Die Zukunft des Bio-Anbaus 30 Prozent Bio bis 2030 - ein realistisches Ziel?

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Ob das Regierungsziel von 30 Prozent Bio-Anbau bis 2030 erreicht wird, ist fraglich. Das IFH Köln sieht dazu zwei Szenarien und hat erforscht, wie sich der Einkauf der Bio-Kunden jeweils verändert.

Freitag, 02. August 2024, 06:00 Uhr
Hedda Thielking
Artikelbild 30 Prozent Bio bis 2030 - ein realistisches Ziel?
Bildquelle: Getty Images

Da hat sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ein strammes Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2030 sollen 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen ökologisch bewirtschaftet werden. Stimmt, das ist nichts Neues. Neu ist aber die Studie „30/30: Bio-Revolution im Lebensmittelhandel“, die das In­stitut für Handelsforschung IFH Köln durchgeführt hat. Es wollte wissen: Wie verhält sich der Kunde bei einem wachsenden Bio-Angebot? Was bedeutet dies für den Lebensmittelhandel? Dazu hat das IFH Köln Marktdaten recherchiert sowie im Februar und März dieses Jahres 1.554 Lebensmitteleinkäufer online befragt. Die wichtigsten Studienergebnisse stellte Dr. Eva Stüber, Mitglied der IFH-Geschäftsfüh­rung, im Juli vor.

Eins vorweg: Die Handelsforscher sind von zwei verschiedenen Szenarien ausgegangen. Beim „Trend“-Szenario entwickeln sich die ökolo­gisch bewirtschafteten Flächen wie bisher (von 2010 bis 2023) bis 2030 weiter. Das „Best-Case“-Szenario sieht vor, dass das Ziel „30 Prozent Ökoflächenan­teil“ bis 2030 erreicht wird.

Ökoflächen- und Bio-Umsatzanteil

Zur Flächenentwicklung: Im vergangenen Jahr wurden rund 1,9 Millionen Hektar ökologisch bewirtschaftet. Das entspricht einem Anteil an der gesamten Landwirtschaftsfläche von 11,2 Prozent. In der Trendentwicklung wächst dieser bis 2030 auf 14 Prozent. Das 30/30-Ziel liegt somit in weiter Ferne.

Und was bleibt beim Handel hängen? Im vergangenen Jahr betrug der Umsatzanteil von Bio am Gesamtmarkt „Lebensmittel und Getränke“ (einschließlich Importe) 7,4 Prozent (16,3 Milliarden Euro). In der Trendentwicklung rechnet das IFH Köln mit einem Bio-Anteil von 8,1 Prozent (21,8 Milliarden Euro). Im Best-Case-Szenario steigt der Umsatzanteil bis 2030 auf 17,3 Prozent (46,4 Milliarden Euro). Die Zahlen zeigen: 30 Prozent Ökofläche bedeutet nicht, dass der Handel künftig 30 Prozent seines Umsatzes mit Bio erwirtschaftet (siehe obere Grafik). Das hat unter anderem folgende Gründe: Landwirte nutzen die Flächen als Ackerland, Grünland oder Dauerkulturen, und je nach Kultur schwanken Ertrag und Erlös je Hektar stark.

Ökofläche

Kaufverhalten unter der Lupe

Um das Käuferverhalten zu analysieren, wurden die Befragten drei Käufergruppen zugeordnet: Fokus-Bio-Käufer, Bio-Käufer und Nicht-Bio-Käufer (siehe mittlere Grafik). Ein Blick auf ihre bevorzugten Einkaufsstätten zeigt, dass Fokus-Bio-Käufer vor allem im Supermarkt anzutreffen sind (33,1 Prozent). Im Discounter shoppen die meisten Menschen, für die Bio kein Muss ist (59,7 Prozent). Wohingegen die meisten Nicht-Bio-Käufer ein SB-­Waren­haus aufsuchen (29,1 Prozent).

Wichtigster Treiber für den Kauf von Bio-Pro­dukten ist für alle drei Gruppen der Geschmack, gefolgt von Gesundheit und Nachhaltigkeit. Aller­dings spielt der Nachhaltigkeitsaspekt für die Fokus-Bio-Käufer eine wichtigere Rolle als für die anderen Gruppen. „Das ist deshalb interessant, da in den Marketingaktivitäten Geschmack und Gesundheit bisher kaum im Vordergrund stehen“, berichtet Dr. Eva Stüber.

Bio für Konsumenten

Gründe für Abwanderung

Auch wenn 91 Prozent der Konsumenten Bio-Pro­dukte kaufen, unterliegt Bio Schwankungen, wie jüngst die Inflation gezeigt hat. Kauften im Jahr 2023 noch 42 Prozent der Befragten weniger Bio, waren es im vergangenen Jahr nur noch 15 Prozent. Bio bekommt somit wieder mehr Relevanz. Trotzdem zögern manche Händler, dieses Sortiment auszubauen, da viele Kunden damit höhere Preisen assoziieren, obwohl das nicht immer der Fall ist. Händler befürchten aber, dass sie Kunden abschrecken, die sich für Bio kaum interessieren. Diese Sorge bestätigt die Studie nicht: Kunden wechseln das Geschäft nicht wegen eines zu großen, sondern wegen eines zu kleinen oder nicht ansprechenden Bio-Sortiments. 10 Prozent wechseln die Einkaufsstätte, wenn die Qualität minderwertig ist (siehe Grafik unten). „Das klingt wenig, aber: Gefällt der Kundschaft das Bio-Angebot nicht, wandern zweieinhalbmal so viele Personen ab wie bei zu hohen Preisen“, erläutert Dr. Eva Stüber. Und: Mehr als ein Drittel der Nicht-Bio-Käufer kann nicht beurteilen, wie sich das Bio-Sortiment verändert hat. Sie nehmen es gar nicht wahr.

Bio-Auswahl

 

„Bio-Profil unbedingt schärfen“

Was kann der Handel aus den Ergebnissen der Studie „30/30: Bio-Revolution im Lebensmittelhandel“ folgern? Die LP sprach mit Dr. Eva Stüber. Sie ist Mitglied der Geschäftsleitung IFH Köln. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf der Zukunft des Lebensmittelhandels. Sie ist Studienautorin der Studie „30/30: Bio-Revolution im Lebensmittelhandel“.

Ihre Studie ergab: Kunden wechseln die Einkaufsstätte, wenn ihnen die Bio-Qualität nicht gefällt. Wozu raten Sie den Händlern?
Eva Stüber: Ein hoher Qualitätsstandard stellt den Handel insbesondere bei den Frischesortimenten wie Obst, Gemüse und Backwaren vor Herausforderungen. Vor allem, wenn sie nicht der „Norm“ entsprechen. Händler können sie gesondert platzieren und mit lustigen Sprüchen versehen, zum Beispiel „Ich bin eine Möhre, ich bin krumm, aber lecker“. Und auch reduzierte Preise können Anreize schaffen.

Wie sehen Sie die Rolle der Discounter in der­ ­zukünftigen Entwicklung des Bio-Marktes?
Alle Formate können vom wachsenden Bio-Markt profitieren. Sie erfüllen unterschiedliche Rollen für die verschiedenen Anforderungen der Bio-Kundschaft. Für Discounter heißt es zum jetzigen Zeitpunkt, die Menschen an Bio heranzuführen und sie beim täglichen Einkauf mit Bio zu versorgen.

Und die Rolle der Supermärkte im Bio-Markt?
Für Supermärkte heißt es dagegen, näher an das Angebot des Bio-Fachhandels heranzurücken, um Fokus-Bio-Kundschaft besser ansprechen zu können. Unter dieser Zielgruppe verstehen wir Konsumentinnen und Konsumenten, die möglichst bis ausschließlich Bio-Produkte kaufen.

Können eher hochpreisige Supermärkte mit hohem Bio-Anteil wie Alnatura oder Tegut noch bestehen?
Aufgrund der Markenpräferenzen ist die Gefahr, dass Kunden vom Bio-Fachhandel zum Discounter wechseln, eher gering, auch wenn das Angebot an Bio-Produkten in den unterschiedlichen Einkaufsstätten zunehmen wird. Es kommt auch hierbei darauf an, dass die eher hochpreisigen Supermärkte mit hohem Bio-Anteil ihr Profil schärfen.

Welche Rolle spielt der Bio-Fachhandel künftig 
im Vergleich zu herkömmlichen Supermärkten?
Für Supermärkte als Grundversorger ist die Ausgangssituation im wachsenden Bio-Markt erst einmal besser. Für den Bio-Fachhandel geht es aber insbesondere darum, Spezialist für ein breites und tiefes Bio-Sortiment zu werden, und zwar mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit. Auch hierbei geht es um Profilschärfung.

Welche Maßnahmen sind notwendig, um das Ziel 30 Prozent Öko-Flächen bis 2030 zu erreichen?
Bevor Landwirte in ökologisch bewirtschaftete Flächen investieren, brauchen sie Gewissheit, dass ihr Absatz gesichert ist. Eine zielgerichtete finanzielle Unterstützung seitens der Politik kann zusätzlich einen Schub geben. Wichtig ist auch, das Konsumentenbewusstsein für Bio-Erzeugnisse generell zu stärken. Das Flächenziel ist sportlich, aber wo ein Wille ist, gibt es auch Wege.