Der Druck auf die traditionsreiche deutsche Küstenfischerei wird größer, die besorgten Stimmen werden lauter. Die Fischer werden unter anderem mit härteren Fangbeschränkungen im Zuge der Überfischungsdebatte und strengeren politischen Vorgaben etwa zur Art der Netze konfrontiert. Offshore-Windparks begrenzen ihren Radius. Steigende Energiepreise und Nachwuchsmangel setzen der Branche ebenfalls zu.
Warnende Worte kamen zuletzt von Till Backhaus, Agrarminister von Mecklenburg-Vorpommern. Der SPD-Politiker berichtete während eines Fachsymposiums im Rahmen der Landwirtschaftsausstellung MeLa in Mühlengeez im Landkreis Rostock, dass die Fangmengen in der Ostsee 2023 auf den bisher geringsten Stand seit 2014 zurückgegangen seien.
Beim Heringsfang wurden aus 9.400 Tonnen 2014 nur noch 229 Tonnen im vergangenen Jahr. Der Dorsch ist der für die Ostsee zweitwichtigste Fisch. 1.200 Tonnen wurden 2014 angelandet. Durch ein Fangverbot waren es 2023 noch lediglich zwölf Tonnen – und das auch nur, weil sie als Beifang in die Netze gegangen waren. In diesem Zeitraum sanken die Erlöse der Küstenfischer von mehr als 10 Millionen auf 3,5 Millionen Euro.
Backhaus betont: „Mecklenburg-Vorpommern arbeitet hart daran, um neue Perspektiven für die Branche zu schaffen. Wichtig ist aber, dass die eigentliche Fischerei nicht völlig in den Hintergrund gerät.“ Hier geht es nach Auffassung des Ministers nicht zuletzt um ein „schützenswertes Kulturgut“. Denn: „Fischkutter in den Häfen und das Angebot an hochwertigen Fischspezialitäten an Ständen und in Restaurants gehören zur Ostseeküste.“ Allerdings: Der Schutz dieses Kulturgutes und das Ringen um die Zukunft der Küstenfischerei werde immer schwieriger, weil die Fischerei in der Bundesrepublik eine „eher schwache Lobby“ habe.
Große Fortschritte beim Zukunfts-Kutter
Ähnlich dramatisch wie an der Ostsee ist die Situation an der Nordseeküste. Von dort soll ein wichtiger Beitrag zur Problemlösung kommen.
Das staatliche Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven greift das Problem auf, dass das Durchschnittsalter der zum Beispiel beim Krabbenfang eingesetzten Kutter bei 40 Jahren liegt. Das ist deutlich zu alt für den technisch und wirtschaftlich sinnvollen Einbau klimaneutraler Schiffsantriebe. Doch an denen führt auf längere Sicht angesichts der immer strengeren Öko-Vorgaben seitens der Politik kein Weg vorbei. Da liegt es nahe, an einem „Fischkutter der Zukunft“ zu tüfteln – und genau das passiert zurzeit.
Dabei wurden bereits große Fortschritte erzielt, wie Dr. Gerd Kraus im Gespräch mit der Lebensmittel Praxis berichtet. Der Biologe leitet das Thünen-Institut für Seefischerei. Am Institut ist das Projekt „Energieeffiziente zukunftsweisende Küstenfischerei“ angesiedelt. Unter seinem Dach wurde ein „hoch innovatives Küstenfischerei-Fahrzeug“ geplant. Nun kommt es nach Darstellung von Gerd Kraus darauf an, dass tatsächlich ein Prototyp gebaut und in der Praxis erforscht wird. Dafür sollen Bundesmittel locker gemacht werden. Wann genau der Startschuss für den „Fischkutter der Zukunft“ ertönt, ist jedoch noch unklar. „Zeitnah“, hofft Kraus.
Rund zwei Millionen Euro würde ein einzelner Kutter der neuen Dimension kosten. Das wäre zu viel Geld für das Budget eines Fischers. Gerd Kraus ist sich sicher: „Erst der Bau einer Kleinserie von ungefähr fünf Fahrzeugen wird die Kosten so reduzieren, dass für Fischer eine Investition in ein solches Fahrzeug betriebswirtschaftlich machbar ist.“ Allerdings werde auch das in der „aktuell krisenhaften Situation der Fischerei“ ohne Unterstützung des Staates nicht funktionieren.
Besagtes „Küstenfischerei-Fahrzeug“ ist 19,5 Meter lang und 5,90 Meter breit. Es hat zwei Meter Tiefgang. Bewusst wurde es so groß konzipiert, dass eine Null-Emissions-Antriebstechnik und Tankkapazitäten für künstliche Kraftstoffe untergebracht werden können.
Darüber hinaus sollen die neuen Kutter auch dank ihrer Größe neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Kraus spricht beispielhaft von Korbfischerei nahe der Offshore-Windparks und dem Tourismus: Künftig könnten Fischer auch mit Gästefahrten und Seebestattungen mehr Geld verdienen.
Fischer und Wissenschaftler Hand in Hand
Umweltfreundlich wird das Schiff mit Methanol angetrieben. Ein Elektromotor mit zwei großen Stromgeneratoren und einem kleinen Generator ist zu- und wegschaltbar. Wasserstoff sei an Bord von Fischereifahrzeugen nicht realisierbar, sagt Gerd Kraus und verweist auf fehlenden Platz für den großen Drucktank.
Das Ruderhaus findet sich vorne – auch im Sinne eines besseren Wetterschutzes: die Unterkünfte sind im Vordeck angeordnet. Der Laderaum soll 330 Standard-Fischkisten aufnehmen.
Geplant wurde nicht am grünen Tisch, sondern im engen Austausch mit Küstenfischern. Die Initiative für die Entwicklung eines modernen Fischkutters stammt von Hilke Looden. Die frühere Fischereiberaterin bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen ist heute Bürgermeisterin der ostfriesischen Gemeine Krummhörn, zu der auch der Kutterhafen Greetsiel zählt. Verheiratet ist sie mit einem Krabbenfischer. Der und knapp 30 Berufskollegen brachten ihre Vorstellungen in den Entwicklungsprozess ein.
Damit der Prototyp kein Wunschdenken bleibt, kooperiert das Thünen-Institut eng mit der Hochschule Emden-Leer. Die Hochschule soll sich um die schiffbauliche Seite kümmern, während sich das Thünen-Institut mit der Wirtschaftlichkeit und fischereitechnischen Gesichtspunkten des Kutters beschäftigt.
Parallel dazu soll ein weiteres Projekt beim Thünen-Istitut für Ostseefischerei angesiedelt werden. Das befasst sich mit dem Bau und Testbetrieb kleinerer, elektrisch betriebener Fischereifahrzeuge insbesondere für den Tagesbetrieb in der Ostsee und im sehr küstennahen Bereich.