LP-Roundtable Süßwaren Was kommt nach dem Boom? - Wird alles digitaler?

Der Lebensmittelhandel hatte ein bombastisches Jahr, gerade zuletzt, als alle anderen Handelsformate geschlossen waren und sich die Kunden nur dort versorgen konnten. Doch wie geht es jetzt weiter, welche Veränderungen wie der gestiegene Onlinehandel müssen dauerhaft angerechnet werden – und wie kann das gute Ergebnis des Jahres 2020 zumindest weiter gehalten werden. Was die Branche jetzt an Innovationen und Impulsen braucht – darüber sprachen die Teilnehmer des LP-Roundtables Süßwaren 2021.

Freitag, 16. April 2021 - Süßwaren
Andrea Kurtz
Artikelbild Was kommt nach dem Boom? - Wird alles digitaler?
Bildquelle: Getty Images, Lebensmittel Praxis

Derzeit geht ja alles nur noch digital – glaubt man zumindest. Das gilt auch für die Messen. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen Formaten, beispielsweise bei der ISM oder der Bio-Fach gemacht?
Perry Soldan:
Die Bio-Fach war meine erste Erfahrung in dieser Hinsicht. Mein Fazit: Wenn man ganz spezielle Themen hat, beispielsweise einen Lohnabfüller für Säfte oder ein besonderes Produktportfolio, funktioniert das gut. Die Firmen sind professionell und die Terminvereinbarung problemlos. Auch Foren für Produktvorstellung fand ich hilfreich. Aber man vermisst sofort den Messerundgang an sich, die Inspirationen, die unterschiedlichen Stände, die Menschen, die man oft auch einfach so trifft, Small Talk; das kann man nicht ersetzen. Aber wenn es um die reinen Fachveranstaltungen geht – diese werden Teil unseres Geschäftslebens werden.
Joachim Mann:
Wir waren dieses Jahr erstmals Aussteller in Nürnberg. Uns hat begeistert, dass die Vorbereitung mit den elektronischen Medien perfekt war und einen überschaubaren Aufwand darstellte. Aber es ist nur 2D: Ansprechen oder Angesprochen werden fiel nicht leicht. Ein veritabler Austausch ist schwer. Inspirieren lassen mit allen Sinne quasi unmöglich; man muss schon einen klaren Plan für die Informationsfindung haben.
Camilo Wolff:
Wir produzieren nicht nur unsere Marke, sondern auch Private-Label-Produkte. Auf der digitalen Messe Wabel Ende 2020 hatten wir 16 Termine im Minutentakt – schwierig natürlich ohne Produkte – , aber durch die Taktung hatten wir vielversprechendere Gespräche als auf der PLMA auf unserem eigenen Stand.
Benjamin Löding:
Unsere Hausmesse findet derzeit natürlich auch digital statt. Nach einem längeren Vorlauf funktioniert es aktuell gut.
Sabine Schommer:
Gerade Süßwaren wollen gerochen und gekostet werden; diese kann die Digitalisierung natürlich nicht leisten. Und die Frage ist auch, inwieweit wir digital auch Besucher aus dem Ausland gut erreichen können.

Welche Digitalisierungsprozesse stehen – über Messen und Präsentationen hinaus – bei Ihnen im Vordergrund? Bei welchen hat ein Umdenken stattgefunden?
Sonja Lischka:
Ganz klar der Onlinehandel. Unsere Onlineshops laufen gut; sie haben rund 5 Prozent Umsatzanteil inzwischen. Beim Kunden sehen wir ganz klar, wie hybrid der unterwegs ist. Viele tippen in die Shopping-Maske ihre Klassiker ein, lassen diese von uns packen – und für den Rest bummelt er gemütlich durch den Laden, sucht sich seine Em-Eukal, also seine Impulsartikel, heraus, nimmt seine bestellten Einkäufe und vielleicht noch das gelieferte Amazon-Päckchen. So hat er sein Shopping-Erlebnis gehabt und seine Erledigungen gemacht. Das wird sich weiter entwickeln.
Perry Soldan: Ich befürchte aber, dass die Marke in einem reinen Online-Szenario leicht aus der Kunden-Optik fällt – weil nur die Produktart wie Milch oder Butter und dann der Preis zählen.
Markus Lischka: Im Gegenteil. Der Kunde hat bereits gelernt, dass er auf unserer Webseite seinen Einkaufszettel speichern kann und dort ist hinterlegt, welche Marke, gerade bei Milch oder Butter, hinterlegt ist. Diese wird also fast automatisch immer wieder gekauft. Außerdem sehen wir beim Blick in die Einkaufswagen ohnehin, dass Kunden ihre Lieblingsmarken haben und zu denen auch immer greifen. So häufig wird nicht gewechselt.
Frank Gemmrig: Der Kunde wird nachhaltig hybride sein, egal ob in der persönlichen, der Arbeits- oder eben der Einkaufswelt. Andere Länder sind uns da bereits voraus, wir sehen das an unserem Verkauf in asiatischen Ländern. Neben attraktiven Shopping-Flächen brauchen wir die Online-Plattformen und -Marktplätze – und auch diese müssen wir mit dem Handel gemeinsam bespielen. Bilder, Videos, Infos, diese Dinge müssen wir als Hersteller noch viel mehr mit unseren Handelspartnern teilen.

Ihre Einschätzung: Wird sich der Online-Boom fortsetzen?
Sonja Lischka:
Meine Beobachtung ist einfach – Erledigungen werden online getätigt, aber Impulse und Erlebnis werden vor Ort gemacht. Es gibt weniger Kunden im Geschäft, aber die, die da sind, beginnen wieder zu stöbern und zu verweilen. Sie haben dann auch volle Wagen. Kunden suchen und wollen beides – gerade seit dem alle FFP2-Masken tragen müssen, wird auch vor Ort wieder mehr gekauft. Aber den Onlinehandel werden wir nicht mehr los; deswegen muss der viel spannender und stärker werden.
Sascha Loehr:
Unsere reine Online-Tochter, das ehemalige Startup Chocri in Berlin, hat uns während der Corona-Monate gezeigt, dass das Geschäft mit Mitbringseln und kleinen Geschenken stark angezogen hat. Gerade die Bestellungen an andere Adressen hat extrem zugenommen.
Joachim Mann:
Durchsetzen wird sich, was dem Konsumenten Nutzen bringt. So wie es im Verkauf bisher war, wird es wohl nicht mehr werden. Derzeit ist der Nutzen, für die Ware nicht außer Haus zu müssen. Wenn ich aber wieder vor Ort anfassen, mich mit allen Sinnen inspirieren lassen kann oder Beratung bekomme, werden wieder Umsätze in den klassischen stationären Handel zurückfließen. Frische Produkte oder Obst und Gemüse, präsentiert auf einer schönen Verkaufsfläche, wie wir sie in Deutschland viele haben, werden es sicher weiterhin online schwer haben.
Michael Seidl:
Geld verdienen tun wir mit dem Online-Shop noch nicht; er ist eine reine Service-Leistung. Das wird sich aber auf Dauer ändern, denn auch ich sehe, dass Kunden deutlich weniger häufig in den Laden kommen wollen. Deswegen investiere ich hier bei mir regelmäßig in den Markt, um mit einer attraktiven Verkaufsfläche dem Onlinehandel und den Großflächen Paroli zu bieten. Das ist unsere Aufgabe für die Zukunft: Nicht nur Ware ins Regal stellen, sondern Einkaufserlebnisse zu schaffen.
Benjamin Löding:
Wenn es bisher nur den Online-Handel gegeben hätte und jetzt auf einmal könnte der Kunde auf attraktiven Flächen einkaufen, wäre der Hype ggf. anders herum. Ich bin davon überzeugt, dass diese hybriden Formate koexistieren können. Die Begegnungsstätte Handel wird ihre Bedeutung nicht verlieren.

Gegenfrage: Sehen Sie eine Renaissance des Erlebniseinkaufs, gerade auch in den Innenstädten?
Mohammed Bahlaouane:
Nach dem Lockdown werden alle Kunden erst einmal hinausrennen, in den Städten flanieren und shoppen wollen – am liebsten sicher ohne Maske. Aber ob das nach einer ersten aktiven Phase auf den Vor-Corona-Level zurückgeht, wage ich sehr zu bezweifeln. Dazu wird auch das hybride Shoppingverhalten zu sehr etabliert haben.
Perry Soldan: Marktforscher sagen uns schon seit vielen Jahren voraus, dass die Anzahl der Shopping-Tripps zurückgehen wird. Diese Entwicklung hat die Pandemie nur beschleunigt; hier sehe ich keinen Weg zurück.
Benjamin Löding: Das muss ich leider bestätigen. Wir haben schon vor Corona zwar höhere Einkaufsbons, aber tendenziell rückläufige Shopping-Trips verzeichnet.

Für mehr Erlebnis auf der Fläche braucht es vor allem Impulsangebote. Wie können diese forciert werden?
Markus Lischka:
Ich habe mir die Zahlen zu den Impulskäufen angeschaut – und muss bestätigen, dass die Kunden in den vergangenen Monaten zu den Produkten gegriffen haben, die sie kennen. Vorratskäufe standen und stehen noch immer im Vordergrund.
Michael Wilhelm: Ich glaube, dass es bald wieder mehr Impulskäufe geben wird. Viele Konsumenten wollen sehen und probieren, was sie kaufen und auch Neuheiten testen. Das werden sie weiterhin stationär tun – aber mit digitaler Unterstützung.
Perry Soldan: Vor dem Hintergrund der sinkenden Einkaufshäufigkeit bin ich für unsere Warengruppe eher pessimistisch, denn ob hier eine Belebung durch Impulskäufe möglich sein wird, ist fraglich. Unser Geschäft wird schwieriger werden …
Benjamin Löding: … in der Tat, das sehe ich auch. An den Kassen hatten die Kunden zuletzt anderes zu tun, als nach Ihrem Hustenbonbon zu suchen. Weitere Digitalisierungsmaßnahmen wie Self-Scanning verstärken das noch.
Michael Seidl: In meinem neuen Markt habe ich in der Süßwarenabteilung auf Shop-in-Shop-Lösungen gesetzt, um den Kunden in die Markenwelten zu führen. Außerdem habe ich viele Produkte, die in Deutschland nur online erhältlich waren, in die Regale geholt. Das funktioniert hervorragend.
Benjamin Löding: Diese Erfahrung haben wir auch gemacht. Wir haben eine besondere und erfolgreiche Zweitplatzierungsaktion mit einem regionalen Pralinenanbieter realisiert, dem durch die geschlossenen Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof und dem Fachhandel ein großer Teil von geplanten Geschäften weggebrochen war.

Gehen Impulskäufe auch online?
Sonja Lischka:
Der Online-Handel hat ganz ordentlich Gas gegeben, dass sehen wir an unserem eigenen Onlineshop beziehungsweise dem Click & Collect-Verhalten. Ich wünsche mir, vor allem von Industrieseite, dass es auch Impuls-Tools gerade für diese Kanäle gibt, denn jede noch so toll gestaltete Shopping-Webseite kann kreative, vorbeilaufende Inspirationen gebrauchen. Auch digital kann ich dem Kunden doch sagen „Probieren Sie doch einmal!“
Markus Lischka: Es wäre wünschenswert, wenn wir dem Kunden bei den Online-Bestellungen etwas zum Probieren mitgeben könnten. Das ist mein Appell an die Hersteller, hier Sampling-Möglichkeiten zu schaffen – damit der Kunde zu Hause, in seinem vertrauten Umfeld, in Ruhe und mit großer Neugier probieren kann.
Joachim Mann: Impulskäufe im gleichen Maße erfolgreich auch online zu realisieren, halte ich für schwierig. Es verlangt nach einem enormen digitalen Aufwand, eine Süßwaren-Abteilung online attraktiv zu gestalten. Leider zählt Online vor allem der Preis beim Konsumenten.

Wie unterstützen Sie den Außendienst, der für Produkte und Sonderplatzierungen in den Geschäften zuständig ist. Was sind Ihre Learnings aus den vergangenen Monaten für Ihre Key Accounter?
Simon Avakian:
Wir bei Edeka Honsel verstehen uns als der Anbieter, der die Kunden ständig mit Innovationen versorgt und sein Ohr bei den Trends des Marktes hat. Derzeit sehen wir, dass der Kunde sich von den reinen Versorgungseinkäufen wieder zu mehr Lustkäufen anregen lässt. Solche Kauferlebnisse wollen wir fördern und dazu brauchen wir den Außendienst. Die Inzidenz-Zahlen bei uns in Dorsten lassen das auch zu – und so tauschen wir uns mit den Außendienstlern wieder aus, bauen gemeinsam an Aktionen und machen die Flächen wieder bunter. Andernfalls arbeiten wir sofort mit Videokonferenzen, um die Produktneuheiten und Aktionen kennen zu lernen.

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