Interview „Weitere verlorene Jahre für das Tierwohl“

Im Interview kritisiert der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, den neuen Entwurf des Tierschutzgesetzes.

Montag, 10. Juni 2024, 09:35 Uhr
Jens Hertling
Artikelbild „Weitere verlorene Jahre für das Tierwohl“
Bildquelle: Deutscher Tierschutzbund

Wie bewerten Sie den aktuellen Entwurf für das neue Tierschutzgesetz?
Thomas Schröder: Noch nie hatte eine Bundesregierung eine so klare und gute Ausgangslage, um die Tierschutz- und Agrarpolitik umfassend zu reformieren und zukunftsweisend zu gestalten. Umso enttäuschender ist der Gesetzentwurf. Trotz einiger Verbesserungen ist dieser zu schwach wird dem Namen „Tierschutzgesetz“ nicht gerecht. Wir hoffen, dass die Ampelfraktionen den Entwurf im parlamentarischen Verfahren massiv nachbessern. Sonst sind die „Ampel-Jahre“ – trotz ursprünglich guter Versprechen im Koalitionsvertrag - weitere verlorene Jahre für den Tierschutz.

Das Land Berlin hatte im Januar 2019 einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt, um die Regelungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung überprüfen zu lassen. Warum haben Sie den Berliner Senat davor gewarnt, den Normenkontrollantrag zurückzuziehen?
Die gesetzlichen Mindeststandards für die Haltung von Schweinen sind unzureichend und nicht mit dem Tierschutzgesetz und dem Staatsziel Tierschutz vereinbar – man denke nur an die Kastenstandhaltung von Sauen. Der Normenkontrollantrag war 2019 ein starkes und wichtiges Signal aus Berlin. Wenn der CDU-SPD-regierte Senat nun die Augen vor dem Leid der Schweine verschließen und aus politisch-ideologischen Gründen einen Rückzieher machen würde, wäre dies ein tierschutzpolitischer Skandal.

Was bringt ein solcher Prozess?
Eine Normenkontrollklage bietet die Möglichkeit, die bestehenden Vorschriften zur Schweinehaltung durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Bisher hat es der Gesetzgeber versäumt, den Weg für eine zukunftsfähige, mit Tier- und Umweltschutz und den gesellschaftlichen Ansprüchen vereinbare konventionelle Schweinehaltung zu eben. Was die Politik nicht löst, könnte ein Gericht durchaus lösen.

Werden mit der Ankündigung auf höhere Haltungsstufen umzustellen, Verbesserungen nicht von der Branche selbst vorgenommen?
Mit der Einführung der „Haltungsform“ und den Ankündigungen, zu einer bestimmten Zeit nur noch höhere Standards anbieten zu wollen, hat der Handel große Erwartungen geweckt. Die Branche spürt den Druck und bewegt sich - aber noch zu langsam und nur so viel, wie sie muss. Im Lebensmitteleinzelhandel versucht man gerade, innerhalb der „Haltungsform“-Kennzeichnung mit wenigen, teils fraglichen Anforderungen die ambitionierten Tierschutzprogramme vom Markt zu drängen. Wenn lediglich so viel „mehr“ für Tierschutz getan wird, wie in der selbst definierten Stufe als Minimum gefordert wird, führt dies auch innerhalb einer Stufe zu einer Nivellierung nach unten und fördert die Anbieter mit den niedrigsten Standards. In der Folge hat sich inzwischen ein Race-to-the-Bottom etabliert, das dem Tierschutz im Endergebnis abträglich ist. Am Ende braucht es deshalb schärfere ordnungsrechtliche Vorgaben.

Wird mit der staatlichen Haltungskennzeichnung mehr erreicht?
Die staatliche Kennzeichnung verhilft keinem Tier zu einem besseren Leben. Sie bildet lediglich den Status quo der Tierhaltung ab. Tierschutzwidrige Haltungssysteme werden dabei mit beschönigenden Namen wie „Stall+Platz“ quasi staatlich gesiegelt und dadurch im schlimmsten Fall dauerhaft legitimiert.

Was halten Sie von den diskutierten Vorschlägen zur Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch?
Wir hätten uns eine Abgabe gewünscht, deren Erlös zweckgebunden in mehr Tierschutz fließt. Letztlich kann das nötige Geld aber auch über die Mehrwertsteuer kommen, vorausgesetzt es kommt am Ende den Tieren sowie den Landwirten zu Gute, die umstellen. Mehr Tierschutz kostet Geld und wer Fleisch isst, dem muss das Tier diesen Mehrpreis wert sein.

Wie erfolgreich ist Ihr Label „Für Mehr Tierschutz“?
In den letzten elf Jahren konnten wir die Lebensbedingungen von vielen Millionen Tieren spürbar verbessern; Produkte mit dem Tierschutzlabel sind mittlerweile bei knapp 30 Handelsunternehmen zu finden. Mit der Einführung des Labels haben wir zudem die Entwicklungen in der Lebensmittelproduktion zu einem mehr an Tierschutz maßgeblich angestoßen. Noch heute ist unser Label eines der wenigen echten Tierschutzkennzeichen am Markt. Und solange es keine ausreichenden tierschutzrechtlichen Grundlagen gibt, die für die Tiere in der Landwirtschaft echte Verbesserungen bringen, ist das Label weiter notwendig.

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