Die Mehrheit der EU-Staaten hat für eine Lockerung der Gentechnik-Regeln gestimmt. Die Vertreter der Mitgliedsländer gaben in Brüssel ihre Zustimmung zu einem entsprechenden Kompromiss, wie die polnische Ratspräsidentschaft mitteilte. Dem Vorhaben muss noch das Europaparlament zustimmen.
Der Kompromiss sieht vor, dass künftig Kennzeichnungspflichten für genetisch veränderte Pflanzen gelockert werden sollen. Nach den Plänen müssten Lebensmittel im Supermarkt nicht mehr gekennzeichnet werden, wenn sie Pflanzen enthalten, die mit bestimmten Gentechnikverfahren verändert wurden. Dies betrifft Veränderungen, die auch durch natürliche Züchtungen hätten entstehen können. Die einzelnen EU-Staaten sollen aber nach dem gefundenen Kompromiss den Anbau von stärker veränderten Pflanzen verbieten können.
Deutschland lehnt die Lockerung ab
Deutschland stimmte gegen den Vorschlag. „Wir brauchen ausgewogene und für eine breite Mehrheit tragbare Lösungen. Dies betrifft die Punkte Koexistenz, Transparenz und Wahlfreiheit“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in einer Mitteilung. Der aktuelle Vorschlag reiche nicht aus und müsse in den anstehenden Verhandlungen nachgebessert werden.
Die Pläne waren bereits im Vorfeld auf heftige Kritik gestoßen. Mehr als 200 Organisationen, darunter Bioland und Greenpeace, warnten vor negativen Folgen einer überstürzten Deregulierung. Die Verbände sehen die Wahlfreiheit der Verbraucher sowie die Interessen von Züchtern und Landwirten in Gefahr. „Die Deregulierung neuer Gentechniken bedroht kleine und mittlere Züchter sowie Landwirte, erhöht die Produktionskosten und gefährdet die Sorten- und Saatgutvielfalt“, sagt die Bioland-Züchterin Barbara Maria Rudolf.
Demeter warnt vor Kontrollverlust
Der Bio-Verband Demeter warnt ebenfalls vor den Folgen der Entscheidung. „Mit dieser Entscheidung wendet sich Europa immer weiter von seinen Grundprinzipien der Vorsorge und der Lebensmittelsicherheit ab“, erklärte Jörg Hütter, politischer Sprecher von Demeter, in einer Mitteilung. Der Verband kritisiert besonders die ungeklärte Patentfrage. Wenn künftig nur wenige Großkonzerne Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen besäßen, läge die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung in ihrer Hand.
Verbraucher achten weniger auf Gentechnik-Hinweise
Die Bedeutung der Kennzeichnung von Gentechnik-Produkten hat für die Verbraucher in den vergangenen Jahren allerdings abgenommen. Laut dem Forsa-Ernährungsreport von 2024 legen 64 Prozent der Befragten großen Wert auf einen Hinweis zu gentechnikfreien Lebensmitteln. Vor zehn Jahren waren es noch 83 Prozent.
Befürworter der Lockerungen sehen in der Gentechnik die Chance, Obst und Gemüse zu entwickeln, das besser mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommt oder mehr Ertrag und Nährstoffe liefert. Zahlreiche Wissenschaftler schätzen gesundheitliche Risiken als unwahrscheinlich ein. Die EU-Kommission hatte die Lockerung im Sommer 2023 vorgeschlagen. Wie sich eine neue Bundesregierung zu dem Vorhaben positioniert, ist noch offen.