Carsten Schruck, Finanzvorstand der Westfleisch SCE, gab heute in einer Reaktion auf den Skandal bekannt, dass Westfleisch mit einem 10-Punkte-Plan ein Zukunftsprogramm einleiten will.
„Wir wollen uns noch mehr um die Mitarbeiter kümmern, mehr Tierwohl schaffen, eine höhere Sicherheit für die Landwirte und eine bessere Einbindung der lokalen Interessen vor Ort“, erklärt Schruck in einem Statement.
Konkret will Westfleisch zum Beispiel bis Jahresende alle Mitarbeiter selber anstellen. „Und das gilt unabhängig davon, was der Gesetzgeber in den kommenden Monaten in dieser Hinsicht beschließen wird“, erklärt Johannes Steinhoff, im Vorstand für den Bereich Weiterverarbeitung verantwortlich.
Weitere Punkte des Zukunftsprogramms sind unter anderem die flächendeckende Einführung der digitalen Zeiterfassung, das Sicherstellen von angemessenem Wohnraum sowie die Stärkung der regionalen Landwirtschaft.
Eine Aufstellung der Maßnahmen:
1. Werkverträge: In den kommenden sechs Monaten will Westfleisch alle Beschäftigten selbst einstellen und in die Genossenschaft aufnehmen.
2. Flächendeckende Einführung der digitalen Zeiterfassung.
3. Konzernweite Mitbestimmung beispielsweise über Tarifverträge und Arbeitnehmermitbestimmung.
4. Angemessene Wohnsituation: „Wir wollen dafür sorgen, dass die Standards der Unterkünfte künftig überall verlässlich oberhalb der gesetzlichen Regeln liegen.“
5. Integrationsbeauftragte für jeden Standort.
6. Überarbeitetes Hygienekonzept (Entzerren der Produktionsprozesse und stärkere Schulung und Kontrolle der Einhaltung der Hygieneregeln).
7. Regionale Landwirtschaft stärken – mehr Tierwohl schaffen: „Damit die Landwirte eine sichere Zukunftsperspektive haben, wollen wir entsprechende Programme gemeinsam mit unseren Partnern im Handel noch stärker voranbringen“.
8. Stärkere Integration in die Gemeinschaft vor Ort.
9. Mit starken Handelspartnern die Versorgung sichern: „Unser absoluter Fokus wird dabei auch künftig auf dem inländischen Markt liegen“.
10. Klare Nachhaltigkeitsstrategie: Westfleisch investiert laufend und in hohem Maße in die Qualität und Sicherheit seiner Produkte – und dies entlang der gesamten Produktionskette.
Möglicherweise als Reaktion auf den Vorstoß von Westfleisch gab Tönnies heute bekannt, ebenfalls Werkverträge „in allen Kernbereichen der Fleischgewinnung“ bis Ende 2020 abzuschaffen. Die Mitarbeiter sollen in der Tönnies-Unternehmensgruppe eingestellt werden. Außerdem solle für die Arbeiter eine digitale Zeiterfassung an allen deutschen Standorten eingeführt werden.
„Wir wollen auch in Zukunft in Deutschland Fleisch produzieren. Dafür brauchen wir die gesellschaftliche Akzeptanz“, sagt Clemens Tönnies als Mitinhaber. „Dies gilt über alle Ketten der Fleischproduktion und schließt ausdrücklich die Landwirtschaft mit ein.“
Tönnies-Sprecher Dr. Vielstädte konnte indes neue Angaben zu den Corona-Tests machen: „Das jetzige Ergebnis mit momentan rund 1.500 positiven von 6.600 ausgewerteten Tests ergibt eine Quote von ca. 22 Prozent. Es lässt sich festhalten, dass der größte Teil der positiven Fälle in der Zerlegung lokalisiert werden konnte. Eine genaue Analyse ist momentan in Arbeit“, erklärt Vielstädte.
Der Sprecher weist darauf hin, dass es sich nicht um ein Tönnies-spezifisches Problem handelt, sonder vielmehr die gängigen Produktionsbedingungen an trockener und kalter Luft, das Virus begünstigen: „Neben Herrn Prof. Dr. Exner haben wir die Expertise von Herrn Prof Dr. Hendrik Streeck erfragt. Dieser allgemein sehr anerkannte Virologe bestätigte uns, dass es sich hier nicht um ein Tönnies Problem, sondern um ein Problem der gesamten Fleischzerlegung handelt. Umso mehr überrascht uns die aktuelle, einseitige und tendenziöse mediale Berichterstattung.“ Bei den externen Betriebsprüfungen der Bezirksregierung und des Gesundheitsamtes seien keine bedeutenden Regelverstöße festgestellt worden.
Überraschend: Vielstädte geht davon aus, dass der Betrieb ab 4. Juli wieder sukzessive aufgenommen werden kann.
Auch Wettbewerber Vion äußert sich, und zwar zur Frage, ob es Versorgungsengpässe geben wird. „Die Mengen an SB-Fleisch, die Tönnies normalerweise wöchentlich in den Discount liefert, können so kurzfristig nicht ersetzt werden. Obwohl die Konkurrenz hilft, sind diese Volumen nicht zu stemmen“, heißt es in einer Stellungnahme.
Vion und die anderen aus der Branche schaffen bei größter Anstrengung gerade mal den „berühmten Tropfen auf den heißen Stein“. Erschwerend kommt hinzu, dass in Corona-Zeiten wie aktuell, Sicherheitsabstände, Hygienekonzepte, Dauer-Testungen von Mitarbeitern, der ganze zusätzliche Aufwand, der Zeit, Geld und Kapazitäten in Anspruch nimmt, eine Ausweitung des Geschäfts nahezu unmöglich macht. Denn schon seit Wochen läuft die Produktion in den Fleischbetrieben am obersten Limit. Im Vion-Konzern werden alle Unternehmensteile, Tochter- und Schwesterbetriebe voll beansprucht. Wie Johannes Kölker, Geschäftsführer der Vion-Convenience GmbH, Großostheim, gegenüber der Lebensmittel Praxis mehrfach betont, versucht die ganze Branche zu helfen. Jeder denke im Moment nur, dass das, was jetzt bei Tönnies passiert, eine einzige Katastrophe sei, vor allem für Tönnies, aber auch für die gesamte Branche. Sorge schwingt mit in diesen Worten, denn in der Tat weiß man noch nicht, wie das Virus in den Betrieb gelangt ist und sich derart ausbreiten konnte. Das beunruhigt viele, die selbst Produktionen leiten.