Nachhaltigkeit Vorstoß der EU-Kommission führt zum Streit in der Wirtschaft

Die geplante umfassende Überarbeitung von EU-Nachhaltigkeitsrichtlinien wird in der Wirtschaft kontrovers diskutiert. Von einem „fatalen Zeichen“ spricht zum Beispiel Geschäftsführerin Dr. Katharina Reuter vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (Foto). 

Donnerstag, 27. Februar 2025, 11:51 Uhr
Thomas Klaus
Lässt kein gutes Haar an der Initiative der EU-Kommission: Dr. Katharina Reuter ist Geschäftsführerin des Bundesverbandes Nachhaltige Wirtschaft. Bildquelle: BNW/Farys

Die Europäische Kommission will im Rahmen eines so genannten Omnibus-Verfahrens die Nachhaltigkeitsrichtlinien Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) für die Lieferketten, Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) für die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die EU-Taxonomie zusammenführen. Das stößt sowohl auf Zustimmung als auch auf Ablehnung.

Der Omnibus-Verordnungsvorschlag wird nun von den EU-Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament geprüft, gegebenenfalls angepasst und anschließend verabschiedet. Dabei ist mit einem langwierigen Verfahren zu rechnen.

Omnibus-Vorstoß mit zahlreichen Bausteinen

Das Omnibus-Verfahren sieht unter anderem vor:

  • Statt für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten soll die CSRD nun erst für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten und entweder einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von mehr als 25 Millionen Euro gelten. Damit würde die Zahl der erfassten Unternehmen um bis zu 85 Prozent reduziert werden. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bleiben komplett ausgenommen.
  • Für Unternehmen, die ab 2026 oder 2027 berichten müssten, soll die CSRD-Berichtspflicht auf 2028 verschoben werden.
  • Bei der CSDDD soll die künftige Prüfung der Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette nur auf direkte Lieferanten begrenzt werden. Kleine Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern werden ganz von den Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette ausgenommen.
  • Die Anwendung der CSDDD-Sorgfaltspflichten wird um ein Jahr auf den 26. Juli 2028 verschoben.
  • Unternehmen können für zivilrechtlich Verstöße nicht mehr haftbar gemacht werden. Betroffene Opfer und zivilgesellschaftliche Akteure wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben kaum noch Klagemöglichkeiten.
  • Die Pflicht zur Beendigung von Lieferbeziehungen bei Verstößen soll entfallen.
  • Die Verpflichtung für die größten EU-Unternehmen, Klimatransitionspläne umzusetzen, soll abgeschafft werden.
  • Im Zuge der EU-Taxonomie können Unternehmen die Nachhaltigkeitskriterien freiwillig anwenden.
  • Mitgliedstaaten dürfen keine strengeren Regeln erlassen. Damit werden CSDDD und CSRD zur maximalen Obergrenze.

Reuter: Massiver Rückschritt für Nachhaltigkeit

Bei den Gegnern hat sich unter anderem Geschäftsführerin Dr. Katharina Reuter vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) eingereiht. Sie behauptet: „Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus entpuppt sich das Omnibus-Verfahren bei näherer Betrachtung als massiver Rückschritt für Menschenrechte, Nachhaltigkeit und als Gift für die Modernisierung der europäischen Wirtschaft.“ Der Vorschlag der Kommission führe dazu, dass Unternehmen künftig weniger Verantwortung für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz übernehmen müssten.

Reuter weiter: „Mit diesem Vorschlag werden die Kernelemente von CSRD und CSDDD zu verwässern versucht, bevor sie überhaupt umgesetzt werden konnten. Das ist ein fatales Zeichen für die verantwortungsbewusst wirtschaftenden Unternehmen und die europäische Nachhaltigkeitsstrategie.“

WWF spricht von massivem Kahlschlag

Für Firmen, die verantwortungsvoll, zukunftsgerichtet und nachhaltig wirtschaften wollten, bedeute das Omnibus-Verfahren eine „Wettbewerbsverzerrung zugunsten derjenigen, die ihren Profit über das Einhalten von Umwelt- und Menschenrechtsstandards stellen“. Darüber hinaus untergräbt diese „Kehrtwende“ nach Auffassung der BNW-Chefin die Glaubwürdigkeit Europas als globalen Vorreiter in Sachen (nachhaltiger) Wirtschaftspolitik. Während die EU bisher Standards gesetzt habe, die weltweit als Vorbild dienten, drohe sie nun, hinter andere Wirtschaftsräume zurückzufallen.

Laura Niederdrenk, Finance-Expertin bei der Naturschutzorganisation WWF Deutschland, schließt sich der BNW-Kritik an. Sie behauptet einen „massiven Kahlschlag bei zentralen Nachhaltigkeitsstandards“ und fragt: „Gerade jetzt, wo wir verlässliche Daten für die Transformation brauchen, soll der Stecker gezogen werden. Wie sollen Unternehmen ohne diese Transparenz zukunftssichere Entscheidungen treffen? Wie sollen Investoren wissen, wo ihr Geld nachhaltig angelegt ist?“

TÜV: EU schießt weit über das Ziel hinaus

Weniger Berichterstattung führe nicht zu weniger Problemen – nur zu weniger Lösungen. Niederdrenk gibt zu bedenken: „Die Klima- und die Naturkrise warten nicht, bis wir uns entschieden haben, ob wir sie ernst nehmen wollen. Umso früher die Risiken einkalkuliert werden, desto resilienter können die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle aufstellen.“

Johannes Kröhnert, Leiter des Brüsseler Büros des TÜV-Verbands, sagt: „Die in der Omnibus-Verordnung vorgeschlagenen Änderungen schießen weit über das Ziel hinaus. Statt einer zielgerichteten Bündelung und Vereinfachung der Berichtspflichten aus den drei bestehenden Rechtsakten senkt die EU-Kommission die Anforderungen im großen Stil ab.“ Die mit den Nachhaltigkeitsregulierungen ursprünglich gesteckten Ziele – mehr Klimaschutz und weniger Menschenrechtsverletzungen – würden damit aufgeweicht. 

HDE: Omnibus-Vorschlag schafft Rechtsklarheit

Kröhnert betont: „Berichtspflichten sind nicht nur Last, sondern helfen dabei, die mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit verbundenen Chancen und Risiken in den Unternehmensaktivitäten zu identifizieren. Letztlich wird dadurch resilienteres, innovativeres und wettbewerbsfähigeres Wirtschaften ermöglicht.“ Zudem führten solche grundlegenden regulatorischen Änderungen auch zu Planungsunsicherheiten und zur Zurückhaltung bei notwendigen Investitionen seitens der Unternehmen.

Zustimmend zum Omnibus-Vorstoß äußert sich hingegen zum Beispiel der Handelsverband Deutschland (HDE). Sein Präsident Alexander von Preen meint: „Der Omnibus-Vorschlag ermöglicht Entlastungen für Handelsunternehmen und schafft Rechtsklarheit. Ein wettbewerbsfähiger Handel braucht diese Vereinfachung, Harmonisierung und Verschlankung der Berichts- und Sorgfaltspflichten dringend.“

Handel unternimmt täglich enorme Anstrengungen

Der Einzelhandel sei eine Branche mit hochkomplexen Lieferketten, sowohl im Lebensmittelhandel als auch im Non-Food-Bereich. Gleichzeitig befinde er sich an der Schnittstelle zu Verbrauchern, die hohe Erwartungen etwa an Produktionsbedingungen und Nachhaltigkeit stellten. „Deutsche Handelsunternehmen unternehmen tagtäglich enorme Anstrengungen, um ihre Sorgfalts- und Berichtspflichten zu erfüllen. Unabhängig von der geltenden Regulierung übernehmen sie soziale und umweltbezogene Verantwortung in ihren globalen Lieferketten“, so von Preen weiter.

Aktuell stünden allerdings viele Unternehmen, die sich auf die Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie CSRD vorbereitet hätten und in diesem Jahr berichtspflichtig wären, vor einer großen Rechts- und Planungsunsicherheit. Von Preen findet: „Händler brauchen jetzt Planungssicherheit, angemessene Vorlaufzeiten und klare Zeitvorgaben, um die umfassenden Gesetzesanforderungen vollständig erfassen, Investitionen tätigen und Prozesse langfristig anpassen zu können.“

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