Der Logistik-Experte Gunnar Gburek, Head of Business Affairs beim Freight-Tech-Unternehmen Timocom warnt vor möglichen schwerwiegenden Folgen im Weihnachtsgeschäft. Die Einzelhändler müsste mit deutlich höheren Preisen kalkulieren. Außerdem würden einige Waren gar nicht oder zu spät angeliefert werden. Der Experte sieht einen Kampf des Handels um Transportkapazitäten voraus. Grund seien zunehmende Unternehmensinsolvenzen und Geschäftsaufgaben unter Transporteuren.
Handelsverband rechnet mit keinen besonderen Engpässen
Der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) bestätigt den Trend grundsätzlich, während der Handelsverband Deutschland (HDE) widerspricht.
DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster will gegenüber der Lebensmittel Praxis aufgrund des bestätigten Trends noch keine Schlussfolgerungen für das Weihnachtsgeschäft ableiten. Die Problematik wird jedoch Tagesordnungspunkt der nächsten Sitzung des Fachausschusses Straßengüterverkehr am 14. November sein.
Sprecher Stefan Hertel vom Handelsverband Deutschland (HDE) hält dagegen, dass die meisten Transporte für 2024 bereits durchgeführt oder längerfristig fest geplant seien. Insofern seien hier keine besonderen Engpässe zu erwarten. Generell sei der Einzelhandel als Auftraggeber eher an langfristigen Partnerverträgen orientiert und werde sich entsprechende Kapazitäten sichern, so Hertel.
Bis zu eine Million Frachtangebote pro Tag
Gunnar Gburek war als Geschäftsführer des auf Handels- und Privatkundenbelieferung spezialisierten Logistikdienstleisters Hasenkamp sowie als Bereichsleiter beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik tätig. Der Diplom-Kaufmann leitet einen Expertenkreis aus mehr als 100 Einkäufern kleinerer und größerer Unternehmen unterschiedlicher Branchen.
Die Firma Timecom bietet einen Marktplatz für den europäischen Straßengüterverkehr an, in dem 55.000 Kunden täglich bis zu eine Million internationale Fracht- und Laderaumangebote einstellen.
Bereits das gesamte Jahr 2024 über beobachtet Gburek auf dem Spotmarkt für LKW-Transporte eine hohe Nachfrage nach Transportkapazitäten. Dem stehe ein immer geringer werdendes Angebot an Frachtkapazitäten gegenüber.
Abbau von Frachtkapazitäten auch bei kleineren Frachtführern
Das Transportbarometer im Marktplatz von Timocom zeigt das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage tagesaktuell an. Es sei seit Jahresbeginn nicht unter 70 Prozent Nachfrage zu 30 Prozent Angeboten gefallen. Teilweise waren Werte von 90 Prozent zu 10 Prozent feststellbar. Gunnar Gburek sagt: „Diese Konstanz in den Werten ist sehr ungewöhnlich. Normalerweise gibt es solche Spitzen nur rund um Ostern oder vor Weihnachten.“
Allerdings sei die Nachfrage auf dem Spotmarkt nicht aufgrund wirtschaftlicher Entwicklung so hoch, sondern weil viele Spediteure in den vergangenen Monaten eigene Kapazitäten abgebaut hätten, die sie nun auf dem freien Transportmarkt beschaffen müssten. Gburek fügt hinzu: „Bei den kleinen und mittelständischen Frachtführern, auf die die Branche dringend angewiesen ist, schreitet der Abbau von Kapazitäten ebenfalls weiter voran.“
Für viele Unternehmer lohnt sich Geschäftsmodell kaum noch
Im laufenden Jahr wurden in dem Marktplatz des Unternehmens europaweit insgesamt rund 18 Prozent weniger LKW-Kapazitäten angeboten als im selben Zeitraum 2023. Unter den Transportunternehmen aus Deutschland betrug der Rückgang an Laderaumangeboten rund 14 Prozent.
Gburek schildert: „Tatsächliche Zahlen, warum Unternehmen gänzlich aus der Transportbranche ausscheiden, werden in keiner offiziellen Statistik festgehalten. In den meisten Fällen handelt es sich um Personengesellschaften, die ihr Gewerbe einfach abmelden, wenn es finanziell nicht mehr reicht oder weil es keine Geschäftsnachfolger gibt.“ Laut Bundesamt für Güterverkehr hätten mehr als drei Viertel der Transportunternehmen bis zu zehn Fahrzeuge in ihrem Besitz: „Für viele lohnt sich das Geschäftsmodell kaum noch.“
Immer schwierigere Suche nach Kraftfahrern
Aber auch größere Frachtführer und Speditionen bauen nach der Darstellung des Timocom-Chefs Kapazitäten ab, weil sie keine gesicherte Zukunft im Transport von Waren sehen und es immer schwieriger wird, geeignete qualifizierte Kraftfahrer zu finden.
„Die Gründe dafür sind vielfältig“, weiß Gunnar Gburek. Er nennt Überalterung, Mangel an Wertschätzung und Anerkennung für den stressigen Beruf. Hinzu kommen ihm zufolge Verkehrsprobleme, Staus und die Zustände auf den LKW-Parkplätzen. Außerdem sei die Ausbildung langwierig und teuer.
„Nicht zuletzt führt auch die stetig wachsende Bürokratie aufgrund neuer Regularien wie Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zu Frust und Unverständnis“, ergänzt Gunnar Gburek. „Dies gepaart mit ständig steigenden Kosten für Personal, Maut und Energie bei abnehmender Förderung durch den Staat, lässt viele deutsche Unternehmer, ob groß oder klein, den Rückzug antreten.“
Wirtschaftlicher Aufschwung schnell wieder abgewürgt
In der Vergangenheit hätten ausländische Frachtführer mangelnde Kapazitäten auch im innerdeutschen Verkehr aufgefangen. Aber die stundenlangen Standzeiten, insbesondere an den Zentrallägern des Handels, schrecken laut Gburek immer mehr Transportunternehmer ab. Darüber hinaus sei das Wirtschaftswachstum in den osteuropäischen Ländern zurzeit größer als in Deutschland.
„Gerade der Einzelhandel wird in den nächsten Wochen und Monaten um Kapazitäten kämpfen müssen“, prognostiziert Gunnar Gburek. „Werden sich die Zuversicht in stabile Rahmenbedingungen und die infrastrukturellen Gegebenheiten 2025 nicht ändern, droht auch die Gefahr, dass ein möglicher wirtschaftlicher Aufschwung anhand der fehlenden Kapazitäten schnell wieder abgewürgt wird. Transport ist für die Wirtschaft essenziell. Eine Rechnung kann man nur stellen, wenn die verkauften Waren beim Empfänger angekommen sind.“