In der Lebensmittel- und Ernährungsbranche wird weiterhin über den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD diskutiert. Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen hat sich zum Beispiel der Deutsche Brauer-Bund (DBB) als Spitzenverband der Brauwirtschaft geäußert. Die Stellungnahme fiel insgesamt positiv aus.
DBB: Begrenzung der Handelsmacht begrüßenswert
„Viele Entscheidungen weisen in die richtige Richtung. Jetzt kommt es darauf an, dass die neue Regierung ihr Programm zügig umsetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Das erklärt DBB-Hauptgeschäftsführer Holger Eichele. Die Zuspitzung internationaler Krisen und die anhaltende Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft erforderten Mut und Entschlossenheit, fügt er hinzu.
Positiv bewertet der DBB das geplante Sofortprogramm für einen umfassenden Bürokratieabbau ebenso wie die vorgesehenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.
Die Absicht der Koalition, die Marktmacht des Handels weiter zu begrenzen und unfaire Handelspraktiken entschlossener einzudämmen, sei ebenso zu begrüßen wie die Entscheidung, die Gastronomie in schwierigen Zeiten duch eine geringere Mehrwertsteuer dauerhaft zu unterstützen.
Brauer sehen größten Handlungsdruck bei Energiepolitik
Licht und Schatten erkennt der DBB beim Blick auf die Pläne von Union und SPD zur Finanz- und Steuerpolitik: Sonderabschreibungen für drei Jahre von bis zu 30 Prozent seien durchaus ein attraktives Instrument. Jedoch greife die Senkung der Unternehmenssteuern zu spät.
„Die neue Bundesregierung muss alle Möglichkeiten nutzen, um Unternehmen zusätzlich zu entlasten, sie wettbewerbsfähig zu machen und die Förderung von Investitionen zu stärken“, so Eichele. Den größten Handlungsbedarf sieht der DBB bei der Energiepolitik: Zwar sei die schnelle Entlastung von Wirtschaft und Verbrauchern von zu hohen Energiekosten ein wichtiges Signal. Die Koalition müsse ihre Beschlüsse zu Stromsteuer, Netzen oder Gasumlage aber nun schnellstmöglich umsetzen.
Spargel- und Beerenverbände halten Mindestlohn-Plus für gefährlich
„Wenn wir langfristig sichere und bezahlbare Energie haben und die Klimaziele erreichen wollen, brauchen wir ein belastbares Gesamtkonzept. Das fehlt nach wie vor.“ Das kritisiert Eichele. Für die fast 1.500 überwiegend mittelständischen und handwerklichen Brauereien in Deutschland sei die Energiewende mit enormen Investitionen verbunden. Für manche Prozesse seien die nötigen Technologien überhaupt noch nicht entwickelt. Holger Eichele: „Bisher hat die Politik keine Antwort auf die Frage, wie es gelingen kann, diese Herausforderungen zu bewältigen.“
Das Netzwerk der Spargel- und Beerenverbände kritisiert am Koalitionsvertrag vor allem die anvisierte Erhöhung des Mindestlohns um 17 Prozent auf 15 Euro pro Stunde ab 2026. Diese gefährde den Produktionsstandort für Gemüse und Obst in Deutschland, heißt es. Das Netzwerk der Spargel- und Beerenverbände warnt vor einem „unumkehrbaren Verlust an landwirtschaftlichen Betrieben und einer weiteren Zuspitzung des Mangels an Nachfolgern für die Hofübernahme“.
Mindestlohn für die Landwirtschaft einfrieren
Simon Schumacher, Vorstandssprecher des Verbands Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer (VSSE) und Ansprechpartner für Arbeit, Recht und Soziales im Netzwerk der Spargel- und Beerenverbände, erklärt: „Immer mehr Betriebe geben die Spargel- und Erdbeerproduktion auf. Mittlerweile müssen wir das sogar von Betrieben erfahren, von denen wir das nie erwartet hätten. Betriebsleiter äußern sich nun öffentlich, warum sie den Betrieb aufgeben und warum sie ihren Kindern von der Hofübernahme abraten. Bis vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.“
Folgerichtig müsse der Mindestlohn von 12,82 Euro für die Landwirtschaft eingefroren werden, fordert Schumacher. Denn Lohnkosten für Aushilfskräfte machten bis zu 60 Prozent der Betriebsausgaben aus und hätten sich seit 2015 fast verdoppelt.
BNN kritisiert Streichen des 30-Prozent-Bio-Ziels
In Spanien sind die Produktionskosten laut Schumacher bezüglich des Mindestlohns beispielsweise um ein Drittel günstiger. Und in Griechenland sei die Produktion mit 44 Prozent der Produktionskosten um mehr als die Hälfte günstiger. Gleichzeitig gebe es in Deutschland mehr Auflagen zu den Produktionsstandards.
Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) begrüßt, dass die neue Bundesregierung die besonderen Nachhaltigkeitsleistungen von Bio in ihrem Koalitionsvertrag anerkennt. Gleichzeitig kritisiert der Verband die Streichung des 30-Prozent-Ziels für den Ökolandbau bis 2030 sowie das „Fehlen langfristiger Perspektiven für eine nachhaltige und demokratische Gestaltung der Zukunft von Land- und Lebensmittelwirtschaft“.
Jäckel verurteilt Grundhaltung des Koalitionsvertrages
BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel formuliert: „Es ist richtig und wichtig, dass Bio im Koalitionsvertrag explizit als Innovationstreiber genannt wird. Doch der Vertrag ist vor allem dort, wo klare Zukunftsstrategien gebraucht würden, mutlos.“ Die Streichung der 30-Prozent-Bio-Zielmarke bis 2030 sei ein Rückschritt. Grund: „Ohne klare politische Zielbilder fehlt den vielen engagierten Betrieben in Landwirtschaft, Verarbeitung und Handel die notwendige Planungssicherheit.“
Wer Bio wirklich stärken wolle, müsse auch diesen unabhängigen Bio-Fachhandel und die damit verbundene Vielfalt gezielt fördern und einbinden.
Neben der agrar- und wirtschaftspolitischen Perspektive äußert der BNN auch deutliche Kritik an der Grundhaltung des Koalitionsvertrags. Kathrin Jäckel meint: „In einer Zeit, in der demokratische Grundwerte unter Druck geraten, enthält dieser Koalitionsvertrag keinerlei Bekenntnis zu einer wehrhaften Demokratie. Als Verband stehen wir für Menschenwürde, ökologische Verantwortung und Vielfalt – und kritisieren diese Tatsache daher ausdrücklich.“
Foodwatch: Wunschliste der Industrie wurde abgearbeitet
Die Verbraucherorganisation Foodwatch wirft CDU/CSU und SPD vor, sie hätten die „Wunschliste der Industrie“ abgearbeitet. Dass die künftige Bundesregierung „vor der Wirtschaftslobby einknicken“ würde, kritisiert in ähnlichen Worten die Menschenrechtsorganisation Oxfam. Sie bezieht sich auf die Abschaffung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Oxfam-Expertin Franziska Humbert empört sich: „Mit der Abschaffung würde sich die neue Regierung auf die Seite der Ausbildung stellen – und gegen den Schutz von Kindern, Umwelt und Menschenrechten.“