LP-Roundtable Ohne Politik kein Wachstum – was die Bio-Branche jetzt braucht

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Wie kann der Handel die Wertschöpfung von Obst und Gemüse durch Bio steigern? Welche Herausforderungen sind zu meistern? Darüber sprach die Lebensmittel Praxis mit Branchenvertretern.

Mittwoch, 30. Oktober 2024, 07:00 Uhr
Bettina Röttig und Hedda Thielking
Artikelbild Ohne Politik kein Wachstum – was die Bio-Branche jetzt braucht
„Wenn man zwischen Verbandsware 
wie Naturland und Bioland Konkurrenz aufbaut, lähmt das die Bio-Ware.“ Markus Bobenhausen, Einkaufsleiter Obst/Gemüse, Rewe Group
Freuten sich auf den Austausch (v. l.): Raphael Kennerknecht (Lehmann Natur), Markus Bobenhausen (Rewe Group), Hedda Thielking­ und 
Bettina Röttig (LP), Janine und Andrea Tonscheidt (E-Center Angerbogen), Thomas Kühnle (Edeka Rhein-Ruhr) sowie Oliver Mans (Landgard). Bildquelle: Peter Eilers

Auch wenn sich die Bio-Branche allmählich von der Kaufzurückhaltung der Verbraucher erholt, ist das Ziel der Bundesregie­rung, dass bis zum Jahr 2030 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen auf ökologischen Landbau umgestellt sein sollen, eine Herausfor­derung. In der EU liegt das Ziel bei 25 Prozent. Was bedeutet das für Erzeuger, Importeure und Händler von Obst und Gemüse? Welche Hürden gibt es? Wie kann die Branche sie bewältigen? Diese Fragen diskutier­ten Branchenvertreter in dem Round-Table-Gespräch „Mehr Wertschöpfung von Obst und Gemüse durch Bio“, zu dem die Lebensmittel Praxis eingeladen hatte. Gastgeber waren Andrea und Janine Tonscheidt, Inhaberinnen des E-Centers Angerbogen in Duisburg. Der Markt hatte im vergangenen Jahr die Trophäe Supermarkt des Jahres in der Kategorie „Selbstständige bis 2.500 Quadratmeter“ gewonnen und beeindruckte die Gesprächsteilnehmer auch mit seinem Bio-Sortiment. Allein in der Warengruppe Obst und Gemüse erzielt er 16 Prozent des Umsatzes mit Bio-Ware und liegt damit rund 
5 Prozent über dem durchschnittlichen Bio-Umsatzanteil in NRW. „Das haben wir unserem tollen Team zu verdanken, das voll hinter Bio steht. Zudem verfügen unsere Kunden aus dem Düsseldorfer Norden über eine hohe Kaufkraft“, erläutern Andrea und Janine Tonscheidt.

Die Politik muss unterstützen

Wie können wir Bio vorantreiben? Die Gesprächsteilnehmer sehen die Politik in der Verantwortung. Markus Bobenhausen, Einkaufsleiter Obst und Gemüse bei der Rewe Group, sagt: „Die Regierung hat sich zwar viele Maßnahmen vorgenommen. Die Kunst ist aber, alles auf die Reihe zu bekommen und kundenorientiert zu kommunizieren. Es ist nicht nur damit getan, dass der Erzeuger umstellt und wir Sortimente listen.“ Oliver Mans, CEO Landgard, appelliert etwas schärfer an die Regierung: „Wenn sie sich darauf verlässt, dass die Marktwirtschaft das Ziel schon erreichen wird, dann sehe ich das 30-Pro­zent-Ziel als gefährdet an. Wir brauchen flankierende Maßnahmen.“ Der Landgard-Chef nennt beispielhaft den Pflanzenschutz. „Man kann die An­­zahl und Höchstmengen der Pflanzenschutzmittel nicht permanent reduzieren, ohne dass sich dies auf Men­­gen und Qualitäten auswirkt, zumal Bio-Pro­dukte auch einen gewissen Schutz benötigen.“ Thomas Kühnle, Bereichsleiter Obst und Gemüse bei Edeka Rhein-Ruhr, fordert, dass Gesetze und Verordnungen angepasst werden müssen: „Hydroponische Salate, also Salate, die in einer Nährstofflösung produziert werden, dürfen laut EU-Öko-Verordnung nicht als Bio-Ware vermarktet werden, weil sie nicht im Boden wachsen. Dabei ge­­deihen sie ohne Pflanzenschutzmittel und benötigen rund 90 Prozent weniger Wasser.“ Außerdem solle die Politik eine Vorbildfunktion übernehmen. Schließlich sei auch eine finanzielle Unterstützung für die ökologische Erzeugung erforderlich, zumin­dest während der dreijährigen Umstellungsphase. In dieser Phase dürfen die Landwirte ihre Produkte noch nicht als Bio-Ware verkaufen.

Warenbeschaffung schwierig

Raphael Kennerknecht, Geschäftsführer Lehmann Natur, Importeur und Erzeuger von Bio-Obst und -Gemüse, sieht die größte Herausforderung in der Warenverfügbarkeit: „Wir sind momentan (Ende September) nicht in der Lage, den Handel ausrei­chend mit Bio-Paprika und -Zucchini zu versorgen, da die deutsche Saison beendet ist und die spani­sche noch nicht begonnen hat. Wir beziehen unsere Bio-Ware deshalb vermehrt aus Marokko, Ägypten und der Türkei. In der Türkei gibt es einen Standort mit Geothermie. Mit dem 72 Grad warmen Wasser können wir Gewächshäuser beheizen.“ Der Lehmann-Natur-Geschäftsführer spricht noch einen weiteren Punkt an: „In Spanien sind die Bioflächen derzeit rückläufig, und die Auszahlungspreise für Bio und konventionelle Ware unterscheiden sich dort oft nicht mehr. Zudem verursacht die händische Verpackung von Bio-Tomaten zusätzliche Kosten, sodass der Bio-Bauer am Ende denselben Preis erhält wie der konventionelle. Den Bio-Bauern fehlen somit die Anreize. Damit haben wir zu kämpfen.“

Auch Branchenvertreter in der Pflicht

Trotz Kritik an der Politik sehen sich Branchenvertreter aber auch selbst in der Pflicht, sich für Bio einzusetzen. Die Rewe unterstützt zum Beispiel in Kooperation mit Naturland Landwirte, die von konventionellem auf ökologischen Anbau umstellen wollen, mit dem Wegbereiter-Konzept. „Wir wollen aber nicht, dass die Wegbereiter-Produkte mit bestehenden Bio-Produkten in der Region konkurrieren. Deshalb suchen wir Landwirte, die zum Beispiel unser Bio-Portfolio erweitern“, betont Markus Bobenhausen. Dass das nicht immer einfach ist, weiß auch Thomas Kühnle: „Bio-Kirschen wären sicherlich zu verkaufen, sie sind hierzulande aber nicht verfügbar.“ Oliver Mans schlägt vor: „Wenn der Handel auf die Erzeuger zugeht und ihnen die Abnahme garantiert, sind die Produzenten eher bereit, auf Bio umzustellen.“ Markus Bobenhausen ergänzt: „Erst wenn wir für die Erzeuger entspre­chende Verbindlichkeit geschaffen haben, können wir mit den Bio-Produkten werben.“

Bio und konventionell zu gleichem Preis?

Für Diskussionsstoff sorgte auch der Preis für Bio-Ware. „Der Preis ist nicht das alleinige Kaufkrite­rium“, ist Thomas Kühnle überzeugt. Raphael Kennerknecht sieht mitunter beim Geschmack noch Verbesserungsbedarf, um Wiederverkäufer zu gewinnen. Er regt zudem an, der Handel solle B-Artikel wie Limette und Ingwer nur in Bio anbieten, da sie ohnehin nahezu preisgleich zu konventionel­ler Ware sind. Da geht Thomas Kühnle allerdings nicht mit: „Edeka hat vor zwei, drei Jahren Ingwer nur in Bio angeboten. Die Folge: Kunden haben Ingwer seltener gekauft. Sie verbinden Bio immer mit einem preislichen Aufschlag. Das ist aber nicht zwingend so. Wir brauchen deshalb mehr Kommunikation. Wir sind noch nicht so weit, dass wir Produkte nur in Bio anbieten können.“ Raphael Kennerknecht antwortet: „Deshalb muss man darüber nachdenken, Bio- und konventionelles Obst und Gemüse weiterzuführen und preisgleich auszu­zeich­nen.“ Markus Bobenhausen gibt jedoch zu bedenken, dass das nicht bei jedem Produkt funktioniert.

Dafür hat Oliver Mans eine Erklärung: „Die Preisabstände zwischen konventioneller und Bio-Ware in den Warengruppen sind unterschiedlich groß. Bei Obst und Gemüse sind sie viel enger beieinander als zum Beispiel bei Fleisch. Obst und Gemüse leiden darunter, dass der Verbraucher kein Gefühl für die Preisunterschiede hat. Eine Parallelführung der Preise für Bio- und konventionelle Ware signalisiert dem Kunden: Bio muss nicht teurer sein.“ Diese Parallelführung habe der Bio-Banane gutgetan, weil sie preislich immer auf dem Niveau der Marke Chiquita war. „Das heißt“, so Oliver Mans weiter, „der Kunde kann wählen und erkennt, dass die Bio-Banane nicht teurer ist. Dann entscheidet er sich auch für Bio. Irgendwann lernt der Kunde das. Dann und erst dann kann man den Anteil konventioneller Produkte im Sortiment anpassen.“ Markus Bobenhausen sagt zum Preisthema: „Bio ist kein Nischenprodukt mehr und wird nicht mehr mit hohen Ma­rgen verkauft. Die Wertschöpfung sollten wir auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Emotionen betrachten und nicht nur aus rein finanzieller Sicht.“

Dass Bio emotional behaftet ist, zeigt sich bei jungen Familien. „Viele von ihnen kaufen für ihre Kinder, aber nicht für sich selbst Bio-Ware. Werden die Kinder älter, rückt der Preis in den Vordergrund. Das ist ein gesellschaft­liches Problem, an dem man arbeiten muss“, betont Oliver Mans.

Mehr Glaubwürdigkeit durch Kommunikation

„Zudem haben wir bei Bio immer noch ein Glaub­würdigkeitspro­blem“, fügt Raphael Kennerknecht hinzu. „Viele Verbraucher zweifeln, ob wirklich Bio drin ist, wo Bio draufsteht. Wir müssen mehr in Beratung und Aufklärung investieren, um für mehr Glaubwürdigkeit zu sorgen und bei den Verbrau­chern das Bewusstsein für Bio zu steigern. In England wird Bio oft mit Umweltschutz verknüpft. Vielleicht ist das ein Ansatz.“ Die Kommunikation für Bio-Obst und -Gemüse ist laut Markus Bobenhausen herausfordernd: „Die vielen Öko-Anbauverbände sorgen dafür, dass der Bio-Charakter zum Teil etwas unübersichtlich wird. Wie soll der Verbraucher bei den unterschiedlichen Siegeln noch durchblicken? Außerdem konkurriert Bio in der Kaufüberlegung mit Regionalität, Klimaneutralität oder Fairtrade. Hinzu kommt: Obst und Gemüse gelten generell als gesund, egal ob Bio oder konven­tionell. Die Kunst ist es, für ein gesundes Lebensmittel den Mehrwert für Bio-Ware herauszustellen.“

Schulungen und Verkostungen

Wie Händler Bio im Markt pushen können, weiß Andrea Tonscheidt: „Wir entwickeln mit den 
Mitarbeitern Ideen, und unsere Köche bereiten jede Woche im Markt eine Verkostung vor. Dafür haben wir eine eigene Verkostungsdame. Sie informiert sich über die Produkte, kreiert neue Rezepte und kann etwas dazu erzählen.“ Janine Tonscheidt
 ergänzt: „In Social-Media-Kanälen berichten wir darüber und erreichen so viele junge Kunden.
 Großen Wert legt legen wir zudem auf Mitarbeiter-
schulun­gen. Die Kunden wollen den Unterschied zwischen Bio- und konventioneller Ware wissen. Nur wenn die Mitarbeiter das Know-how haben, können sie die Produkte auch verkaufen. Des Weiteren informieren wir uns jedes Jahr auf der Messe Biofach in Nürnberg.“

Die Diskussionsrunde im E-Center Angerbogen in Duisburg hat gezeigt: Die Produktion und Vermarktung von Bio-Obst und -Gemüse in Deutschland ist kein Selbstläufer, sondern bedarf konkreter Maßnahmen seitens der Politik und der Marktbeteiligten.

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wie Naturland und Bioland Konkurrenz aufbaut, lähmt das die Bio-Ware.“ Markus Bobenhausen, Einkaufsleiter Obst/Gemüse, Rewe Group
Bild öffnen „Wir haben ein tolles Team, das selber hinter Bio steht und geschult ist. So 
können wir Bio erfolgreich verkaufen.“ Andrea Tonscheidt, Inhaberin E-Center Angerbogen
Bild öffnen „Wir verteuern durch Verpackung die Bio-Ware erheblich. Leider brauchen wir sie zur Differenzierung.“ Raphael Kennerknecht, Geschäftsführer Lehmann Natur
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Bild öffnen „Da viele unserer Kunden auf Umweltschutz achten, kaufen sie lieber lose 
Paprika als verpackte Bio-Paprika.“ Janine Tonscheidt, Inhaberin E-Center Angerbogen
Bild öffnen „Alles, was in Deutschland wächst, 
sollte als konventionelle und als 
Bio-Ware verfügbar sein.“
Thomas Kühnle, Bereichsleiter Obst/Gemüse, Edeka Rhein-Ruhr