Der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband ruft für den heutigen Frühnachmittag zu einer Protestaktion in der badischen Grenzstadt Kehl im Ortenaukreis auf. Erwartet werden rund 150 Menschen mit 100 Traktoren. Vorgesehen sind Mahnfeuer, Traktoren-Korsos und Blockaden: Die Europabrücke nach Straßburg, eine der wichtigsten Verkehrsachsen im West-Ost-Verkehr, ist seit heute, von 14 Uhr, bis zum Abend komplett gesperrt.
Auch anderswo in Deutschland wird heute demonstriert, so in Dresden und Schwerin.
Wird das Abkommen am 5. und 6. Dezember final beschlossen?
Die Proteste richten sich gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Das Abkommen mit den Mercosur-Mitgliedsstaaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay würde für eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern sorgen.
Am 5. und 6. Dezember 2024 ist ein Treffen des Europäischen Rates in Uruguay geplant, bei dem die Befürworter hoffen, das Mercosur-Abkommen beschließen zu können.
Gegner sorgen sich um Fleischpreise
Die von den Gegnern unter anderem befürchteten Folgen: Billiges Rind- und Geflügelfleisch könnte nach Europa kommen und die Preise weiter drücken. Den Plänen zufolge dürften bis zu 99.000 Tonnen Rindfleisch zu einem sehr niedrigen Zollsatz in die EU exportiert werden. Schätzungen besagen, dass dieses Fleisch zum Teil 20 bis 30 Prozent günstiger wäre als das aus Europa.
Der Deutsche Bauernverband lehnt das Abkommen in der jetzigen Form ebenfalls ab.
Freie Bauern sprechen von Frontalangriff auf heimische Landwirtschaft
Zu rechnen ist damit, dass möglicherweise wieder die Lieferketten im Lebensmitteleinzelhandel gestört werden, sofern sich die Bauernproteste verfestigen sollten. Das könnte ein Ziel der Bauernverbände außerhalb des Deutschen Bauernverbandes sein, die Blockaden als wichtigen Teil ihrer Strategie sehen.
So rufen die „Freien Bauern“ zum heutigen Protest in Kehl auf. Thomas Frenk von der Bundesleitung soll heute auf der Europabrücke eine Rede halten. Er meint: „Die zollvergünstigte Einfuhr von zusätzlich 100.000 Tonnen Rindfleisch, 180.000 Tonnen Geflügelfleisch und 180.000 Tonnen Zucker ist ein Frontalangriff auf unsere heimische Landwirtschaft und die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln.“
Scharfe Kritik am Green Deal der EU
In der EU werde die Produktion von regional und nachhaltig erzeugten Lebensmitteln durch die im so genannten Green Deal festgelegten pauschalen Reduktionsziele schrittweise zurückgefahren, „damit Billigimporte aus dem brennenden Regenwald die Lücken füllen können“. Frenk ist überzeugt: „Der Green Deal mit sinnlosen Produktionsauflagen und der Big Deal mit Mercosur sind zwei Seiten derselben Medaille – multinationale Konzerne machen Profit, Bauern und Verbraucher haben das Nachsehen.“
Thomas Frenk fügt hinzu: „Mercosur ist eines der ganz wenigen Themen, bei denen sich Bauernorganisationen und Umweltverbände einig sind.“ In Deutschland sei die zivilgesellschaftliche Ablehnung des Freihandelsabkommens breit.
EU-Kommissionspräsidentin sieht Abkommen auf der Zielgerade
Die Bundesregierung und Teile der deutschen Wirtschaft fordern seit Langem die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens. Zum Beispiel rechnet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit besseren Geschäften für die deutsche Exportwirtschaft und mehr Arbeitsplätzen. Denn durch das Abkommen bekämen deutsche Unternehmen Zugang zu einem bisher weitgehend abgeschotteten südamerikanischen Markt.
Die Gespräche über das Abkommen dauern bereits seit 25 Jahren an. Seit 2019 gibt es eine fertige Vereinbarung. Diese wurde aber bisher noch nicht ratifiziert.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte gestern noch einmal bekräftigt, dass sie den Abschluss voran treiben wolle. Es sei auf der „Zielgerade“.
Große Mitgliedsländer werden wahrscheinlich nicht verprellt
Theoretisch kann die EU-Kommission den Inhalt des Abkommens ohne die Mitgliedsstaaten billigen, sofern es sich um reine Handelsfragen handelt. Die Mitgliedsländer müssten lediglich weitere Inhalte ratifizieren. Allerdings gilt es als relativ unwahrscheinlich, dass große Mitgliedsländer wie Frankreich auf diese Weise verprellt werden sollen. Das französische Parlament hat sich gegen das Abkommen positioniert. In Frankreich gehen heute ebenfalls viele Landwirte auf die Straße.