Die EU-Kommission hat ungeachtet anhaltender Bedenken von Ländern wie Frankreich, Italien und Polen die Verhandlungen über eine riesige Freihandelszone mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur abgeschlossen. Das teilte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einer finalen Gesprächsrunde mit Spitzenvertretern der Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay mit. Die Verhandlungen liefen über einen Zeitraum von fast einem Vierteljahrhundert.
EU verspricht mehr Jobs und mehr Wohlstand
„Dieses Abkommen ist ein Gewinn für Europa“, sagte von der Leyen in Uruguays Hauptstadt Montevideo. Es werde für Menschen und Unternehmen funktionieren und mehr Arbeitsplätze, mehr Auswahl und Wohlstand schaffen. „Unternehmen profitieren von niedrigeren Zöllen und vereinfachten Verfahren“, sagte von der Leyen.
Auch die Vertreter des Wirtschaftsbündnisses Mercosur beschworen die Möglichkeiten, die das Abkommen für eine Ausweitung der Handelsbeziehungen bietet. „Es ist keine magische Lösung, aber eine Chance“, sagte Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou.
Nach dem Abschluss der Verhandlungen müssen die Texte für das Abkommen noch juristisch geprüft und in die Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden. Dann muss die EU-Kommission eine Entscheidung darüber treffen, ob es als Ganzes oder in zwei Teile gesplittet den Mitgliedstaaten zur Abstimmung vorgelegt wird. Auf jeden Fall zustimmen müsste das Europäische Parlament. Eine Entscheidung wird frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres erwartet.
Größte Handels- und Investitionspartnerschaft der Welt
Auf der Reise nach Südamerika hatte die Kommissionspräsidentin gestern auf X (vormals Twitter) gepostet: „Touchdown in Lateinamerika, die Ziellinie des EU-Mercosur-Abkommens ist in Sicht.“ Und weiter: „Lasst es uns anpacken, lasst uns die Grenze überschreiten. Wir haben die Chance, einen Markt mit 700 Millionen Menschen zu schaffen. Die größte Handels- und Investitionspartnerschaft, die die Welt je gesehen hat. Beide Regionen werden davon profitieren.“ Mit dem Mercosur-Freihandelsabkommen wird in der Tat die größte Freihandelszone der Welt entstehen, die rund 715 Millionen Menschen umfasst.
Produzenten von Rindfleisch, Zucker und Geflügel eher Verlierer
Nach Angaben der EU-Kommission werden europäische Exporteure rund vier Milliarden Euro an Zöllen sparen. Denn Zölle werden weitgehend abgeschafft oder reduziert. Das beträfe 91 Prozent des Warenaustausches zwischen den beiden Wirtschaftsräumen.
Tendenziell eher als Verlierer des Abkommens gelten die Produzenten von Rindfleisch, Zucker und Geflügel. Deshalb sind Landwirte auch in Deutschland bereits lautstark auf die Straße gegangen. Hingegen dürfte etwa die Automobilindustrie besonders profitieren.
In der deutschen Politik ist die Zustimmung zu dem Abkommen groß. Das zeigte sich auch gestern im Bundestag. Dort signalisierten SPD, CDU/CSU und FDP Zustimmung.
Beim Scheitern steht China in den Startlöchern
„Deutschland und die deutsche Sozialdemokratie unterstützt dieses Abkommen», erklärte zum Beispiel der SPD-Abgeordnete Markus Töns im Bundestag. „Wir sind dafür, es zu ratifizieren.“ Töns betone mit Blick auf Bedenken aus der Landwirtschaft, die maximal zulässige importierte Rindfleischmenge aus dem Mercosur-Raum betrage lediglich 1,6 Prozent der gesamten EU-Produktion.
Der CDU-Politiker Peter Beyer sagte, der Sack müsse nun zugemacht werden. Das Abkommen eröffne der deutschen Wirtschaft neue Absatzchancen und verbessere den Zugang zu Rohstoffen, ergänzte der CDU-Abgeordnete Stefan Rouenhoff.
Der FDP-Abgeordnete Lukas Köhler bekundete, es sei für die deutsche Wirtschaft wichtig, dass das Abkommen abgeschlossen werde. Falls es scheitere, stehe China in den Startlöchern.
Grüne sind zum Teil unterschiedlicher Ansicht
Zurückhaltender äußerte sich der Grünen-Politiker Maik Außendorf. Man werde sich die Ergebnisse sehr genau anschauen. Er hob mit Blick auf den Regenwald die Bedeutung von Klimaschutz und Nachhaltigkeit hervor. Sein Fraktionskollege Anton Hofreiter unterstrich, es sei gesellschaftliche Akzeptanz für Handelsabkommen notwendig. Zu den Befürwortern des Abkommens im grünen Lager zählt jedoch unter anderem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.
Verhandlungen bereits vor 25 Jahren begonnen
Die Kompetenz für Handelsgespräche liegt aus Sicht der Europäischen Kommission ausschließlich bei ihr. Denn sie handele auf Basis eines Mandats, das von allen EU-Staaten angenommen worden sei.
Die Vertragsunterzeichnung ist der politische Abschluss von Verhandlungen, die vor 25 Jahren begonnen wurden. Im Europäischen Parlament und im Ministerrat muss die Einigung noch angenommen werden. Im Ministerrat würde dafür die Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit von 15 Staaten reichen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung abbilden.
Mehrere Monate bis zu möglichen Abstimmungen
Eine Blockade wäre durch die Gegenstimmen von mindestens vier EU-Staaten möglich, die mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung verkörpern. Gegen das Mercosur-Abkommen haben sich vor allem Frankreich und Polen positioniert. Österreich und die Niederlande sind ebenfalls sehr kritisch eingestellt. Bis zu den Abstimmungen im Parlament und im Ministerrat dürfte im Falle einer Vertragsunterzeichnung noch einige Zeit vergehen. Die Rede ist von mehreren Monaten.