Fleisch Politisch korrekt, aber kaum mehrheitsfähig

Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung und Tierschutz-Konzepte bieten immer mehr Unternehmen an. Doch der (Massen-)Markt bleibt davon quasi unberührt.

Donnerstag, 15. November 2012 - Fleisch
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Bildquelle: Hoppen

Tierschutz ist Trend, keine Frage, der Marktanteil von Fleisch oder Wurst von Tieren aus artgerechter Haltung ist jedoch kein Massen-, sondern ein Mini-Markt. Das gerät vor lauter Jubelmeldungen aus Handel-, Hersteller- und Vermarkterkreisen schon mal aus dem Blick. Wen erreichen die Forderungen, weniger Fleisch zu essen? Die Deutschen sparen zwar bekanntermaßen am Essen, ernähren sich immer noch so kostengünstig wie kein anderes Volk in der EU, nach dem Motto „viel und billig“, statt wenig und gut. Das kann man bedauern oder auch nicht, es bleibt Fakt.

Den Mehraufwand, den Landwirte, Hersteller und Handel mit Artikeln von Tieren, die artgerecht gehalten wurden, haben, muss irgendwer bezahlen. Es gibt Verbraucher, die dazu bereit sind – zumindest gelegentlich. Aber es gibt auch noch viele Fragen, die ungeklärt sind. Zwar haben zum Beispiel die Edeka -Regionen nun in ihren Fleischwerken Tierschutz-Beauftragte, aber auch die kennen keine Lösung, wie man es hinbekommt, das selbst produzierte Fleisch nicht automatisch zu diskriminieren, wenn man Fleisch aus artgerechter Haltung parallel vermarktet. Ganz zu schweigen von dem Problem in der Bedienungstheke: Glaubhaft würde das nur gehen, wenn man in der Bedientheke das konventionelle Fleisch komplett durch „Tierwohl-Fleisch“ ersetzt.

Nächste Hürde: Das Verkaufspersonal muss geschult werden und gut argumentieren können. Schon bei Bio-Fleisch gelingt das an der Theke oft nicht. Das erleben die Inkognito-Tester für den LP-Branchenwettbewerb Fleisch-Star seit Jahren immer wieder. Von Mehrumsatz sollte deshalb erstmal nicht automatisch ausgegangen werden, doch wer freut sich über ein Umsatzminus oder ein Nullwachstum?

Das wichtigste Kriterium bei Tierschutz-Projekten ist die Glaubwürdigkeit. Vertraut der Konsument einer Marke oder einem Siegel, sitzt das Geld etwas lockerer. Aber auch die Konsequenz darf nicht fehlen. Wenig überzeugend wirkt die übliche Superbillig-Werbung im Handzettel auf Seite 1 und auf Seite 6 eine Anzeige mit Promi-Koch für Fleisch aus artgerechter Haltung.

Und was genau ist artgerecht? Wann fühlt sich welches Tier wohl? Einen sinnvollen Ansatz verfolgt die Rügenwalder Mühle. Sie hat einen „Arbeitskreis zur Förderung des wissenschaftlich begründeten Tierschutzes“ ins Leben gerufen. Ziel ist, wissenschaftliche Arbeiten zu fördern, die grundsätzlich Haltungsbedingungen und Wohlbefinden von Tieren zur Lebensmittelherstellung verbessern. Der Arbeitskreis unter dem Vorsitz von Heidi Rauffus vergibt jährlich 50.000 Euro. „Die Geschäftsleitung der Rügenwalder Mühle musste bis dato immer wieder feststellen, dass ein einzelnes mittelständisches Unternehmen keinen nachhaltigen Einfluss auf die Vorstufen ausüben kann“, so Rauffus. Mit der Gründung des Arbeitskreises wolle man nachdrücklich an Lösungen mitarbeiten.

Allgemein gültige Kriterien gibt es ebenfalls (noch) nicht. Diverse Konzepte existieren parallel und teilweise im Wettbewerb untereinander. Niemand weiß das besser als Dr. Hermann-Josef Nienhoff. Der Geschäftsführer von QS muss Handel, Hersteller, Verarbeiter und Landwirte unter einen Hut bekommen. Eine Optimierung des QS-Systems bezüglich Tierwohl wünscht sich auch Tobias Metten. Tierschutz sei nicht teilbar. „Es ist wenig sinnvoll, beim Thema Tierschutz im Stall ein Zwei-Klassen-System aufzubauen“, so Metten. Nach einer Studie des Deutschen Tierschutzbundes aus dem Jahr 2011 sind nur 20 Prozent der Verbraucher bereit, für mehr als den gesetzlich vorgeschriebenen Tierschutz auch mehr zu bezahlen. Selbstkritisch stellt Metten fest, dass dies an einem „Grundproblem“ der Branche liegen könne, nämlich dem, dass „ein Großteil der Verbraucher heute nicht mehr weiß, wie moderne Tierhaltung und Tierverarbeitung heute funktionieren“. Aufklärung und glaubwürdige Konzepte sind gefragt.

Wöchentlich werden in Deutschland 1,1 Mio. Schweine geschlachtet. Vion will mit wöchentlich 700 bis 800 Tierwohl-Schweinen starten. Das wäre ein Marktanteil von 0,0006363 Prozent.

Auf jeweils eigene Mast-Konzepte setzen Plukon mit Fairmast und Wiesenhof/PHW mit Privathof-Geflügel. Auf das Siegel des Deutschen Tierschutzbundes, das es ab Januar 2013 auf Fleischartikeln im Handel geben soll, vertraut die Coop Kiel und künftig wahrscheinlich auch Kaiser’s Tengelmann, außerdem sind so nun auch die Privathof-Geflügel-Artikel von Wiesenhof gelabelt. Westfleisch (Coesfeld) und Tönnies (Rheda, Sögel) haben Standorte nach dem niederländischen Tierwohl-Zeichen „Beter Leven“ der Tierschutzorganisation „Allgemeen Dierenbescherming“ zertifizieren lassen. Ob der Verbraucher da durchblickt und weiß, was sich hinter welchem Versprechen verbirgt?

Ein kleiner Überblick: Seit rund einem Jahr gibt es auf dem deutschen Markt das „Fairmast“ -Konzept der Plukon Food Group Deutschland (Friki). Es fußt im Wesentlichen auf mehr Platz, Auslauf und tiergerechteren Ställen. Bernhard Lammers, Geschäftsführer Deutschland, zieht eine positive Bilanz. „Die Kaufbereitschaft ist hoch, der um ca. 30 Prozent höhere Preis im Vergleich zu konventioneller Ware, ist kein Hinderungsgrund.“ Das Konzept werde zügig weiter ausgebaut. Pro Woche schlachtet die Unternehmensgruppe derzeit rund 120.000 Fairmast-Hähnchen, die noch immer in niederländischen Mastbetrieben aufwachsen. Im Schulterschluss mit seinen Handelspartnern arbeitet Plukon daran, auch deutsche Mäster einzubeziehen. Man sieht sich selbst als federführend bei der Entwicklung und Vermarktung tierschonend produzierter Geflügelprodukte. Volwaard und Scharrel seien niederländische Konzepte, die auch in Deutschland bekannt geworden seien. Fairmast werde auch in Deutschland auf dem breiten Markt gut funktionieren. Seit 12. November vertreibt Kaufland zunächst in ausgewählten Regionen, ab 2013 bundesweit Fairmast-Hähnchen mit dem von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten entwickelten Siegel „Tierschutz-kontrolliert“.

Seit Oktober 2011 vermarktet Wiesenhof sein Privathof-Geflügel, demnächst (die Betriebe werden gerade zertifiziert) mit dem neuen Label des Tierschutzbundes. Die Tiere haben mehr Zeit zum Wachsen, mehr Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Ställen und einen Wintergarten als Kaltscharraum. Anfangs machten zwölf Höfe mit, aktuell sind es 27. Der Absatz hat sich von 55 t im Oktober 2011 auf 226 t im Oktober 2012 mehr als vervierfacht.

Bereits seit zwei Jahren sammelt Westfleisch mit seiner Aktion Tierwohl Erfahrungen im Markt. Westfleisch hat Zugriff auf ein jährliches Schlachtvolumen von bis zu 400.000 Schweinen aus rund 120 auditierten Betrieben – nur sind solche Mengen noch nicht im Markt. 20 Artikel umfasst das SB-Fleisch- und SB-Wurstsortiment, das in ca. 1.500 Märkten verkauft wurde und wird. Für 2013 kündigt Westfleisch „Weiterentwicklungen“ an. In städtischen Märkten war der Erfolg erheblich besser als in ländlich geprägten Gebieten, in einkommensstarkem Umfeld war die Kaufbereitschaft wesentlich höher als in Gegenden mit geringer Kaufkraft. „Tierwohl-Sortimente passen nicht überall“, lautet das Fazit von Westfleisch-Verkaufsleiter Hubert Kelliger. „Aber wenn die Voraussetzungen stimmen, ist es eine wunderbare Ergänzung zwischen Bio- und Standard-Ware.“

Sehr zufrieden ist man in den Hit-Märkten mit den Aktion-Tierwohl-Artikeln, hat das angebotene Sortiment erst vor einigen Monaten um mehrere Artikel erweitert. HIT-Frische-Chef Ulrich Naujoks hat 2011 auch die Marke „Nature & Respect“ eingelistet. Die aktuell vier Artikel mit einem Preisunterschied zur konventioneller Ware von 25 bis 30 Prozent laufen gut. Eine Daseinsberechtigung haben Tierwohl-Artikel allemal – ob sie es in Deutschland aus dem Promille- in den Prozentbereich schaffen, bleibt abzuwarten.

Die Politik reagiert
Ob im Bund oder den Ländern, das Thema Tierwohl ist in der Politik angekommen. Zwei Beispiele.

{tab=Bundeskabinett}
Das Bundeskabinett hat das Tiergesundheitsgesetz verabschiedet. Es ersetzt das Tierseuchengesetz und forciert Prävention, enthält viele neue Regelungen zum vorbeugenden Schutz vor Tierseuchen, ihrer Bekämpfung sowie zur Verbesserung der Überwachung. Neben Amtsveterinären müssen künftig auch Tiergesundheitsaufseher, Veterinäringenieure, amtliche Fachassistenten und Bienensachverständige Tierseuchen anzeigen. Tiergesundheit ist Thema, z. B. bei eigenbetrieblichen Kontrollen, verpflichtenden Hygiene-Maßnahmen und beim Monitoring über den Gesundheitsstatus von Tieren. Am Friedrich Loeffler-Institut soll eine „Ständige Impfkommission Veterinärmedizin“ etabliert werden, die z.B. Impfempfehlungen abgibt. Das Gesetz dient der Harmonisierung des Tierseuchenbekämpfungsrechts in der EU.
{tab=Die Linke}
Die Linke will ein Klagerecht für Tierschutzverbände. Für Umweltverbände gibt es das bei neuen Großvorhaben seit Langem. Ein Antrag im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern wurde von den Grünen unterstützt, von der Regierungsmehrheit aber abgelehnt. Agrarminister Till Backhaus (SPD) zufolge beschäftigt sich der Tierschutzbeirat des Landes derzeit mit einem ähnlichen Gesetzentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen.

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