohnsteigerungen in Tarifverhandlungen genutzt werde. Zusätzliche politische Mindestlohnanhebungen würden diese Effekte aus Sicht der Verbände nochmals massiv intensivieren und die Tarifbindung für viele Arbeitgeber dramatisch an Attraktivität verlieren lassen.
Midijobgrenzen-Ausweitung erschwert die Lage
Erschwerend kommt aus Sicht der Verbände noch hinzu, dass zusätzlich ab dem 1. Januar 2023 auch noch die Midijobgrenze auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Einkommen bis zu 2.000 Euro im Monat deutlich ausgeweitet wurde. Dabei handele es sich um eine „Abkehr vom Grundsatz der Parität bei den Sozialversicherungsbeiträgen im Arbeitsverhältnis“, heißt es. Dieser Grundsatz sei über Jahrzehnte von allen Seiten anerkannt worden. In der Folge sei es für Arbeitgeber nochmals zu einem zusätzlichen Personalkostenschub gekommen: „Dies hat vor allem den Dienstleistungssektor mit viel Teilzeit durch zusätzliche Personalkostensteigerung besonders stark getroffen.“
Hoher Mindestlohn schadet dem Ausbildungssystem
Nach Auffassung der Verbände schadet ein hoher gesetzlicher Mindestlohn zudem dem dualen Ausbildungssystem. Denn viele junge Menschen könnten sich dann gegen eine nachhaltige Berufsausbildung entscheiden. Damit wachse der Anteil von Jugendlichen ohne Berufsausbildung und die Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten steige weiter an, während gleichzeitig auf der anderen Seite Ausbildungsstellen unbesetzt blieben.
Die Verbände-Erklärung endet folgendermaßen: „Die kommende Koalition muss liefern, damit die Wirtschaft ihren Job machen kann. Wir stehen bereit – jetzt müssen die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Ein mehr und mehr staatlich gelenkter Mindestlohn gehört sicherlich in keinem Fall dazu.“
Bekenntnis zur Mindestlohnkommission im Koalitionsvertrag
In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich CDU/CSU und SPD zum gesetzlichen Mindestlohn bekannt und zugleich hervorgehoben, wie wichtig eine „starke und unabhängige Mindestlohnkommission" sei. Diese Kommission aus jeweils drei Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der Vorsitzenden Christiane Schönefeld soll sich laut Koalitionsvertrag bei der Festlegung der Mindestlohn-Höhe an der Tarifentwicklung und einem Richtwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar", wird im Koalitionsvertrag fixiert. Zurzeit liegt der Satz bei 12,82 Euro.
In einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ hatte Friedrich Merz davon gesprochen, dass es bei der Mindestlohnerhöhung „keinen gesetzlichen Automatismus geben“ werde. Zum 1. Januar 2026 oder 2027 könne der Mindestlohn bei 15 Euro liegen. Doch die Mindestlohnkommission lege den Satz „in eigener Autonomie“ fest, so Merz. Verabredet worden sei, „dass wir davon ausgehen, dass die Mindestlohnkommission in diese Richtung denkt“.
Juso-Bundesvorsitzender: Grobes Foulspiel der Union
Eine andere Sichtweise haben führende SPD-Politiker. Auf den 15 Euro im kommenden Jahr beharren zum Beispiel der geschäftsführende Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und SPD-Generalsekretär Matthias Miersch.
Tim Klüssendorf, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, sagte dem Nachrichtenmagazin „Stern“ an die Adresse von Friedrich Merz: „Den Koalitionsvertrag in für uns zentralen Punkten, wie der Erhöhung des Mindestlohns, bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung offen anzuzweifeln, hilft an dieser Stelle überhaupt nicht weiter beim so dringend notwendigen Vertrauensaufbau.“ Und der Bundesvorsitzende der SPD-Jugendorganisation Jusos, Philipp Türmer, sprach sogar von einem „groben Foulspiel“ der CDU/CSU.
Klaee Regeln des Mindestlohngesetzes
Die Diskussion ist nicht zuletzt brisant, weil die 358.000 Mitglieder der SPD noch bis zum 29. April zur Abstimmung über den Koalitionsvertrag aufgerufen sind. Die Jusos mit ihren 70.000 Mitgliedern lehnen den Koalitionsvertrag bereits ab.
Die Mindestlohnkommission arbeitet auf der Grundlage des Mindestlohngesetzes. Darin wird festgelegt, dass eine „Gesamtabwägung“ gefordert sei, „welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden“. Laut Gesetz ist für die Mindestlohnkommission die Tariflohnentwicklung der Vergangenheit der Maßstab. Demnach würde der Mindestlohn angesichts eines Tariflohnzuwachses von acht Prozent das nächste Mal lediglich auf zwischen 13,80 und 13,90 Euro steigen dürfen.