Bio-Produkte Heben Bio-Umsätze ab? - Interview mit Markus Rippin

Der aktuelle Dioxin-Vorfall beflügelt die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln. Doch der klassische LEH muss an seinem Image arbeiten.

Donnerstag, 10. Februar 2011 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Heben Bio-Umsätze ab? - Interview mit Markus Rippin
Discount verliert (Quelle: Nielsen CatCom Food LEH + DM)
„Krisen beschleunigen den Bewusstseinswandel"

Der Discount, noch vor wenigen Jahren wesentlicher Treiber des Bio-Booms, kann diese Rolle nicht mehr ausfüllen. Die Umsätze der Discounter entwickelten sich 2010 ersten Schätzungen zufolge unterdurchschnittlich, Lidl hat sein Sortiment z.B. verkleinert. Eigentlich gute Voraussetzungen für die Vollsortimenter, Marktanteile zu erobern. Schöpft der klassische LEH sein Potenzial aus?
Nicht nur Lidl auch Netto und Penny hatten ihr Bio-Sortiment - entgegen den öffentlichen Bekundungen in Bio stark engagiert zu bleiben - deutlich verkleinert. Teilweise werden für ausgelistete Artikel Neukreationen ins Sortiment aufgenommen, deren Vermarktungserfolg zweifelhaft erscheint. Penny hat allerdings in der zweiten Januarhälfte das Bio-Sortiment wieder deutlich erweitert und damit das angekündigte Engagement in diesem Bereich bestätigt [Anm. der Redaktion: Diese Information lag erst nach Redaktionsschluss vor]. Die engagierten selbstständigen Kaufleute ergänzen das Handelsmarkensortiment ihrer Zentralen durch regionale Bio-Lieferanten und gewinnen dadurch erheblich an Vertrauen bei den Verbrauchern. Der anonyme Bio-Ware der Handelsmarken misstrauen sogar die eigenen Kaufleute inzwischen. Daher hängt der Erfolg der Vollsortimenter stark an dem eigenen Engagement und den vertrauensbildenden Maßnahmen.

Der Dioxin-Vorfall hat Bio zumindest in einigen Segmenten im konventionellen LEH deutlich Auftrieb verschafft. Kann Bio hier nur noch durch solche Skandale wachsen?
Markus Rippin: Bio wächst dort, wo den Produkten vertraut wird, im mittleren einstelligen Bereich, ob mit oder ohne Krise. Das ist gesund und gut so. Hohe Wachstumsraten sind ungesund und verleiten nur dazu, auf den Zug aufzuspringen, ohne es wirklich ernst zu meinen. Das Wachstum durch Skandale ist meist nur kurzfristiger Natur. In einigen Wochen haben 80 Prozent der Verbraucher wieder vergessen was passiert ist und kaufen nach altem Muster. Die 10 bis 20 Prozent, die durch eine solche Krise grundsätzlich ihr Kaufverhalten ändern, sind die Stammkäufer, die durch solche Situationen gewonnen werden. Allerdings würden diese Kunden über kurz oder lang ohnehin zu Bio wechseln, da sie sich über ihr Kaufverhalten immer mehr bewusst werden, ob mit oder ohne Krise. Somit beschleunigt eine solche Krise nur den Bewusstseinswandel, der sich auch ohne sie eingestellt hätte.

Welches Potenzial bietet Bio + Regional?
Vertrauen - Transparenz - Fairness und handwerkliche Lebensmittel-Qualität sind die Erfolgsfaktoren von Heute und Morgen. Auch im konventionellen Markt hat man das längst erkannt und setzt zunehmend auf diese Aspekte. Allerdings werden hier auch oft Schnellschüsse produziert, die bei näherem Hinsehen nicht viel mehr als heiße Luft sind. Das merken die Verbraucher und so werden sich diese Aktionen nicht durchsetzen. Wenn man sich auf diese Themen fokussiert, dann sollte man es gleich richtig machen und von Anfang bis Ende durchdenken und auch umsetzen. Reine Schlagwörter wie Regional, Nachhaltig, Fair, von Familienbetrieben etc. sind schnell entlarvt, wenn sie nicht halten, was sie versprechen. So ein Konzept kostet Arbeit, Zeit und Geld und das muss sich auch in den Endverbraucherpreisen niederschlagen. Tut es das nicht, stimmt an irgend einer Stelle etwas nicht. Und wenn die Preise entsprechend anziehen, dann sind auch Bio-Produkte meist kaum noch teurer. Also warum dann nicht gleich Nägel mit Köpfen machen ?

Wo sehen Sie noch Wachstumschancen für Bio im klassischen LEH?
Es gibt zahlreiche Artikel vor allem aus dem Verarbeitungsbereich, die Bio-Käufer nur in konventioneller Qualität kaufen können, da sie in Bio bislang nicht angeboten werden. Würde man den Bedarf der Kunden untersuchen, würden zahlreiche Produktideen zu Tage treten, die erhebliches Absatzpotenzial haben. Auch die Frischesortimente haben noch viel Potenzial, vor allem auch für deutsche Erzeuger. Die Tierhaltung ist ein sensibles Thema mit einigen ungelösten Faktoren. Langfristig können bei Fleisch, Wurst, Geflügel und Eiern noch Potenziale ausgeschöpft werden. Allerdings ist hier eine tiergerechte Haltung und Fütterung das A und O. Leider muss man feststellen, dass in diesem Bereich aber zunehmend versucht wird, Bio zu Mindestanforderungen umzusetzen. Das wird langfristig nicht funktionieren und könnte das Bio-Image der Branche beschädigen.

Mit welchen Herausforderungen hat die Bio-Branche aktuell zu kämpfen?
Das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit des Bio-Versprechens hat noch erhebliches Optimierungspotenzial. Das fängt bei den Kontrollstellen und der Kontrollpraxis an. Insbesondere Importware wird argwöhnisch betrachtet. Diese müssten deutlich enger miteinander vernetzt werden und mehr zusammen arbeiten, um Lücken zu schliessen und Mengenflüsse dokumentieren zu können. Die Politik ist derzeit der schlimmste Hemmschuh. Wenn jetzt einige Bundesländer anfangen, die Öko-Förderung zu reduzieren oder gar zu streichen, dann entspricht das nicht dem Wunsch der Wähler nach mehr Lebensmittelsicherheit, weniger chemischen Rückstände und einem verantwortungsvollerem Umgang mit unseren Ressourcen. Damit entfernen sich die Volksvertreter von der Basis. Gerade in Zeiten von Lebensmittelskandalen, welche immer wieder durch den Niedrigpreiswettbewerb verursacht werden, sind sachlich nicht nachvollziehbar. Derartige Entscheidungen können wir uns in Zeiten steigender Erkrankungen wie bspw. Allergien, Gesundheitskosten und Umweltschäden, Klimawandel, Ressourcenknappheit und Anreicherung von chemischen Rückständen in Lebensmitteln schlichtweg nicht leisten. Auch die Ausweitung des Bundesprogramms Ökologischer Landbau auf völlig nichtssagende Bereiche zeigt, dass jedenfalls nicht die Wünsche der Verbraucher, oder Tatsachen und Fakten die Entscheidungen unserer Vertreter bestimmen. Eine besorgnisseregende Entwicklung!

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Bild öffnen Markus Rippin, Inhaber AgroMilagro Research.

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