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Sogenannte sensible Esser werden interessanter für Handel und Industrie. Wer aus gesundheitlichen, ethischen oder anderen Gründen auf bestimmte Inhaltsstoffe in Lebensmitteln verzichtet, findet daher ein wachsendes Angebot an Produkten, die mit „Frei-von“-Claims werben. Dabei wird die Liste der Auslobungen ebenso stetig länger wie die der individuellen Ernährungsstile.
Von größerer Bedeutung für Verbraucher werden im Zuge des Clean-Eating-Trends z. B. zuckerfreie Erzeugnisse. Bereits 9 Prozent der Bundesbürger achten nach der Studie Bewusste Esser 2017 der Nielsen Marktforscher auf Produkte ohne Zucker, 23 Prozent auf zuckerarme Lebensmittel. Dennoch warben 2016 gerade einmal 4 Prozent der Produktneuheiten mit entsprechenden Claims. Größeres Potenzial versprechen sich Handel und Markenartikler aktuell noch immer mit den bereits etablierten gluten-, laktose- und gentechnikfreien Produkten.
Messe-Duo
Frei von Die Messe und Konferenz „Free From Functional Food Expo“ finden zusammen mit der „Free From Functional Food Ingredients“ am 8. und 9. Juni 2017 auf dem Messegelände in Barcelona statt. Eintrittspreise und Registrierung: www.freefromfoodexpo.com
„Grundsätzlich zeigt sich, dass bei den Verbrauchern eine weiter wachsende Nachfrage bei Lebensmitteln, die individuelle Unverträglichkeiten ausschließen, vorhanden ist“, beobachtet man bei Discounter Norma. Die Wünsche von immer mehr Kunden nach diesen Frei-von-Artikeln spiegelten sich in der überproportionalen Entwicklung der Verkaufszahlen wider. Die Nürnberger bieten aktuell rund 300 vegane sowie mehr als 320 glutenfreie Artikel an und erhöhten die Anzahl der laktosefreien Produkte allein seit Anfang 2017 deutlich auf derzeit über 370. Auch im Bereich der Lebensmittel ohne Gentechnik steige die Nachfrage. Mehr als 160 gentechnikfreie Produkte finden die Norma-Kunden heute, Anfang des Jahres waren es noch gut 100.
Gentechnikfrei im Aufwind
„Im konventionellen Frische-Segment des Handels ist ,ohne Gentechnik‘ ein Megatrend“, beobachtet Norbert Klamt, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens Argusto. Bei den Discountern sei das Sortiment schon fast so umfangreich wie Bio. „Interessant ist, dass das Label des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) aktuell immer häufiger auch zusätzlich auf Bio-Ware eingesetzt wird, im Grunde eine Doppelung, denn das Bio-Recht schließt den Einsatz von Gentechnik bei Bio-Lebensmitteln aus“, erläutert Klamt.
Rund 4,4 Mrd. Euro Umsatz werden mit Lebensmitteln erzeugt, die das Ohne-Gentechnik-Siegel des VLOG tragen. Der Umsatz mit diesen Lebensmitteln wurde dieses Jahr erstmals durch den Verband erhoben, Basis sind die Umsatzprognosen der Siegelnutzer für 2017. Die Anzahl der gekennzeichneten Lebensmitteln wuchs allein im ersten Quartal 2017 um 12,5 Prozent. Zum 1.4.2017 wurden 6.170 Artikel mit dem Siegel gekennzeichnet.
Das mit Abstand umsatzstärkste Ohne-Gentechnik-Sortiment stellen die Milchprodukte mit 2,44 Mrd. Euro (55 Prozent am Gesamtumsatz) bei 1.599 Produkten dar. Im Produktbereich Eier sind 1.688 Lizenzen für das Siegel vergeben und die Eiervermarkter setzen damit 690 Mio. Euro um. Das Segment Geflügelfleisch umfasst 1.392 Artikel und einen Umsatz von 1,07 Mrd. Euro.
Vor allem an der positiven Entwicklung bei gentechnikfreien Molkereiprodukten hat der Lebensmittelhandel mit seinen Eigenmarken einen großen Anteil. Damit reagieren die Händler auf einen klaren Verbrauchertrend. Für 77 Prozent der Verbraucher spielt es eine „sehr große“ oder „große“ Rolle, ob ihre Milch ohne Gentechnik hergestellt wurde, ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag der Milchwirtschaft von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Sogar bei einem Haushaltsnettoeinkommen unter 1.500 Euro war die Gentechnikfreiheit der Milchprodukte den Befragten wichtiger als der Preis.
Der Handel hat reagiert. So baute der Edeka-Verbund sein Angebot an Lebensmitteln mit Milch aus gentechnikfreier Fütterung Anfang des Jahres weiter aus. Die Frischmilch und H-Milch der Eigenmarke Gut&Günstig sind laut Unternehmen bereits in vielen Regionen mit dem grünen Ohne-Gentechnik-Siegel erhältlich.
Auch andere Milchbasisprodukte wie Sahne und Quark, laktosefreie Milchprodukte sowie verschiedene Käsesorten werden aktuell mit dem Siegel Ohne Gentechnik des VLOG gekennzeichnet. Weitere sollen folgen. Bei Joghurtprodukten und Milchmischgetränken hat Edeka darüber hinaus das neue Label Gutes Futter eingeführt, das auch auf Artikeln der Discount-Tochter Netto prangt. Bei den damit gekennzeichneten Produkten werden die Futtermittel für die Milchkühe nicht nur gentechnikfrei, sondern auch überwiegend auf Erzeuger-eigenen heimischen Flächen angebaut. Aktuell wurden bereits rund 40 Artikel der Eigenmarken Edeka und Gut&Günstig mit der neuen Kennzeichnung in die Regale gebracht. Darüber hinaus verfolgt Edeka die Zielsetzung, dass bei Futtermitteln für Schweine, Rinder und Geflügel eine Umstellung auf heimische bzw. europäische Futtermittel (z. B. Rapsschrot oder Leguminosen) oder auf nachhaltigeres, gentechnikfreies, zertifiziertes Soja erfolgt.
Die Discount-Tochter der Edeka verkauft bundesweit unter den Eigenmarken Gutes Land, Viva Vital, Leichter Genuss und Mondo Italiano Produkte aus zertifiziert gentechnikfreier Milchproduktion. Weitere gentechnikfreie Artikel mit dem Ohne-Gentechnik-Siegel werden im Netto-Sortiment sowohl national als auch regional sukzessive ergänzt. Eier und Frischgeflügel aus dem Netto-Eigenmarkensortiment sind bereits komplett gentechnikfrei und VLOG-zertifiziert.
Seit August 2016 führt Kaufland in seinen Filialen in Baden Württemberg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt unter der Eigenmarke K-Classic gentechnikfreie Frischmilch in zwei Fettstufen. Im November wurde dieses Angebot bundesweit auf alle Filialen ausgeweitet. Anfang 2017 folgte der Ausbau des Angebots bundesweit um diverse Käse-Produkte. Mit der Umstellung auf gentechnikfreie Molkereiprodukte positioniert sich Kaufland klar für den Einsatz gentechnikfreier Futtermittel bei der Herstellung von Milchprodukten, heißt es aus dem Unternehmen. Auch im Markenangebot forciert Kaufland nach eigenen Aussagen den Verzicht auf Gentechnik.
Junge wollen Milchalternativen
Weiter im Trend sind auch laktosefreie Produkte. Gut 7 Prozent der im Jahr 2016 neu eingeführten Artikel in Deutschland waren nach Analysen der Marktforscher von Mintel laktosefrei. Das sind 3 Prozent mehr als noch 2011. Insgesamt lag das Marktvolumen für laktosefreie Molkereiprodukte in Westeuropa 2015 bei 1,3 Mrd. Euro, das für pflanzliche Alternativen bei knapp 1,4 Mrd. Euro. Dabei steigt das Interesse an den Alternativ-Produkten besonders bei der jüngeren Zielgruppe. 19 Prozent der 16- bis 24-Jährigen geben laut Mintel an, ganz auf klassische Milcherzeugnisse zu verzichten.
Es greifen aber nicht nur Verbraucher mit Intoleranz oder Allergie zu diesen Lebensmitteln. Auch die Hersteller haben sich auf diesen Trend eingestellt und entwickeln immer mehr pflanzliche Ersatzartikel. Neben Artikeln aus Soja ergänzen Lebensmittel aus pflanzlichen Bestandteilen wie Mandeln, Nüssen wie Macadamia, Getreide oder z. B. Chia-Samen das Sortiment. 17 Prozent der Konsumenten, die auf Kuhmilch verzichten, greifen zu anderen Ersatzprodukten. Die Einführung neuer Produkte stieg zwischen 2011 und 2015 weltweit um 80 Prozent. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Artikeln, die auf Reis, Mandel oder Kokosnuss basieren.
Klassiker in GLutenfrei
Bewegung kommt aktuell vor allem in den Markt für glutenfreie Produkte. Zweistellige Zuwachsraten sind nach Einschätzung von Spezialist Dr. Schär u. a. auf das deutlich gestiegene Wissen der Konsumenten rund um Ernährung generell und speziell um Lebensmittelunverträglichkeiten, aber auch die Ärtzeschaft sei besser informiert, sagt Matthias Müller-Thederan Vertriebsleiter für Europa Mitte, Dr. Schär Deutschland. Um das Thema glutenfreie Ernährung stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, informierte die Marke im ersten Quartal 2017 mit zwei neuen TV-Spots auf diversen Sendern. „Damit setzten wir zum Auftakt des neuen Jahres einen breitenwirksamen Akzent und unterstützen mit begleitenden Marketing-Aktionen auch den Handel“, erklärt Müller-Thederan. Im Rahmen des 30-monatigen EU-Forschungsprojekts Re-Cereal“ arbeitet Dr. Schär aktuell gemeinsam mit diversen Partnern an dem Ziel, die technologische Entwicklung und das Nutzungspotenzial von Buchweizen und Hirse zu untersuchen und deren Verwendung in der Herstellung von glutenfreien sowie traditionellen Lebensmitteln wie Brot, Nudeln und Gebäck zu stimulieren. Neue Produkte mit Zutaten wie Hirse, Buchweizen, Quinoa und andere Pseudogetreide gibt es im Bereich Brot- und Backwaren der Marke.
Mit Valsoia bietet Genuport seit März eine neue internationale Marke an. „Die Marke Valsoia, im Heimatmarkt Italien bereits seit 1990 zu den Topmarken im Frei-von-Segment gehörend, führt ein umfangreiches Sortiment an laktosefreien, glutenfreien und veganen Tiefkühlartikeln“, erklärt Marion Junge, Marketing Managerin der Genuport Trade AG. Neben Brotaufstrichen auf Sojabasis umfasst das Portfolio auch Tiefkühlspezialitäten wie Eiscreme, Lasagne oder Pizza.
Neben den großen spezialisierten Anbietern setzen aktuell immer mehr „konventionelle“ Hersteller Impulse im Regal. Neu eingestiegen in die Produktion glutenfreier Waren sind in den vergangenen Monaten beispielsweise Marken wie Dr. Oetker, Bahlsen, Iglo oder Birkel. Damit gibt es immer mehr „Klassiker“ aus dem Supermarktregal auch für Zöliakiebetroffene und jene, die aus unterschiedlichen Gründen mal oder ganz auf Gluten verzichten möchten.
Seit März 2017 finden Menschen, die sich gluten- und laktosefrei ernähren müssen oder wollen, zwei Varianten des Leibniz Butterkeks, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Die neuen Minis und Zoo-Fabelwesen sind nicht mit Weizen- sondern Maismehl gebacken. Die Resonanz ist sehr positiv. Mathias Schlüter, Vertriebsdirektor, Bahlsen Business Unit D-A-CH: „Wir merken, dass ein großes Interesse an diesen Produkten besteht, u. a. dadurch gefördert, dass die Konsumenten zunehmend informierter sind und bewusster Entscheidungen treffen.“ Das Essverhalten werde individueller und erfordere auch spezielle Produktranges, die Allergien und Intoleranzen berücksichtigen. „Schaut man sich die Zahlen der unter Zöliakie erkrankten Menschen an, ist der Markt aktuell vergleichsweise klein. Aber es gibt auch viele Menschen die sich bewusst und daher glutenfrei ernähren wollen. Wir glauben, dass dieses Segment daher in Zukunft weiter wachsen wird. Eine Ausweitung des Angebotes schließen wir daher nicht aus“, sagt Schlüter. Auch Iglo beobachtet einen steigenden Bedarf bei den sensiblen Essern – ob auf Grund einer Glutenunverträglichkeit oder Glaubensfrage. Sie schätzten alternative Varianten von bestehenden Lieblingsgerichten. Die glutenfreien Fischstäbchen und Schlemmerfilet à la Bordelaise– seit Februar im Markt – erfreuen sich daher einer sehr positiven Nachfrage, heißt es seitens Iglo.
Nachdem Nestlé-Tochter Wagner Anfang 2016 zwei glutenfreie Pizza-Varianten in die TK-Truhen des Handels brachte, legte Dr. Oetker vor einigen Monaten nach und führte die glutenfreie Ristorante in den Sorten in den beliebten Geschmacksrichtungen Salami Pizza Mozzarella ein. Für den Boden werden Zutaten wie Reismehl, Kartoffelstärke und Erbseneiweiß als Alternative zum glutenhaltigen Weizenmehl verwendet. „Beide Produkte entwickeln sich seitdem hervorragend und haben unsere Erwartungen absolut erfüllt“, heißt es aus Bielefeld. Die Ristorante-Sorten ohne Gluten hätten sich laut Nielsen schon jetzt zu den umsatzstärksten glutenfreien TK-Pizzen im deutschen Handel entwickelt.
Zwei neue Sorten glutenfreie Pasta brachte kürzlich Nudelfabrikant Birkel auf den Markt. Die Rezeptur der Birkel Penne Glutenfrei und Birkel Hörnchen Glutenfrei basiert auf einer Kombination aus Mais- und Reismehl sowie Kartoffelstärke statt Hartweizen. „Die aktuellste Neueinführung der glutenfreien Produkte im Birkel Sortiment ist sowohl eine logische Vervollständigung des Portfolios als auch ein klarer Umsatzbringer“, berichtet Heidrun Steffen-Simons, Head of Marketing Birkel. Der Absatz an Teigwaren ohne Gluten ist nach Informationen von Nielsen zwischen 2013 und 2015 um 58 Prozent gestiegen (LEH und DM). Birkel produziert die Produkte in einem separaten Werk in Italien. „Da dies bereits bestand, lag unsere Investition bei der Produkteinführung vor allem darin, zuvor die aktuellen deutschen Konsumentenbedürfnisse klar herauszufiltern.“ Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden Rezeptur, Packungsgröße und -gestaltung bestimmt, auch die Wahl der Nudel-Ausformung sei entscheidend für eine erfolgreiche Markteinführung. „Denn im Segment glutenfreier Teigwaren freuen sich Verbraucher besonders über neue Produktalternativen zu ihrer bisherigen, oft eingeschränkten, Lebensmittelauswahl“, sagt Steffen-Simons.