Auf die deutsche Wirtschaft kommen angesichts des erneuten Wahlsieges von Donald Trump in den USA voraussichtlich erhebliche Herausforderungen und Probleme zu. Das ist die klare Botschaft der Stellungnahmen verschiedener Vertreter und Experten der Wirtschaft, die LP zusammengetragen hat.
Nachdenken über EU-Vergeltungsmaßnahmen
„Trump verfolgt eine ausgeprägt protektionistische Agenda, die auf höhere Importzölle und stärkere Beschränkungen des internationalen Handels setzt, insbesondere gegenüber China und potenziell auch gegenüber Europa.“ Daran erinnert Clemens Fuest, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitutes Ifo.
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die USA weiter von einer offenen, globalen Zusammenarbeit entfernen“, warnt auch Lisandra Flach, Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft. „Deutschland und die EU müssen nun ihre Position durch eigene Maßnahmen stärken. Dazu gehören eine tiefere Integration des EU-Dienstleistungsmarktes und glaubwürdige Vergeltungsmaßnahmen gegenüber den USA“, lautet ihre Empfehlung. So könnte beispielsweise das von der EU neu geschaffene Anti-Coercion-Instrument genutzt werden. Es sieht neben Zöllen weitere Gegenmaßnahmen bei wirtschaftlichem Zwang vor. Außerdem könnten Deutschland und die EU die Zusammenarbeit mit einzelnen US-Bundesstaaten verstärken.
Ifo-Institut prognostiziert empfindliche Einbußen
Marc S. Tenbieg, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bundes (DMB), ergänzt: „Mit der Rückkehr Trumps ins Weiße Haus werden die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen voraussichtlich nicht enger werden, ganz im Gegenteil." Der deutsche Mittelstand stehe vor vielfältigen Herausforderungen.
Laut dem Ifo-Institut müssen deutsche Exporteure, für die die USA der größte Absatzmarkt außerhalb der EU sind, mit „empfindlichen Einbußen" rechnen, sollte Trump Basiszölle von 20 Prozent auf US-Importe aus der EU und 60 Prozent auf Importe aus China erheben.
Diese Maßnahmen würden allein in Deutschland einen wirtschaftlichen Schaden von 33 Milliarden Euro bedeuten. Weiter schätzen die Ifo-Experten, dass die deutschen Exporte in die USA damit um etwa 15 Prozent zurückgehen könnten. Zusätzlich würden die Ausfuhren nach China um zehn Prozent sinken, weil die Exporte der Volksrepublik in die USA massiv sinken würden.
Mit positiven Überraschungen rechnet niemand
Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Institutes der Deutschen Wirtschaft (IW), kommentiert: „Das Worst-Case-Szenario ist eingetreten. Mit der Wahl Donald Trumps steht die deutsche Wirtschaft vor der nächsten Krise in einer an Rückschlägen reichen Zeit.“ Schon heute könnten sich Unternehmen auf einen teuren Handelskrieg einstellen, der nach IW-Berechnungen über die kommenden vier Jahre 180 Milliarden Euro kosten werde. Hüther fügt hinzu: „Was noch auf die Wirtschaft zukommt, weiß bei der Wundertüte Trump niemand. Es wird nicht bei der einen Hiobsbotschaft bleiben; mit positiven Überraschungen rechnet niemand“.
Hüther hofft, dass sich die Bundesregierung „wirklich besser auf diesen Wahlausgang vorbereitet“ habe als noch 2016. Deutschland müsse in den kommenden Jahren mehr denn je lernen, auf eigenen Beinen zu stehen – im Geopolitischen genauso wie in der Wirtschaftspolitik. Der IW-Chef fragt: „Welchen besseren Anstoß könnte es geben, um endlich etwas für die Standortqualität zu tun?“
Offene Flanken müssen geschlossen werden
An die Adresse der Europäischen Union sagt Hüther: „Die EU muss sich auf den selbsternannten Deal-Maker Trump einstellen. Offene Flanken, wie die berechtigte Kritik an den geringen Verteidigungsausgaben, müssen geschlossen werden.“ Zeitgleich brauche es engere Handelsbeziehungen zu Südamerika und dem indopazifischen Raum, um den Handel zu diversifizieren. „Die EU“, unterstreicht der Wirtschaftsforscher, „wird in Zukunft immer mehr in geopolitischer Verantwortung stehen. Dementsprechend selbstbewusst sollte Europa auftreten.“
Im Oktober hatte das Statistische Bundesamt/Destatis berichtet, dass die Bedeutung der Vereinigten Staaten für Deutschlands Exportwirtschaft aktuell so groß wie nie in den letzten 20 Jahren sei. 2023 wurden Güter im Wert von 157,9 Milliarden Euro aus Deutschland in die USA exportiert. Das waren wertmäßig 9,9 Prozent der deutschen Exporte.
USA als wichtigster Abnehmer deutscher Exporte
Die USA waren damit das neunte Jahr in Folge der wichtigste Abnehmer deutscher Exporte. Im ersten Halbjahr 2024 setzte sich die Serie fort. Auch als Herkunftsland deutscher Importe haben die USA zuletzt an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2023 wurden Waren im Wert von 94,7 Milliarden Euro importiert. Der Anteil an den Importen insgesamt betrug 6,9 Prozent. Das war der höchste Wert seit 2004 mit damals 7,1 Prozent. Die Vereinigten Staaten waren damit das fünfte Jahr in Folge auf dem dritten Platz der wichtigsten Importländer. Auch im ersten Halbjahr 2024 nahmen sie diesen Platz im Ranking ein.
Insgesamt sind die Vereinigten Staaten seit 2021 zweitwichtigster Handelspartner Deutschlands hinter China.
2023 Rekord-Exportüberschuss erzielt
Der Gesamtwert der Exporte in die USA ist nicht nur seit Jahrzehnten höher als der Gesamtwert der Importe von dort. Er hat in den vergangenen Jahren auch stärker zugelegt: Die Exporte waren im vergangenen Jahr 156,2 Prozent höher als noch 2003 mit damals 61,7 Milliarden Euro. Die Importe stiegen im selben Zeitraum um 141,3 Prozent an (2003: 39,2 Milliarden Euro). Die Folge: Im Jahr 2023 erzielte der deutsche Außenhandel mit den USA einen Rekord-Exportüberschuss von 63,3 Milliarden Euro.
Zudem weist Deutschland mit den USA seit 2017 die höchsten Exportüberschüsse im Vergleich zu allen anderen Bestimmungsländern aus. Die Differenz zwischen dem Wert der Exporte in die USA und den Importen aus den USA ist also nicht nur so hoch wie noch nie; sie ist auch höher als bei jedem anderen Bestimmungsland. Dies war auch im ersten Halbjahr 2024 mit einem Exportüberschuss von 34,7 Milliarden Euro der Fall.
Auch auf Unternehmensseite enge Verflechtungen
Nicht nur als Handelspartner nehmen die USA eine besondere Rolle ein. Auch auf Seiten der Unternehmen gibt es enge wirtschaftliche Verflechtungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Im Jahr 2022 gehörten 11,5 Prozent der insgesamt knapp 38.500 auslandskontrollierten Unternehmen in Deutschland zu einer Muttergesellschaft mit Sitz in den Vereinigten Staaten. Unter den Nicht-EU-Staaten war der Anteil lediglich in der Schweiz, die zu den EFTA-Staaten zählt, etwas höher (12,8 Prozent).
Die 4.400 Unternehmen mit Hauptsitz in den Vereinigten Staaten beschäftigten 2022 in Deutschland rund 774.600 Personen und erwirtschafteten einen Umsatz von rund 416,5 Milliarden Euro. Das war nahezu ein Fünftel (19,3 Prozent) der von auslandskontrollierten Unternehmen hierzulande erwirtschafteten Umsätze. Kein anderer Herkunftsstaat hatte Unternehmen mit so viel Beschäftigten in Deutschland oder verzeichnete Umsätze in dieser Höhe.