Immer mehr Unternehmen kommen ihrer gesetzlichen Pflicht, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, nicht nach. Der Anteil der Betriebe, die die vorgegebene Fünf-Prozent-Quote vollständig erfüllen, sei auf einen Tiefstwert gesunken. Das kritisiert die Aktion Mensch.
Anlass für den Weckruf: Heute findet der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen statt, den die Vereinten Nationen ausgerufen haben.
Negativtrend bei der Beschäftigung setzt sich 2024 fort
Die Aktion Mensch bezieht sich auf ihrer diesjähriges „Inklusionsbarometer Arbeit“, das zusammen mit dem Handelsblatt Research Institut erarbeitet wurde. Demnach wirkt sich der konjunkturelle Abschwung erheblich auf den Arbeitsmarkt aus, nicht zuletzt auch auf die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung. So zog die Arbeitslosenquote im vergangenen Jahr an und liegt bei nunmehr elf Prozent. Auch die Anzahl der Arbeitslosen mit Behinderung hat sich erhöht – auf einen Jahresdurchschnitt von 165.725.
Verglichen mit 2022 beschreibt dies zwar nur ein Plus von etwas mehr als einem Prozent. Doch der Negativtrend setzt sich nach Darstellung der Aktion Mensch 2024 fort: Im Oktober lag die Zahl der Arbeitslosen mit Behinderung bei 177.280. Im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt im Jahr 2023 markiert dies einen Anstieg um sieben Prozent.
Deutlicher Rückschritt in Sachen Chancengerechtigkeit
„Zwar spüren alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland die Folgen der Wirtschaftskrise. Aber für Menschen mit Behinderung gehen sie mit einem deutlichen Rückschritt in Sachen Chancengerechtigkeit einher.“ So warnt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch.
Unternehmen mit 20 Mitarbeitern und mehr sind gesetzlich dazu aufgefordert, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Das sind derzeit rund 179.000 Unternehmen, mit steigender Tendenz. „Tatsächlich ist die Anzahl an Arbeitsplätzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung also gestiegen“, so Christina Marx. Die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsquote sei dennoch auf 4,4 Prozent gesunken.
Diversity-Offensive des HDE läuft weiter
Weniger als 39 Prozent der verpflichteten Unternehmen erfüllen nach Angaben der Aktion Mensch die Fünf-Prozent-Quote vollständig. Das ist der niedrigste Wert seit Erscheinen des ersten Inklusionsbarometers. Keinerlei Menschen mit Behinderung beschäftigt noch immer mehr als jedes vierte Unternehmen.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) unterstützt die Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Rahmen seiner „Diversity-Offensive“. Veranstaltungen, Interviews und Best Practices sollen aufzeigen, wie bunt die Brache ist. Gleichzeitig soll für das Thema sensibilisiert werden. Dabei geht es allerdings nicht nur um Menschen mit Behinderungen, sondern um einen breiteren Ansatz, wie er sich unter dem Dach von DEI zeigt.
Diversity, Equity und Inclusion
DEI steht für „Diversity, Equity & Inclusion“. Diversität zielt auf die Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen ab, unabhängig von ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrem Geschlecht, ihren familiären Strukturen, ihrem Alter, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung.
Equity, also Gleichberechtigung, meint insbesondere die Gleichbehandlung der Geschlechter: Frauen und Männer sollten in allen Lebensbereichen die gleichen Chancen und Möglichkeiten erhalten. Und „Inclusion“ umfasst vorrangig die Inklusion von Menschen mit Behinderungen.
DEI-Studie belegt großen Handlungsbedarf
Die Diversity-Offensive des HDE wurde durch eine 2022 publizierte DEI-Studie beflügelt, die der Verband gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland und Google Deutschland vorgenommen hatte. Dafür wurden zwischen Mai und September 2021 sowohl 334 kleine und mittlere Unternehmen (KMU, bis 250 Mitarbeiter) als auch 52 Großunternehmen aus der Handelsbranche befragt.
Dabei ergab sich ein großer Handlungsbedarf. Zum Beispiel hatten lediglich 26 Prozent der größeren Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern angegeben, sich schon mit DEI befasst zu haben. Und für die meisten KMU im Handel war DEI seinerzeit noch kein Begriff. Lediglich ein Viertel kannte das Konzept DEI vor der Teilnahme an der Umfrage.
Auch bei den Großunternehmen noch viel zu tun
Wenig überraschend war es daher, dass sich erst 24 Prozent in ihrem Unternehmen damit beschäftigt hatten. Das könnten bald mehr werden: 55 Prozent der KMU waren der Meinung, dass DEI ein Thema ist, das mittelfristig an Relevanz gewinnen wird.
Auch bei den Großunternehmen gibt es in Sachen DEI anscheinend noch viel zu tun: Die Mehrheit der großen Handelsunternehmen steht aus Sicht der Studienautoren erst am Anfang der Reise und hat noch keine oder erst wenige DEI-Maßnahmen strategisch integriert.
Führungskräfte mit Schlüsselrolle bei DEI-Maßnahmen
Die Studie endete mit mehreren Empfehlungen. So sei erster Schritt zu mehr DEI die Erkenntnis, dass die „richtige Förderung dieser Themen angesichts komplexer globaler Herausforderungen eine Grundvoraussetzung für höheren Unternehmenserfolg, bessere Lösungen und Entscheidungen sowie mehr Innovationen“ sein könne. Strukturelle und kulturelle Hürden müssten identifiziert werden, damit Veränderung möglich werde.
„Klar definierte Rollen und Verantwortlichkeiten rund um DEI im Unternehmen schaffen Sichtbarkeit und rechtschaffende Verbindlichkeit.“ So lautet eine weitere Handlungsempfehlung. Führungskräfte hätten für eine erfolgreiche Umsetzung von DEI-Maßnahmen eine Schlüsselrolle.
DEI als Werte im Unternehmen verankern und sichtbar machen
DEI sollte nicht (mehr) als reines Thema der Personalabteilungen behandelt werden, sondern als „strategische Priorität für das Gesamtgeschäft“. Dabei sei es wichtig, die strukturellen und kulturellen Maßnahmen durch sinnvolle und messbare Leistungskennzahlen zu steuern. Diese würden idealerweise von der gesamten Organisation getragen werden.
DEI müsse im Unternehmen als Werte verankert und durch kontinuierliche Kommunikation sichtbar sein, wird ebenfalls empfohlen. Die Beschäftigten sollten die Möglichkeit und den Raum für persönliches Engagement bekommen.