LP-Roundtable Süßwaren Was kommt nach dem Boom?

Der Lebensmittelhandel hatte ein bombastisches Jahr, gerade zuletzt, als alle anderen Handelsformate geschlossen waren und sich die Kunden nur dort versorgen konnten. Doch wie geht es jetzt weiter, welche Veränderungen wie der gestiegene Onlinehandel müssen dauerhaft angerechnet werden – und wie kann das gute Ergebnis des Jahres 2020 zumindest weiter gehalten werden. Was die Branche jetzt an Innovationen und Impulsen braucht – darüber sprachen die Teilnehmer des LP-Roundtables Süßwaren 2021.

Freitag, 16. April 2021 - Süßwaren
Andrea Kurtz
Artikelbild Was kommt nach dem Boom?
Bildquelle: Getty Images, Lebensmittel Praxis

Wie wird die Welt nach Corona aussehen?
Perry Soldan: Diese Frage treibt uns derzeit am meisten um. Vor allem, weil wir nicht wissen, ob wir auf der Basis von 2019 planen sollen. Eigentlich sind Krisenzeiten gute Zeiten für Bonbons wie unser Em-Eukal, aber ob die gesamte Entwicklung bei Lebensmitteln ähnlich unberührt stark bleibt wie nach der Finanzkrise 2009 werden wir erst in den kommenden Monaten erfahren.
Joachim Mann:
Ich gehe nicht davon aus, dass wir zu den Ergebnissen von 2019 zurückkehren können. Ein Großteil des Konsum, der 2020 außer Haus nicht stattfinden konnte, wurde nach Hause verlagert. Diese Mehreinkäufe für Zuhause werden sich wieder zurück verlagern, aber mehr kann es ja nicht werden. Wann diese Bewegungen stattfinden, hängt von den Lockdown-Regelungen ab.
Michael Wilhelm:
Ich glaube, es wird eine andere Welt sein, in der wir agieren. Gerade in Sachen Online-Einkauf. Diejenigen Konsumenten, die sich bisher geweigert haben, online zu bestellen, mussten sich damit auseinandersetzen. Sie haben gelernt, dass es um Bequemlichkeit geht – auch bei Lebensmitteln. Diese Prozesse haben der Digitalisierung in Deutschland einen Schub verliehen, den es so bisher nicht gab.
Frank Gemmrig:
Warenverfügbarkeit und Vielfalt werden unsere Hauptaufgaben in den kommenden Monaten sein. Wenn die Kunden langsam wieder in gewohnter Weise in den Handel zurückkommen, erwarten sie Abwechslung und Angebote für eine längere Verweildauer im Laden.

Kann der Lebensmittelhandel so ein starkes Jahr überhaupt auch nur ansatzweise wiederholen?
Simon Avakian:
Wir sind selbstbewusst genug, um zu sagen, unsere Versorgungsleistung ist weiter gefordert. Gerade weil wir haben zeigen können, dass die Beschaffung von Mehl, Klopapier etc. reibungslos funktioniert hat. Wir konnten der Marktentwicklung teilweise sogar vorweg laufen. Das hat uns einen gewaltigen Vertrauenszuwachs bei den Verbrauchern vor Ort beschert. Das zweite Halbjahr 2021 wird sicherlich zögerlicher werden, aber wir sind uns sicher, dass wenn Impfungen sowie Testungen voranschreiten, wir auch unsere geplanten Marketingaktivitäten in den Märkten wieder aufnehmen können. Die Einkaufshäufigkeit wird sich eher nicht auf das vorherige Niveau zurückdrehen lassen; also müssen wir deutliche Impulse setzen.

Wie stehen die Süßwarenabteilungen denn derzeit da?
Simon Avakian:
Sehr gut, die Kategorie wuchs deutlich mehr als in den Vorjahren. Aber sie konnte trotzdem nicht mit der Entwicklung anderer Warengruppen mithalten.
Michael Seidl: Diese Entwicklung ist bei mir differenzierter; im Vergleich zum Plus im Gesamtmarkt lagen Zuckerwaren beispielsweise ein Drittel darunter. Im Bereich Schokolade und Snacks konnten wir aber 50 Prozent mehr umsetzen.
Benjamin Löding: Es kommt darauf an. Bei salzigen Snacks beispielsweise sehen wir einen noch höheren Uplift, einfach weil die Kunden zuhause sind und knabbern. In den Kassenzonen der verschiedenen Vertriebsschienen haben wir wegen der reduzierten Mobilität der Kunden durchaus Einbußen.
Sonja Lischka: Die Hoffnung der Süßwarenabteilungen ist die Öffnung der Fitness-Studios. Viele Menschen haben das Corona-Wamperl bekommen und sehen sich danach, sich wieder bewegen – und damit auch wieder mehr naschen – zu können.


Derzeit geht ja alles nur noch digital – glaubt man zumindest. Das gilt auch für die Messen. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen Formaten, beispielsweise bei der ISM oder der Bio-Fach gemacht?
Perry Soldan:
Die Bio-Fach war meine erste Erfahrung in dieser Hinsicht. Mein Fazit: Wenn man ganz spezielle Themen hat, beispielsweise einen Lohnabfüller für Säfte oder ein besonderes Produktportfolio, funktioniert das gut. Die Firmen sind professionell und die Terminvereinbarung problemlos. Auch Foren für Produktvorstellung fand ich hilfreich. Aber man vermisst sofort den Messerundgang an sich, die Inspirationen, die unterschiedlichen Stände, die Menschen, die man oft auch einfach so trifft, Small Talk; das kann man nicht ersetzen. Aber wenn es um die reinen Fachveranstaltungen geht – diese werden Teil unseres Geschäftslebens werden.
Joachim Mann:
Wir waren dieses Jahr erstmals Aussteller in Nürnberg. Uns hat begeistert, dass die Vorbereitung mit den elektronischen Medien perfekt war und einen überschaubaren Aufwand darstellte. Aber es ist nur 2D: Ansprechen oder Angesprochen werden fiel nicht leicht. Ein veritabler Austausch ist schwer. Inspirieren lassen mit allen Sinne quasi unmöglich; man muss schon einen klaren Plan für die Informationsfindung haben.
Camilo Wolff:
Wir produzieren nicht nur unsere Marke, sondern auch Private-Label-Produkte. Auf der digitalen Messe Wabel Ende 2020 hatten wir 16 Termine im Minutentakt – schwierig natürlich ohne Produkte – , aber durch die Taktung hatten wir vielversprechendere Gespräche als auf der PLMA auf unserem eigenen Stand.
Benjamin Löding:
Unsere Hausmesse findet derzeit natürlich auch digital statt. Nach einem längeren Vorlauf funktioniert es aktuell gut.
Sabine Schommer:
Gerade Süßwaren wollen gerochen und gekostet werden; diese kann die Digitalisierung natürlich nicht leisten. Und die Frage ist auch, inwieweit wir digital auch Besucher aus dem Ausland gut erreichen können.

Welche Digitalisierungsprozesse stehen – über Messen und Präsentationen hinaus – bei Ihnen im Vordergrund? Bei welchen hat ein Umdenken stattgefunden?
Sonja Lischka:
Ganz klar der Onlinehandel. Unsere Onlineshops laufen gut; sie haben rund 5 Prozent Umsatzanteil inzwischen. Beim Kunden sehen wir ganz klar, wie hybrid der unterwegs ist. Viele tippen in die Shopping-Maske ihre Klassiker ein, lassen diese von uns packen – und für den Rest bummelt er gemütlich durch den Laden, sucht sich seine Em-Eukal, also seine Impulsartikel, heraus, nimmt seine bestellten Einkäufe und vielleicht noch das gelieferte Amazon-Päckchen. So hat er sein Shopping-Erlebnis gehabt und seine Erledigungen gemacht. Das wird sich weiter entwickeln.
Perry Soldan: Ich befürchte aber, dass die Marke in einem reinen Online-Szenario leicht aus der Kunden-Optik fällt – weil nur die Produktart wie Milch oder Butter und dann der Preis zählen.
Markus Lischka: Im Gegenteil. Der Kunde hat bereits gelernt, dass er auf unserer Webseite seinen Einkaufszettel speichern kann und dort ist hinterlegt, welche Marke, gerade bei Milch oder Butter, hinterlegt ist. Diese wird also fast automatisch immer wieder gekauft. Außerdem sehen wir beim Blick in die Einkaufswagen ohnehin, dass Kunden ihre Lieblingsmarken haben und zu denen auch immer greifen. So häufig wird nicht gewechselt.
Frank Gemmrig: Der Kunde wird nachhaltig hybride sein, egal ob in der persönlichen, der Arbeits- oder eben der Einkaufswelt. Andere Länder sind uns da bereits voraus, wir sehen das an unserem Verkauf in asiatischen Ländern. Neben attraktiven Shopping-Flächen brauchen wir die Online-Plattformen und -Marktplätze – und auch diese müssen wir mit dem Handel gemeinsam bespielen. Bilder, Videos, Infos, diese Dinge müssen wir als Hersteller noch viel mehr mit unseren Handelspartnern teilen.

Ihre Einschätzung: Wird sich der Online-Boom fortsetzen?
Sonja Lischka:
Meine Beobachtung ist einfach – Erledigungen werden online getätigt, aber Impulse und Erlebnis werden vor Ort gemacht. Es gibt weniger Kunden im Geschäft, aber die, die da sind, beginnen wieder zu stöbern und zu verweilen. Sie haben dann auch volle Wagen. Kunden suchen und wollen beides – gerade seit dem alle FFP2-Masken tragen müssen, wird auch vor Ort wieder mehr gekauft. Aber den Onlinehandel werden wir nicht mehr los; deswegen muss der viel spannender und stärker werden.
Sascha Loehr:
Unsere reine Online-Tochter, das ehemalige Startup Chocri in Berlin, hat uns während der Corona-Monate gezeigt, dass das Geschäft mit Mitbringseln und kleinen Geschenken stark angezogen hat. Gerade die Bestellungen an andere Adressen hat extrem zugenommen.
Joachim Mann:
Durchsetzen wird sich, was dem Konsumenten Nutzen bringt. So wie es im Verkauf bisher war, wird es wohl nicht mehr werden. Derzeit ist der Nutzen, für die Ware nicht außer Haus zu müssen. Wenn ich aber wieder vor Ort anfassen, mich mit allen Sinnen inspirieren lassen kann oder Beratung bekomme, werden wieder Umsätze in den klassischen stationären Handel zurückfließen. Frische Produkte oder Obst und Gemüse, präsentiert auf einer schönen Verkaufsfläche, wie wir sie in Deutschland viele haben, werden es sicher weiterhin online schwer haben.
Michael Seidl:
Geld verdienen tun wir mit dem Online-Shop noch nicht; er ist eine reine Service-Leistung. Das wird sich aber auf Dauer ändern, denn auch ich sehe, dass Kunden deutlich weniger häufig in den Laden kommen wollen. Deswegen investiere ich hier bei mir regelmäßig in den Markt, um mit einer attraktiven Verkaufsfläche dem Onlinehandel und den Großflächen Paroli zu bieten. Das ist unsere Aufgabe für die Zukunft: Nicht nur Ware ins Regal stellen, sondern Einkaufserlebnisse zu schaffen.
Benjamin Löding:
Wenn es bisher nur den Online-Handel gegeben hätte und jetzt auf einmal könnte der Kunde auf attraktiven Flächen einkaufen, wäre der Hype ggf. anders herum. Ich bin davon überzeugt, dass diese hybriden Formate koexistieren können. Die Begegnungsstätte Handel wird ihre Bedeutung nicht verlieren.

Gegenfrage: Sehen Sie eine Renaissance des Erlebniseinkaufs, gerade auch in den Innenstädten?
Mohammed Bahlaouane:
Nach dem Lockdown werden alle Kunden erst einmal hinausrennen, in den Städten flanieren und shoppen wollen – am liebsten sicher ohne Maske. Aber ob das nach einer ersten aktiven Phase auf den Vor-Corona-Level zurückgeht, wage ich sehr zu bezweifeln. Dazu wird auch das hybride Shoppingverhalten zu sehr etabliert haben.
Perry Soldan: Marktforscher sagen uns schon seit vielen Jahren voraus, dass die Anzahl der Shopping-Tripps zurückgehen wird. Diese Entwicklung hat die Pandemie nur beschleunigt; hier sehe ich keinen Weg zurück.
Benjamin Löding: Das muss ich leider bestätigen. Wir haben schon vor Corona zwar höhere Einkaufsbons, aber tendenziell rückläufige Shopping-Trips verzeichnet.

Für mehr Erlebnis auf der Fläche braucht es vor allem Impulsangebote. Wie können diese forciert werden?
Markus Lischka:
Ich habe mir die Zahlen zu den Impulskäufen angeschaut – und muss bestätigen, dass die Kunden in den vergangenen Monaten zu den Produkten gegriffen haben, die sie kennen. Vorratskäufe standen und stehen noch immer im Vordergrund.
Michael Wilhelm: Ich glaube, dass es bald wieder mehr Impulskäufe geben wird. Viele Konsumenten wollen sehen und probieren, was sie kaufen und auch Neuheiten testen. Das werden sie weiterhin stationär tun – aber mit digitaler Unterstützung.
Perry Soldan: Vor dem Hintergrund der sinkenden Einkaufshäufigkeit bin ich für unsere Warengruppe eher pessimistisch, denn ob hier eine Belebung durch Impulskäufe möglich sein wird, ist fraglich. Unser Geschäft wird schwieriger werden …
Benjamin Löding: … in der Tat, das sehe ich auch. An den Kassen hatten die Kunden zuletzt anderes zu tun, als nach Ihrem Hustenbonbon zu suchen. Weitere Digitalisierungsmaßnahmen wie Self-Scanning verstärken das noch.
Michael Seidl: In meinem neuen Markt habe ich in der Süßwarenabteilung auf Shop-in-Shop-Lösungen gesetzt, um den Kunden in die Markenwelten zu führen. Außerdem habe ich viele Produkte, die in Deutschland nur online erhältlich waren, in die Regale geholt. Das funktioniert hervorragend.
Benjamin Löding: Diese Erfahrung haben wir auch gemacht. Wir haben eine besondere und erfolgreiche Zweitplatzierungsaktion mit einem regionalen Pralinenanbieter realisiert, dem durch die geschlossenen Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof und dem Fachhandel ein großer Teil von geplanten Geschäften weggebrochen war.

Gehen Impulskäufe auch online?
Sonja Lischka:
Der Online-Handel hat ganz ordentlich Gas gegeben, dass sehen wir an unserem eigenen Onlineshop beziehungsweise dem Click & Collect-Verhalten. Ich wünsche mir, vor allem von Industrieseite, dass es auch Impuls-Tools gerade für diese Kanäle gibt, denn jede noch so toll gestaltete Shopping-Webseite kann kreative, vorbeilaufende Inspirationen gebrauchen. Auch digital kann ich dem Kunden doch sagen „Probieren Sie doch einmal!“
Markus Lischka: Es wäre wünschenswert, wenn wir dem Kunden bei den Online-Bestellungen etwas zum Probieren mitgeben könnten. Das ist mein Appell an die Hersteller, hier Sampling-Möglichkeiten zu schaffen – damit der Kunde zu Hause, in seinem vertrauten Umfeld, in Ruhe und mit großer Neugier probieren kann.
Joachim Mann: Impulskäufe im gleichen Maße erfolgreich auch online zu realisieren, halte ich für schwierig. Es verlangt nach einem enormen digitalen Aufwand, eine Süßwaren-Abteilung online attraktiv zu gestalten. Leider zählt Online vor allem der Preis beim Konsumenten.

Wie unterstützen Sie den Außendienst, der für Produkte und Sonderplatzierungen in den Geschäften zuständig ist. Was sind Ihre Learnings aus den vergangenen Monaten für Ihre Key Accounter?
Simon Avakian:
Wir bei Edeka Honsel verstehen uns als der Anbieter, der die Kunden ständig mit Innovationen versorgt und sein Ohr bei den Trends des Marktes hat. Derzeit sehen wir, dass der Kunde sich von den reinen Versorgungseinkäufen wieder zu mehr Lustkäufen anregen lässt. Solche Kauferlebnisse wollen wir fördern und dazu brauchen wir den Außendienst. Die Inzidenz-Zahlen bei uns in Dorsten lassen das auch zu – und so tauschen wir uns mit den Außendienstlern wieder aus, bauen gemeinsam an Aktionen und machen die Flächen wieder bunter. Andernfalls arbeiten wir sofort mit Videokonferenzen, um die Produktneuheiten und Aktionen kennen zu lernen.


Welche Erfahrungen machen Sie derzeit mit Innovationen?
Perry Soldan:
One-Stop-Shopping geht vor: Die Kunden haben derzeit keine Augen für Innovationen; sie arbeiten einfach nur ihre Einkaufslisten ab. Die ganzen schönen neuen Produkte, die wir in der Planung oder sogar schon eingeführt haben, können wir gar nicht richtig bewerten. Ich denke fast, wir müssen diese im Laufe des Jahres noch einmal einführen – wenn der Handel uns dafür die Zeit und Raum gibt. Das ist auch mein Appell an dieser Stelle: Gebt uns für die Innovationen noch einmal eine Chance.
Julia Schlotmann-Honsel: Für mich spricht überhaupt nichts gegen eine Innovationsoffensive, ganz im Gegenteil, denn auch für uns war 2020 geprägt von viel Arbeit und hoher Konzentration auf Versorgung. Wir hatten natürlich ein erfolgreiches Jahr, aber auf strategische Dingen konnten wir weniger achten.
Joachim Mann: Wir hatten auch einige Innovationen am Start im Jahr 2020, aber wir können nicht beurteilen, ob diese wirklich beim Konsumenten angekommen sind – oder ob in der Pandemie einfach alles anders war. Konkrete Aussagen trauen wir uns dazu nicht zu machen und werden daher in 2021 diese Produkte noch weiterhin im Fokus unserer Maßnahmen belassen.
Benjamin Löding: In den Hamsterwochen im März-April 2020 wurde bei uns so ziemlich alles gekauft, was zweitplatziert war. Die seriöse Bewertung erfolgreicher Produktinnovationen war da schwer möglich. Bei unseren derzeitigen Modernisierungen verorten wir Süßwaren im ersten Drittel des Marktes, gleich hinter Obst und Gemüse, oft mit Aktionsfläche. So ergeben sich gute Cross-Platzierungen, die den Innovationen sehr helfen.

Was sind die Trends für Sie 2021?
Sabine Schommer:
Auf der ISM-Plattform haben wir den Herstellern die Möglichkeit gegeben, ihre Innovationen zu zeigen – in einer Art Datenbank. 110 neue Produkte werden präsentiert. Im Vergleich zu einer regulären ISM sind das zwar deutlich weniger – dann sind zwischen 180 und 200 – aber repräsentativ ist das schon. In der Analyse zeigt sich, dass im wesentlichen die Trends von 2020 fortgesetzt werden: pflanzenbasierte Nahrungsmittel sind stark vertreten. Außerdem zählt alles, was in Richtung Gesundheit und Wohlbefinden geht – das hat sich durch Corona noch verstärkt. Auch beim Snacken will der Konsument seinem Körper etwas Gutes tun. Im Fokus steht aber nach wie vor der Genuss. Die Hersteller wollen mit ausgewählten Zutaten und neuen Geschmacksrichtungen beziehungsweise -kombinationen – solche Genusserlebnisse fördern. Last but not least: Es gibt eine Retro-Bewegung zu klassischen Lieblingsprodukten.
Josef Stollenwerk: Hundertprozent d’accord zu Retro. Diese Nostalgie-Bewegungen sehen wir bei Manner ganz stark; der Kunde vertraut einfach seinen Klassikern. Das hat sich gerade in den ersten Monaten dieses Jahres deutlich gezeigt.
Camilo Wolff: Modern ist aber genauso stark. Proteine, Algen, Insekten – diese Produkte habe ich in den Startup-Pitches, in denen ich zuletzt unterwegs war, deutlich gesehen. Zweiter großer Trend: Riegel mit Zuckerersatzstoffen wie Maltitol und Xylit. Gerade diesen Bereich sollten wir im Augen behalten.
Michael Wilhelm: Ganz klar sehen wir, dass sich moderne Ernährungstrends derzeit weiter durchsetzen: Vegane Produkte, Produkte ohne Zuckerzusatz, ohne Palmöl oder Proteinprodukte werden von verschiedenen Markenherstellern angeboten.
Markus Lischka: Der Trend zur veganen Ernährung ist unglaublich stark. Unsere Kunden sind vermehrt Flexitarier oder wünschen sich eine große Auswahl von nicht-tierischen Produkten – zunächst zum Probieren.
Julia Schlotmann-Honsel: Diesen Trend sehe ich auch. Doch die veganen Produkte müssen genauso gut sein wie ihr herkömmliches Pendant. Eine vegane Schokolade darf einfach nicht schlechter schmecken oder weniger cremig sein.
Perry Soldan: Wir in der Bonbonbranche hoffen immer darauf, dass es eine neue Geschmacksrichtung schafft, sich dauerhaft in der Verbrauchergunst zu etablieren – und nicht nur ein bis zwei Jahre gehypt wird wie beispielsweise Holunder. Ingwer dagegen konnte sich als Top-Seller behaupten – deswegen hat es sich angeboten, hier gemeinsam mit True Fruits einen Shot zu produzieren; auf Basis von Kinder Em-Eukal. Das war übrigens nicht das Ergebnis eines langen strategischen Prozesses, sondern ein zündender Telefonanruf.
Michael Seidl: Für meinen neuen Laden habe ich eine ganze Reihe von Kultprodukten, teilweise über Plattformen oder exotische Anbieter, aus den USA beispielsweise besorgt. Das kommt super an; der Kunde sucht einfach die Abwechslung. Für alles, was aus dem Mainstream herausgeht, gibt der Kunde auch gern mehr Geld aus.
Julia Schlotmann-Honsel: Stimmt. Internationale Produkte kommen super an. Auch Kooperationen von bekannten Marken, bei denen neue Produkte entstehen, finden die Kunden enorm spannend.
Michael Wilhelm: Genuport hat über 50 internationale Marken aus den verschiedensten Ländern im Programm. Daher ist die große Akzeptanz gerade von internationalen Kultprodukten, beispielsweise Hershey’s oder Reese’s aus den USA, Rigoni oder Vicenci aus Italien und auch Multipower im Handel sehr erfreulich. Gerade in der jetzigen Zeit fragen Endkunden wie auch der Handel verstärkt nach Artikeln, die die Sehnsucht nach fernen Ländern, nach etwas Besonderem befriedigen.

Welche Entwicklungen sehen Sie neben diesen reinen Produkttrends?
Mohammed Bahlaouane:
Nachhaltigkeit ist für uns das große Thema – gerade im Hinblick auf Natürlichkeit, also natürliche Zutaten. Das ist durch Corona wichtiger geworden, weil gezielter eingekauft, zuhause gekocht und gegessen wurde. Auch Transparenz und Glaubwürdigkeit sind in diesem Zusammenhang wichtig, die Herkunft von Produkten und Zutaten.
Solveig Schneider: In der Tat, Nachhaltigkeit und Natürlichkeit, diese beiden Trends werden uns 2021 begleiten.
Camilo Wolff: Ganz klar: nachhaltige Verpackungen. Hier ist die Technologie gefragt, gerade für salzige Snacks brauchen wir Verpackungen, die Produktschutz und Haltbarkeit garantieren und gleichzeitig biologisch verträglich sind.
Perry Soldan: Was die Verpackungen angeht, haben wir den Eindruck, dass NGOs und Abmahnvereine überaus aufmerksam sind, um Verstöße sofort anzukreiden. Wir haben beispielsweise unseren Em-eukal Ingwer-Shot in einen Beutel verpackt, der zwar über das Altpapier entsorgt, aber nicht kompostiert werden kann. Das haben wir für den Kunden auch deutlich definiert. Das nützt aber nichts, Wettbewerb und Kritiker waren sofort auf dem Plan. Wir wollen ehrlich kommunizieren, aber das ganze Thema ist rechtlich noch unklar – auch wenn man „recyclingfähig“ auf die Packung schreibt.
Joachim Mann: Auch wir müssen in dieser Beziehung viele Variablen berücksichtigen: Anforderungen des zu verpackenden Produktes, technische Innovationen bei den Folien, sich verändernde gesetzliche Rahmenbedingungen und in den letzten zwölf Monaten enorme positive Nachfrageentwicklungen. In der Beschaffung haben Folien Vorläufe von drei bis vier Monaten und daher haben wir große Verpackungsmengen auf Vorrat.
Sascha Loehr: Erschwerend kommt für uns die internationale Ausprägung unserer Handelspartner hinzu. Ein Beispiel dazu: Unser Handelskunden liefern oft in Länder, in denen der Nutri-Score verboten ist. Wir haben also ein im weitesten Sinne nachhaltiges Thema für den Verbraucher, müssen aber für verschiedene Länder auch verschiedene Verpackungen vorhalten. Dass ist doch widersinnig.
Frank Gemmrig: Für uns ist der Dreiklang aus Genuss, Nachhaltigkeit und Abwechslung deutlich zu sehen. Mir selbst und anderen etwas Gutes tun; das zählt weiterhin. Dieser Gedanke ist durch Corona noch stärker geworden. Aus diesem Grund sucht der Kunde auch immer wieder etwas Neues, gerade jetzt, wenn er nach dem Lockdown wieder nach draußen drängt.

Nachhaltigkeit spielt also künftig die Hauptrolle?
Josef Stollenwerk:
Klares Ja. Deswegen setzen wir bei Manner beispielsweise seit 2020 ausschließlich zertifiziert nachhaltigen Kakao ein, die Manner Waffelprodukte stellen wir jetzt sogar auf Fairtrade um. Die Verbraucherkommentare schon allein auf diese Ankündigung waren hervorragend.
Frank Gemmrig: Um Nachhaltigkeit kommen wir in der Süßwarenindustrie nicht mehr herum. Der Verbraucher misst uns daran.
Sonja Lischka: Die Herkunft von Kakao oder das Palmöl sind ein Thema. Milka hat ja beispielsweise gerade einen Schokoladenaufstrich ohne Palmöl auf den Markt gebracht, dass ist wirklich eine bemerkenswerte Innovation. Vor allem weil dieses Feature einfach und singulär kommuniziert wird, nicht wie sonst oft mit schwammigen Begriffen wie „nachhaltig“. Die Nachhaltigkeitsthemen werden für unsere Kunden immer lauter, vor allem auf regionaler Ebene. Fairtrade auf Kaffee oder Kakao spielen für unsere Kunden aber auch eine immer größere Rolle.
Benjamin Löding: Das ist bei uns ähnlich. In unseren Portalen haben wir viele Anfragen zu nachhaltigen Themen, derzeit vor allem zu den Verpackungsmaterialien. Darüber hinaus können wir ganz eindeutig die Interessengruppen für diese Themen lokalisieren, so sind es beispielsweise die jüngeren Leute, die nach der Herkunft und den Produktionsbedingungen von Schokolade fragen – angeregt zum Beispiel durch die Kommunikation von Tonys Chocolonelys. Wenn ich den Kunden bei einem solchen Thema abhole, beschäftigt er sich auch intensiv damit. Wegen eines „E“ auf der Schokolade meldet sich sicher niemand; ich glaube auch nicht, dass der Nutri-Score bei Süßwaren die Kaufentscheidung beeinflusst.

Nachhaltige Verpackungen werden also der neue Renner. Wie steht’s um den Trend „unverpackt“ beziehungsweise „lose Ware“?
Michael Seidl:
Die Abteilung hat durch Corona stark gelitten, ganz klar. Ich halte an dem Projekt trotzdem fest, weil es grundsätzlich eine zukunftsweisende Maßnahme ist. Nach Corona werden die Kunden sicher wieder mit ihren eigenen Behältnissen zum Einkaufen zurückkommen – und das sicher mehr als zuvor. In meinem neuen Markt habe ich eine Verpackt-Unverpackt-Abteilung geschaffen, in der der Kunde beispielsweise Joghurt-Gläser zurückgeben kann, also keine eigene Verpackung mitbringen muss. Das läuft sehr gut an. Außerdem habe ich einen regionalen Gewürzhersteller, der seine Ware in kompostierbaren Behältnissen anbietet. Das ist für viele Kunden ein wichtiges Argument. Gerade in diese Richtung „regionale Mehrwert“ geht die Reise für mich.
Benjamin Löding: Wir haben ein eigenes Startup-Regal; dort präsentieren wir Produkte aus dem Edeka-Food-Starter-Projekt. Hier wird außerordentlich deutlich, wie gut Produkte mit nachhaltigen Verpackungen ankommen. Im Vergleich zu konventioneller Ware funktionieren diese zum Teil sehr gut. Aber natürlich spielt auch hier die Glaubwürdigkeit eine große Rolle.
Sonja Lischka: Es wäre einfacher, wenn es die deutsche Gesetzgebung zum Abzug des Tara nicht geben würde. Diese macht das Abwiegen unnötig kompliziert – und bei der Ware ist doch die mitgebrachte Verpackung ohnehin eingepreist.
Julia Schlotmann-Honsel: Das Tara abzuschaffen, wäre in der Tat ein Wunschgedanke. Auf jeden Fall findet der Kunde Unverpackt-Abteilungen – wie auch die entsprechenden Läden – cool und ich halte es für ein gutes Marketing-Thema, Nüsse oder Nudeln lose anzubieten. Für den Kunden ist das Mitbringen eigener Verpackungen natürlich viel Aufwand; deswegen werden die meisten Produkte sicher auch verpackt bleiben. Für mich ist es ganz klar die Aufgabe für die Hersteller, nachhaltigere Verpackungen zu präsentieren – allerdings nicht zu einem höheren Preis. Da geht der Kunde nicht mit.


Gesunde Ernährung scheint sich weiter zu etablieren. Die Kennzeichnung dafür auch. Wie stehen Sie zum Nutri-Score?
Perry Soldan:
Der Nutri-Score forciert eine Einteilung in gute und schlechte Lebensmittel, die es aus unserer Sicht nicht gibt. Viele Hersteller und auch Handelsunternehmen sind jetzt schon vorgeprescht und kennzeichnen ihre Produkte so. Für mich ist aber noch nicht belegt, wie der Konsument damit umgeht; ich würde gern von Unternehmen, die schon in diese Kennzeichnung investiert haben, wissen, ob sich das rechnet. Dieser Beleg steht für mich noch aus.
Joachim Mann: Gerade auch als Exporteur in über 60 Länder müssen wir uns zum Nutri-Score positionieren, auch wenn der Sinn für unsere naturbelassenen Produkte nicht ganz klar ist. Warum beispielsweise hat eine Mandel ein grünes „A“, eine Paranuss aber nur „C“? Wir können diese Einteilungen wissenschaftlich oft nicht nachvollziehen. Wir sind absolut für Transparenz. Ddas aber versucht wird, auf Basis einer „staatlichen französischen Organisation zur öffentlichen Gesundheitspflege“ mit dem Nutri-Score französisches Recht in Europa durchzudrücken, halten wir nach wie vor für schwierig. Wir benötigen hier europaweit abgestimmte Rahmenbedingungen, sonst funktioniert der freie Warenhandel in der EU einfach nicht.
Sascha Loehr: Wir Schokoladenhersteller können ja machen was wir wollen, wir werden beim Nutri-Score einfach kein A bekommen, sondern immer eine schöne rote Kennzeichnung haben. Das weiß der Kunde bei der Schokolade ja auch und will bewusst genießen, sich bewusst belohnen. Beim Nutri-Score geht es doch eher um die versteckten Inhaltsstoffe. Dazu kommt: Die internationalen Einkäufer unserer Handelspartner wissen oft gar nicht, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen.
Michael Wilhelm: Ich bin grundsätzlich für Transparenz bei Lebensmitteln., Nutri-Score ist ein bisher freiwilliges Nährwertkennzeichnungssystem. Wir vertreiben unter anderem die Cerealien Weetabix Original, die seit mittlerweile mehreren Monaten den Nutri-Score „A“ auf der Packung ausweisen. Auch andere Hersteller haben den Ausweis des Nutriscores angekündigt. Wir beobachten die Entwicklung weiterhin sehr aufmerksam.
Sonja Lischka: Ich musste spontan loslachen, als ich beim Einräumen das A auf einem TK-Kartoffelprodukt gesehen habe. Wir können doch nicht ein Label für den Konsumenten einführen, weil wir ihn für unmündig halten und ihm dann so etwas verkaufen! Jedenfalls kann ich keinem Kunden sagen, achte doch auf den Nutri-Score, wenn Du Dich gesund ernähren willst.
Solveig Schneider: Einige Unternehmen bringen den Nutri-Score auf ihren Verpackungen an. Andere Unternehmen, gerade Mittelständler sind zurückhaltend. Ein freiwilliges Kennzeichnungsmodell sollte der besseren Orientierung der Verbraucher dienen. Das Label ist in unseren Augen hierfür nicht das richtige Modell. Der Verbraucher wird in einer falschen Sicherheit gewogen, sich gesund zu ernähren, wenn er nur noch „A“ Produkte essen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Entscheidend ist für den BDSI vielmehr, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher aus einer Nährwertkennzeichnung klare Schlüsse ziehen können, welchen Beitrag das Lebensmittel in Bezug auf den Energie- und Nährstoffgehalt leistet.
Josef Stollenwerk: Für uns ist zweierlei wichtig. Zum einen möchten wir unsere Produkte nicht verändern, denn der Genuss steht im Vordergrund: Wir wollen und können Produkte, die der Kunden seit Jahrzehnten schätzt nicht einfach verändern. Zum anderen fordern wir, dass man europäisch gesamtheitlich vorgeht. Es ist doch völlig absurd, dass der Nutri-Score in Ländern wie Tschechien verboten ist und wir für unterschiedliche Länder unterschiedliche Verpackungen brauchten.

Komplexes Thema also. Wird sich der Nutri-Score auf Süßwaren dennoch durchsetzen?
Frank Gemmrig:
Für mich ist noch nicht geklärt, ob wir beim Verbraucher mit dem Label überhaupt Transparenz schaffen oder ob wir ihn weiter verunsichern. Außerdem zeigt unsere Erfahrung aus dem Vertrieb in Ländern, die eine pechschwarze Tonne als Warnhinweis auf Süßwaren haben, dass das unserem Absatz überhaupt nicht weh getan hat. Der Kunde weiß bei Schokolade und Co., dass er Zucker ißt und das das ein bewusster Genuss ist. Für unsere Branche ist der Nutri-Score nicht relevant und wird nicht schaden – es sei denn, er wird verpflichtend.
Michael Temel: Wir vertreiben in über 100 Länder und müssen uns daher mit dieser Thematik intensiv auseinander setzen. Dabei fragen wir uns auch, ob der Nutri-Score dem Konsumenten wirklich hilft, sein Wissen über Ernährung zu vergrößern oder ihn nur in falscher Sicherheit wiegt. Das reicht ja bis zu der Frage, ob der Ersatz von Zucker in einem Produkt wirklich die bessere Alternative ist.
Mohammed Bahlaoune: Wir bereiten Genuss, Freude, wir wollen Belohnen. Doch mit dem Nutri-Score wird unsere ganze Branche mit einem roten oder orangen Label an den Pranger gestellt – ohne das die Vergleichbarkeit des Verzehrs von Nahrungsmitteln wirklich einleuchtend ist. Wie soll denn ein Kunde beispielsweise den Genuss eines Bieres oder eines Glas Weins einordnen, wenn er das gar nicht in Bezug zu einem Stück Schokolade setzen kann.
Perry Soldan: Für mich ist der Nutri-Score ein erster Schritt, um von Gesetzgebungsseite in der Folge für rote oder orange Produkte eine Zuckersteuer oder ein Werbeverbot zu verhängen. Deswegen haben wir ewig dafür gekämpft, einen Nutri-Score zu verhindern. Nun ist es eine freiwillige Sache, aber wir können sicher sein, dass es auch Gesetz werden wird. Das ist unsere große, langfristige Sorge.
Joachim Mann: Ich bin auch davon überzeugt, dass der Verbraucher, der sich mit seiner Ernährung auseinandersetzt, Farblabel oder Tonnen nicht benötigt. Im Gegensatz, ich kann allein durch ein Vertrauen auf ein „A“ in die völlig falsche Richtung laufen, weil ich keine Nährwerte, sondern nur leere Kalorien zu mir nehme. Gute Ernährung, die wir alle anpeilen sollen, bekommen wir so nicht hin.
Josef Stollenwerk: Vor allem wünsche ich mir, dass auch von wissenschaftlicher Seite her noch einmal deutlich Position bezogen wird. Normalerweise gibt es im Bereich Ernährung zu allem und jedem Studien und Untersuchungen; zum Nutri-Score nicht. Mir fehlen die tatsächlichen Belege.

Wie mündig ist der Verbraucher denn wirklich?
Michael Seidl:
Ich habe schon den Eindruck, dass der Verbraucher schon vor Corona begonnen hat, sich mehr mit Ernährung zu beschäftigen und sich bewusster zu ernähren. Er kauft auch gesündere Produkte. Bei Fertiggerichten macht für mich ein Nutri-Score deswegen auch Sinn, denn diese kann er schlechter einschätzen. Bei Süßwaren ist ein Label für den Kunden irrelevant.
Benjamin Löding: Viele Kunden haben in der Pandemie mutmaßlich mehr Zeit mit Kochen verbracht. Das lässt sich am Einkaufsverhalten deutlich erkennen. Das Bewusstsein dafür, ob und wie viel Süßes verzehrt wird, scheint zuzunehmen. Ein Label fördert das in unseren Augen nicht weiter. Stattdessen sollte mehr Aufklärung angeboten werden. Persönlich habe ich in der Schule zwei Fächer vermisst: Finanz- und Ernährungsbildung.
Markus Lischka: Ich habe das Gefühl, dass das Siegel vor allem dazu dient, die Politiker reinzuwaschen, damit diese unter Beweis stellen können, dass sie alles für die Wähler tun. Der Verbraucher wird dabei völlig unterschätzt, der holt sich die Information, die er will. Inzwischen haben die meisten Kunden Ihr Smartphone dabei und zücken dieses auch, wenn sie eine Auskunft suchen. Die Kunden wissen oft mehr über glutenfreie Produkte oder Laktoseintoleranz als wir. Wenn wir das alles belabeln wollen, wünsche ich nur viel Spaß beim Verpackungs-Design.

Inzwischen ist ja mit einem Klimaschutzlabel ein weiteres Siegel in Deutschland im Gespräch. Wie stehen Sie dazu?
Solveig Schneider:
Die wissenschaftliche Grundlage ist in unseren Augen nicht gegeben. Dazu kommt: Worauf soll der Verbraucher bei all diesen Labeln denn noch achten – und auch der Platz auf der Verpackung ist ja begrenzt.
Perry Soldan: Ich bin ja auch schon seit vielen Jahren mit im BDSI tätig – und nach diesem „irren Ding“ mit dem Nutri-Score kommt jetzt die nächste Hürde. Es nimmt einfach kein Ende mit den Regulierungen und ich fordere die Politik auf, endlich Ruhe einkehren zu lassen. Das ist auch mein Appell an diese Runde hier: Unterstützt uns in der politischen Arbeit für den mündigen, aufgeklärten Konsumenten. Denn dieser steht im Hinblick auf eine bessere und gesündere Ernährung im Mittelpunkt, nicht irgendwelche Regelwerke. Wenn ich davon ausgehe, dass der Verbraucher unmündig ist, nimmt das mit den Regeln und Verboten kein Ende.
Michael Seidl: Grundsätzlich halte ich es für gut, wenn auf Dinge wie den ökologischen Fußabdruck hingewiesen werden. Das sollte aber freiwillig sein, denn ein Hersteller, der sich besonders engagiert, sollte auch die Chance bekommen, dazu direkt mit dem Verbraucher zu kommunizieren. Eine weitere Kontrolle sollte es hier nicht geben.
Benjamin Löding: Mit Siegeln sind die Kunden vermutlich schon heute überfrachtet. Ich bezweifle, ob die Verbraucher bei der Mehrzahl der Siegel wissen, was inhaltlich konkret dahinter steht.
Sascha Loehr:
Unsere Aufgabe als Hersteller ist es doch, den Kunden auch in die Lage zu versetzen, nachhaltig agieren zu können. Das schließt letztendlich alle Aspekte ein, von Papierverpackung bis hin zu regionalen Produkten. In bin sicher, die Konzepte liegen bei uns allen in der Schublade – und werden, wenn auch erst nach Corona, wieder forciert werden.

Wird der Kunde preissensibler? Oder belohnt er sich im Gegenteil häufiger mit hochwertigen Lebensmitteln?
Michael Wilhelm:
Ich bin davon überzeugt, dass der Konsument auch künftig das Besondere sucht und auch weiterhin bereit ist für Premiumartikel einen angemessenen Preis zu zahlen.
Sonja Lischka: Das steht und fällt jetzt mit den politischen Entscheidungen der nächsten Wochen und der Entwicklung der Solidargemeinschaft. Es hängt davon ab, wie gut kommen die Menschen durch die Krise, welche Gewerbe wird es noch geben oder wie sehr unterstützen die Unternehmen ihre Mitarbeiter. 2020 sind wir noch mit einem blauen Auge davon gekommen; den wirklichen Dämpfer der Wirtschaft haben wir noch vor uns. Das werden wir im Supermarkt zuerst zu spüren bekommen, denn bei uns kaufen alle ein und beim Essen wird zuerst gespart. Unser sehr gutes Jahr 2020 im Lebensmittelhandel verhindert einen grundsätzlichen Einbruch nicht.

Welche Entwicklung sehen Sie bei den Eigenmarken?
Sonja Lischka:
Diese sind stark, aber derzeit in der Tat ein bisschen gedämpfter im Verkauf. Der „Ich-Gönne-Mir-Was-Gedanke“ ist bei den Kunden noch sehr verbreitet. Ich vermute aber, dass wird sich ändern, sobald die Zahlungen von Kurzarbeitergeld enden.
Josef Stollenwerk: Ich sehe auf jeden Fall die Schere zwischen Marke und Eigenmarke deutlich mehr auseinandergehen. Marken punkten mit dem gewachsenen Vertrauen bei den Verbrauchern, sie vermitteln Werte wie Authentizität, Ehrlichkeit und Herkunft. Ich sehe aber auch, dass Faktoren wie Regionalität oder Bio zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Dr. Jürgen Brandstetter: Ich sehe es als unsere hervorstechendste Aufgabe an, die Marke zu stärken. Wir profitieren vom Vertrauen der Kunden, gerade in diesen Zeiten, und sollten alles daran setzen, dieses Vertrauen auszubauen. Es wird zwar ein Nebeneinander von Marke und Eigenmarke geben, aber den Vorsprung der Marke sehe ich deutlich.

Welche Faktoren bestimmen derzeit bei Werbung?
Joachim Mann:
Schaut man auf die Startups oder solche Beispiele wie Tony Chocolonelys, sind es die digitalen Tools, die diese Unternehmen zunächst bekannt machen. Aber gekauft wird – noch – eher nicht online, deswegen will jedes Startup in den Handel. Deswegen werden wir weiterhin Maßnahmen für den Handel kreieren – auch wenn wir ebenfalls künftig digitaler vorgehen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wäre das?
Solveig Schneider:
Ich würde mir wünschen, dass die Politik die Einschränkungen und Einbußen der Süßwarenindustrie nicht noch durch neue bürokratische Regelungen verschärft. Stichwort nationales Lieferkettengesetz, wenn zeitgleich an einem europäisches gearbeitet wird. Wir brauchen auch derzeit keine neue Öko-Verordnung samt Label. Die Unternehmen brauchen in der Nach-Corona-Phase die Luft zum Atmen.
Perry Soldan: Früher hätte ich mir an dieser Stelle mehr Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel gewünscht. Denn in den vergangenen Jahren haben wir oft ein Ringen in den Konditionsverhandlungen gesehen, das meist außerordentlich hart war. Hier erlebe ich derzeit eher ein Miteinander, gerade weil wir in den letzten Monaten alle eine harte Zeit hatten. Für mich zählt gerade das gemeinsame Bemühen um die richtigen Produkte und Aktionen für den Kunden. Diesen Tenor werde ich auch unseren Key-Accountern mitgeben.
Michael Wilhelm: Da die Platzierung von Neuprodukten in den letzten Monaten stark eingeschränkt war, ist mein Wunsch wieder mehr die Vermarktung von Innovationen in den Fokus nehmen zu können und dadurch auch die Attraktivität des Einkaufserlebnisses im Geschäft zu erhöhen.

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