Lieferkettengesetz Als Werkzeug optimal nutzen

Die Ausgestaltung des deutschen Lieferkettengesetzes wird klarer und bringt Überraschungen mit. Welche Forderungen und Sorgen die Produzenten im Globalen Süden haben.

Samstag, 09. September 2023 - Hersteller
Bettina Röttig
Artikelbild Als Werkzeug optimal nutzen
Bildquelle: Fairtrade

Schreck statt Sommerloch: Rund acht Monate nach Inkrafttreten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) überrascht eine neue Handreichung mit Details zur Ausgestaltung der Beziehungen zwischen hiesigen Unternehmen und ihren Lieferanten. Die Essenz: Laut Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) stellen „verpflichtete Unternehmen teilweise (zu) weitreichende Forderungen gegenüber ihren Zulieferern“. Das neue Papier soll aufzeigen, wozu verpflichtete Unternehmen ihre Zulieferer auffordern können - und wozu nicht (s. Kasten Seite 56). Die strengeren Auslegungen geben einen Vorgeschmack auf das europäische Gesetz.

„Lieferkettengesetze sind Werkzeuge zum Bündeln der Kräfte“

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist in der erste Stufe seit Anfang 2023 in Kraft, das europäische Gesetz ist in Vorbereitung. Wie ist die Sicht der Produzenten im Süden? Wie verändert sich ihre Arbeit und die von Zertifizierungsorganisationen wie Fairtrade? Die Lebensmittel Praxis sprach hierzu mit Claudia Brück, Vorständin Fairtrade Deutschland, und Aida Portillo, Human Rights Coordinator CLAC (Fairtrade Latein Amerika)

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Welche Chancen und Schwächen sehen aktuell die Produzenten im Globalen Süden in den Lieferkettengesetzen? Diese Frage richtete die LP an Fairtrade und Südwind e.V.

Friedel Hütz-Adams, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Südwind-Institut, sieht durch den Druck der Gesetze erste Fortschritte beim Aufdecken von Risiken: „Im Lebensmitteleinzelhandel kommen mehr und mehr Beschwerden über Menschenrechtsverstöße in Lieferketten an, und diese werden nun viel ernster genommen, da sich nicht mehr nur die Nachhaltigkeitsabteilungen damit beschäftigen müssen, sondern auch der Einkauf und bei gravierenden Verstößen die Rechtsabteilungen“.

Einen Einfluss hat das LkSG bereits auf die Arbeit der Organisation Fairtrade - im globalen Norden wie Süden. „Die allermeisten Ziele des Gesetzes adressieren wir bereits seit 30 Jahren, auch haben wir bereits Beschwerdemechanismen eingeführt. Neu ist es, unsere Arbeit in die Logik des Lieferkettengesetzes zu bringen und die Dokumentation der Maßnahmen anzupassen“, erläutert Claudia Brück, Vorstand Fairtrade Deutschland. Die Organisation hat Risk Maps für die einzelnen Lieferketten für Kaffee, Tee, Bananen etc. erstellt. Aktuell werden die Standards überarbeitet. Zudem gilt es, die Produzenten mitzunehmen. „Wir müssen die Hintergründe und Anforderungen durch die Lieferkettengesetze richtig übersetzen und in verdaulichen Dosen erklären. Unsere Botschaft dabei: Keine Panik! Ihr setzt die Maßnahmen bereits um, es geht vor allem darum, diese in die HRDD-Logik zu bringen und richtig zu dokumentieren“ erklärt Aida Portillo, Human Rights Coordinator CLAC (Fairtrade Latein Amerika). Aktuell gehe es vor allem um die Bewusstseinsbildung, den Aufbau von Kapazitäten und die Entwicklung von Werkzeugen, um die Produzenten zu unterstützen

Ende 2024 sollen alle vier übergeordneten Standards überarbeitet sein. Am Beispiel Kinderarbeit erklärt Brück Änderungen. „Wir bekämpfen dieses Risiko seit Jahrzehnten, haben Vorkehrmaßnahmen eingeführt. Ganz lässt sich das Risiko aber nicht vermeiden, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Neu ist, dass wir künftig sicherstellen, dass wir weltweit immer dem gleichen Protokoll folgen, wenn es zum Beispiel um Verstöße gegen Kinderarbeit geht.“

Kostenteilung für Zusatzaufwand nötig
Wie viele Stunden aufgewendet wurden und werden, um die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes in den Fairtrade-Standards zu verankern und vor Ort umzusetzen, sei unmöglich zu sagen. Der Aufwand für Pilotprojekte wie die Erstellung der Risk Maps sei enorm, müsse aber im gleichen Maße nicht immer wieder neu geleistet werden, so Brück.

Sowohl auf Fairtrade-zertifizierten Farmen und Organisationen, als auch darüber hinaus teilten die Produzenten die gleichen Sorgen in Verbindung mit den Lieferkettengesetzen, berichtet Portillo. Dazu gehörten existenzsichernde Einkommen und eine faire Kostenteilung der zusätzlichen Aufwände. Aktuell befürchteten die Produzenten, dass sie ihr zu knappen finanziellen Ressourcen noch weiter strapazieren müssen und sich ihre Situation verschlechtert statt verbessert, weiß sie und betont: „Es muss eine faire Verteilung der Risiken geben.“

Daher müssten nicht nur Produzenten sondern auch die Händler und Abnehmer Anpassungen vornehmen, betont Brück. „Wenn mehr Unternehmen nach den Gesetzen handeln, und in die Lieferketten investieren, werden diese resilienter und wir werden in den Produzentenländern mehr erreichen“, meint sie. Die größte Herausforderung dabei: „Wie können wir zu einer fairen Kostenteilung kommen, wenn wir nicht den Preis des Zusatzaufwands kennen?“, gibt Brück zu bedenken.

Die wesentlich detailliertere Erfassung der Lieferketten sei sicherlich verglichen zu früher ein höherer Aufwand. Sie könne jedoch zugleich als Werkzeug dienen, über das bessere Verständnis der Lieferkette Lieferrisiken rechtzeitig zu erfassen, meint Hütz-Adams.

Dass Unternehmen Lieferkettengesetze als Chance und Werkzeug für ein Bündeln der Kräfte sehen sollten, dafür plädiert Portillo: „Die Angst vor dem Lieferkettengesetze teilen alle am Anfang und am Ende der Lieferkette – Produzenten wie Händler und Verarbeiter. Meine Message: Habt keine Angst! Alle haben das gleiche Ziel: Die Menschenrechte zu sichern. Aber keine Seite kann dieses allein erreichen. Die Gesetze sind ein Werkzeug, um die Kräfte zu bündeln und die Probleme zu lösen.“

Vielfalt der Lieferketten mindert Risiko
Dass sich Lieferströme durch die Gesetze verändern und Unternehmen Rohwaren in risikoärmeren Ländern sourcen könnten, sei eine weitere große Sorge der Produzenten, weiß Aida Portillo. „Die Gesetze müssen auch dahingehend klar sein, dass die Händler eine indirekte Verantwortung haben und ein sogenanntes Cut and Run nur die letzte Option sein darf“, fordert sie.

Hütz-Adams sieht hier jedoch keine Gefahr. Bei vielen Produkten gebe es keine Ausweichmöglichkeiten, da diese klimatisch nur im Süden wachsen oder saisonal ausschließlich im Süden zu beschaffen sind. Darüber hinaus bestünden erhebliche Probleme auch im Norden, etwa die Menschenrechtsrisiken im Gemüse- und Obstanbau in Spanien und Italien. „Im Zweifelsfall werden Unternehmen kalkulieren, was teurer ist: Investitionen in die Abstellung von entdeckten Risiken oder die Zahlung höherer Preise für Produkte von anderen Märkten“, so Hütz-Adams. Der Einzelhandel benötige für die Versorgungssicherheit für viele Produkte jedoch zwingend verschiedene Lieferländer.

Der Rückzug aus einem oder mehreren Ländern würde eine höhere Abhängigkeit von anderen bedeuten. Am Beispiel Bananen erklärt er: „Die menschenrechtliche Situation in Kolumbien ist auf vielen Plantagen heutzutage deutlich besser als die in Ecuador.“ Dass der deutsche Einzelhandel auf eine Streuung des Bananenbezugs zwischen Mittelamerika und Südamerika setze, habe einen Grund: Risikovorsorge vor Krankheitsausbrüchen und Wetterextremen. „Dafür werden im Zweifelsfall nicht nur teurere Maßnahmen zur Reduzierung von Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen, sondern auch höhere Einkaufspreise“, meint er.

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