Baden-Württemberg Eine Frage des Vertrauens

Mit „Schmeck den Süden“ setzen Baden-Württemberg und die Marketing-Gesellschaft MBW einen starken Akzent auf Regionalität. Ein „runder Tisch“ in Stuttgart betrachtete diesen Aspekt unter verschiedenen Blickwinkeln.

Mittwoch, 08. September 2010 - Länderreports
Elke Häberle
Artikelbild Eine Frage des Vertrauens
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Inhaltsübersicht

Unternehmen aus Baden-Württemberg:

Franz Simmler GmbH: Leckeres für Schleckermäuler
Dinkelacker-Schwaben Bräu: Der Wulle-Coup
Obst vom Bodensee: See-Treff
Omira Oberland-Milchverwertung: Hilfe für Allergiker
Seitenbacher: Mehr als Müsli
Alb-Gold Teigwaren: Nur ohne
WZG Weine: Gekrönte Tropfen
Cornelius Wurstwaren: In neuem Glanz
Buck Nudelspezialitäten: Umgestellt
Seeberger: Mango-Hit
Kaiser: Wohlfühl-Spezialitäten
Hans Adler OHG: Badische Schmankerl
Tress: Expansiv
Alpirsbacher Klosterbräu: Wertvoll
Schwarzwaldhof Fleisch- und Wurstwaren: Herzhaft zur Sache
Teigwarenfabrik Jeremias: Natur pur
Breisgaumilch: Regional
Bürger: Raus aus dem Süden
Hermann Wein Schwarzwälder Feinschinken-Manufaktur: Viele neue Ideen

Herr Abramzik, als Inhaber eines Rewe-Marktes in Baden-Württemberg die Frage an Sie: Ist der Boom regionaler Lebensmittel eine vorübergehende Erscheinung oder nachhaltige Veränderung ?

Klaus Abramzik: Der Begriff ist schwer zu fassen. Es gilt zwischen regionalen und lokalen Produkten zu unterscheiden. Unsere lokalen Lieferanten kommen aus einem Umkreis von etwa 15 Kilometern und sind für uns wichtiger als „Überregionale“. Die Lokalen haben wir seit vielen Jahren, und deshalb ist es auch keine vorübergehende Erscheinung, sondern ein nachhaltiger Markt. Wir haben aber beide im Markt.

Brigitta Hüttche: Je tiefer man in die Materie eindringt, desto deutlicher wird, wie komplex dieser Begriff eigentlich ist und desto schwieriger wird es, überhaupt eine eindeutige Definition zu finden. Beispiel: Fange ich beim Rohstoff an, gehe ich nur über die Verarbeitung oder nehme ich den Umkreis, den ein Mensch als „seine“ Region wahrnimmt? Bei Letzterem sind wir dann ganz schnell beim Lokalen angelangt.

Reimut Vogel: Mit Sicherheit gibt es lokale Marken, die sehr interessant sind und ein Sortiment anreichern. Es reicht aber durchaus, wenn regionale Produkte im Sortiment vertreten sind. Eine starke Marke wie beispielsweise „Schmeck den Süden Baden-Württemberg“ fängt den lokalen Aspekt mit auf.

Herr Hönig, Ihr Standpunkt?

Christoph Hönig: Regionalität muss immer aus der Sicht des Kunden gesehen werden. Nehmen wir z. B. Spargel und Äpfel. Für einen Kunden am Bodensee ist der Apfel ein regionales Produkt. Beim Spargel, der nur im geringen Umfang am Bodensee angebaut wird, kommt der regionale Spargel in erster Linie vom Bodensee und dann aus dem Rheintal. Für einen Kunden auf der Schwäbischen Alb ist das einfacher. Für ihn sind der Bodensee-Apfel und der Rheintal-Spargel ein regionales Produkt.

Verwirrend – wie kommt der Verbraucher damit klar?

Vogel: Bleiben wir beim Beispiel „Schmeck den Süden“, also einer starken Marke oder einem starken Träger. Da sehe ich den Unterschied zwischen „lokal“ und „regional“ in seiner ganzen Größe nicht. Wenn ich heute ein Produkt mit „Baden-Württemberg“-Label sehe, ist das ein Stück Heimat. Und das ist genau das Stückchen Vertrauen, das der Verbraucher in der globalisierten Welt sucht. Künftig noch stärker als heute.

Hönig: Die Diskussionen über Klimaerwärmung und Umweltschutz spielen der Regionalität in die Hände. Der Punkt ist aber ein anderer – die generelle Bewegung zu kleineren Strukturen. Auch im Handel gibt es eine Gegenbewegung. Im selben Atemzug wie kleinere Hersteller bei großen Handelsketten verschwinden, gibt es immer mehr Händler, die regionale Anbieter listen.

Discounter steigen ebenso wie große Handelsketten mit Eigenmarken ins regionale Boom-Geschäft ein. Fluch oder Segen?

Hönig: Wenn ein Discounter wie Lidl ankündigt oder Ketten wie Edeka oder Rewe sich klar zu Regionalität bekennen, ist dies die größte Anerkennung und ein Beleg dafür, wie viel Potenzial in dem Segment schlummert – einerseits …

Abramzik: Die drohende Gefahr: Wenn Regionalität breit und massiv im Discounter ankommt, dann droht die Preisspirale nach unten.

Hüttche: Wenn man sich ansieht, was im Handel alles als regionales Produkt beworben wird, dann stellt sich schon die Frage, ob nicht von einigen ein aktueller Trend genutzt wird, um sich an ein emotional bedeutsames Gut zu hängen und damit Glaubwürdigkeit zu verbrennen.

Vogel: Die Gefahr besteht, dass mit dem Vertrauen und den Gefühlen der Verbraucher gespielt wird. Hier ist Achtung gefordert: vor dem Landwirt, den Zulieferern, den Verbrauchern. Wenn nicht, zerstöre ich eine gewachsene Welt. Preisschlachten entwerten jede Marke und ruinieren auch das Thema Regionalität.

Sind große Ketten überhaupt in der Lage, das Thema glaubwürdig zu besetzen und logistisch zu managen?

Hüttche: Je größer die Handelsketten beziehungsweise der Radius desto schwieriger wird es. Regio- oder gar bundesländerübergreifende Systeme aufzusetzen und das Thema glaubwürdig zu transportieren und nach vorne zu bringen, ist schwierig. Aus diesem Grund ist es für uns zwar auf den ersten Blick durchaus erfreulich, wenn Lidl auf den regionalen Zug aufspringt und das Thema vorantreibt. Ein Knackpunkt: Regionale Produkte sind nicht unendlich multiplizierbar und es besteht die Gefahr, dass der Begriff an Glaubwürdigkeit verliert.

Hönig: Dass sind genau die zwei Herzen, die in meiner Brust schlagen. Gemeinsam mit den Großen bringen wir das Thema Regionalität voran und erreichen für beide Seiten, also Landwirte und Händler, mehr Wertschöpfung. Dass dies weiterhin so bleibt, darin liegt die große Verantwortung der Handelskonzerne – aber auch die Gefahr für das Thema.

Worin besteht denn der besondere Reiz regionaler Produkte aus Sicht der Verbraucher? Worin liegt der Aufwind begründet?

Abramzik: In der höheren Wertigkeit der Produkte.

Vogel: Die Verbraucher wollen Sicherheit und Zuverlässigkeit. Wie bei Bio auch, wollen sie weg von Pestiziden und wie auch immer belasteten Lebensmitteln etc. Und den Konsumenten ist bewusst, dass sie damit Arbeitsplätze sichern und nachhaltig handeln.

Hönig: Wer die Streuobstwiesen im Frühjahr am Bodensee sehen und genießen möchte, der muss im Herbst auch den Apfelsaft der dort ansässigen Erzeuger kaufen und nicht den Saft mit Konzentrat aus China im Tetrapack beim Discounter. Diese Zusammenhänge muss man dem Verbraucher deutlich machen. Versteht er sie, ist er bereit, einen höheren Preis zu bezahlen.

Stichwort Bio: Ergänzen oder kannibalisieren sich Bio und Regio?

Vogel: Bio ist eine gemachte Norm. Und diese Norm ist schon öfter nach unten angepasst worden, um auch Drittländern eine Chance zur Teilnahme zu geben. Regio dagegen ist Heimat! Es ist von hier, nicht teilbar und unendlich vermehrbar. Regio ist emotional aufgeladen.