Meeresfrüchte vom Festland Wie ein Start-up in Niedersachsen Garnelen züchtet

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Lokal und nachhaltig: Das Start-up Aquapurna hat eine Antwort auf Garnelen aus Fernost. Im niedersächsischen Wunstorf baut es Europas größte Indoor-Garnelenfarm.

Dienstag, 04. Februar 2025, 06:40 Uhr
Hedda Thielking
Nachhaltige Garnelenzucht - Gernele von Aquapurna
Im majestätischen Blau präsentieren sich die Garnelen von Aquapurna in einem Schau-Aquarium. 
Ein beliebter Hingucker für 
Besuchergruppen. Bildquelle: Joanna Nottebrock, Aquapurna/ Lina Sternberg

Dunkel, mollig warm und mucksmäuschenstill ist es in der kleinen Halle, in der sich zwei runde, schwarze Wasserbecken mit einem Durchmesser von drei Metern präsentieren. Nur das Licht von roten Lampen gibt Orientierung. Nein, es handelt sich nicht um die Ruhezone eines Wellness-Bereiches. Hier fühlt sich eine besondere Spezies zu Hause: die White-Tiger-Garnele, die Königin unter den Krebstieren. „Das hier sind unsere Elterntiere“, erklärt David Gebhard und lässt den Lichtkegel seiner Taschenlampe über die Wasseroberfläche tanzen. „In diesem Becken leben etwa 30 männliche Garnelen, dort drüben 30 weibliche.“ Die gut 
20 Zentimeter großen Krebstiere wirken mit der königsblauen Maserung auf ihrem Panzer wahrlich majestätisch.

Wir befinden uns auf der Garnelenfarm Aquapurna in Wunstorf-Bokeloh bei Hannover, genauer gesagt auf dem Gelände des ehemaligen Kali-Bergwerks K+S. Der Abraumberg ist auf dem platten Land schon von Weitem zu erkennen. Der Förderturm steht jedoch schon seit sechs Jahren still. Hier haben David Gebhard, 33 Jahre, sowie sein Geschäftspartner Florian Gösling, 37 Jahre, im Jahr 2019 das Start-up Aquapurna gegründet, das sich auf die Zucht der White-Tiger-Garnelen spezialisiert hat. Eine riesige Baustelle auf dem Gelände deutet darauf hin, dass die Gründer Großes vor­haben. Wie kamen sie auf diese Geschäftsidee?

Nachhaltig statt Asia-Import

David Gebhard geht mit uns durch die Lohnhalle des ehemaligen Kali-Bergwerks in den Mitarbeiterraum und erzählt: „Die Initialzündung kam, als Florian während seines Sabbaticals in Indien zufällig auf eine traditionelle Garnelenproduktion stieß. Abgeholzte Mangrovenwälder mussten riesigen Teichen weichen. Das schmutzige, braune Wasser stank bestialisch und gelangte ungefiltert zurück ins Meer. Häufig bekommen die Tiere dort Antibiotika. Hinzu kommen die langen Transportwege. Viele Garnelen, die in deutschen Supermarktregalen liegen, stammen aus Asien.“ Und Wildfang? „Auch nicht immer die bessere Lösung, denn für jedes Kilogramm Garnelen landen mitunter bis zu 20 Kilogramm Beifang tot und ungenutzt wieder im Meer“, weiß David Gebhard. Vom CO2-Ausstoß durch die Schleppnetzfischerei ganz zu schweigen.

Zurück in Deutschland waren sich Abenteurer Florian Gösling und sein Freund David einig: „Es muss doch möglich sein, Garnelen nachhaltig und lokal zu produzieren.“ Ein Blick auf die deutsche Garnelenlandschaft war ernüchternd. „Es gibt hierzulande zwar ein paar Hersteller. Die Technologie ist jedoch so teuer, dass die Produkte im Supermarkt 80 bis 90 Euro pro Kilogramm kosten und insbesondere für den Durchschnittsverbraucher kaum interessant sind“, berichtet der Geschäftsführer. Und genau das wollten sie ändern: „Unsere Vision ist es, deutsche Garnelen nachhaltig, antibiotikafrei und kosteneffizient zu produzieren. Sie sollen für den Lebensmitteleinzelhandel attraktiv und für die Kunden geschmackvoll und bezahlbar sein.“ Da die Krebstiere nur kurz haltbar sind, vermarkten sie nur schockgefrostete Tiefkühlware.

Vier Jahre intensive Aquakultur-Forschung

Mit diesem Ziel vor Augen gründeten die beiden das Tech-Start-up Aquapurna. Volljurist David Gebhard hatte bereits andere Start-ups während ihres Gründungs- und Finanzierungsprozesses unterstützt. Sein Geschäftspartner Florian Gösling brachte als Maschinenbau-Ingenieur technisches Know-how mit. Aber Garnelen produzieren? Komplettes Neuland! Also holten sie drei Biologen ins Team. Im niedersächsischen Wunstorf fanden sie schließlich den idealen Standort. Das Gelände des ehemaligen Kali-Bergwerks bietet mit bestehenden Gebäuden ausreichend Platz für ihr Projekt. Zudem verfügt K+S über ein eigenes Kraftwerk, sodass das Start-up Strom und industrielle Abwärme für die Beheizung des Wassers nutzen kann. So bleiben die Energiekosten vergleichsweise gering.

Unterstützt durch Privatinvestoren von Kaufland, Develey, Beiersdorf, Just Spices und Flaschenpost hatten sie rund 
6 Millionen Euro Eigenkapital und damit Zeit und Geld, um erst einmal Grundlagenforschung für die Indoor-Produktion von Warmwasser-Garnelen zu betreiben. Sie umfasst eine komplexe Technologie für die Aufzucht, Wasserqualität, Wasseraufbereitung, Ernte und Verarbeitung der Garnelen. „Nach viereinhalb Jahren war die Technologie so weit validiert, dass wir sie für die industrielle Produktion nur noch multiplizieren müssen“, sagt David Gebhard.

Hürden meistern

Doch der Weg dorthin war mitunter steinig. Die Erteilung der notwendigen Genehmigungen dauerte länger als gedacht. Und die Logistik – bisher liefert das Start-up die tiefgekühlten Garnelen mit eigenen Kleintransportern im Umkreis von 100 Kilometern selbst aus – stellte sich als ein kostspieliges Unterfangen heraus. Mehr noch: Die Gründer mussten lernen, dass sie ihr Produkt auch professionell vermarkten müssen. Die Marke „Gamba Zamba“ war zwar schnell gefunden. Für die Verpackung brauchten sie allerdings mehrere Anläufe. David Gebhard nimmt den Kunststoffbecher – emotional mit lächelnden Garnelen gestaltet – von der Fensterbank. Er gibt zu: „Vertretern der Edeka Minden-Hannover gefiel dieser Entwurf zum Teil nicht. Ihre Kritik: Der Becher sei schlecht stapelbar, und die Verbraucher könnten damit eher Speiseeis assozi­ieren.“ Also musste eine Alternative her. Heute gibt es die Garnelen im praktischen und zugleich auffällig pinken Faltschachtel-Design. Künftig bekommt die Verpackung noch ein Sichtfenster, damit der Kunde die königsblauen Garnelen ­sehen kann. Der Becher läuft demnächst aus.

Lehrgeld mussten die Unternehmer auch bei der Beschaffung der Larven zahlen. Diese importierten sie anfangs aus den USA. Sie waren teuer, hatten eine recht hohe Mortalität, und die Logistik erwies sich wegen Flugausfällen und erschwerter Zollverfahren als ein Problem. Nachhaltig fanden sie den Transport sowieso nicht. Deshalb entschieden sich die Visionäre, die Larven selbst zu züchten. „So können wir als erste und einzige Garnelenfarm in Deutschland die komplette Produktion von der Zucht bis zur Verarbeitung ,made in Germany‘ garantieren“, sagt David Gebhard.

Hightech trifft Tierzucht

Nun dürfen wir einen Blick in die Garnelenzucht und -produktion werfen. Die Zucht in dem anfangs erwähnten dunklen Raum erfordert absolute Präzision: Temperatur, Lichtverhältnisse und Wasserqualität müssen auf die Bedürfnisse der Elterntiere exakt abgestimmt sein. Nach dem Schlüpfen siedeln die Mitarbeiter die winzigen Larven in das Gebäude nebenan um – die „Kinderstube“. Mit einem Messbecher schöpft David Gebhard Wasser aus einem Bassin und erklärt: „Nach zwei Wochen sind die Larven erst einen Millimeter groß.“ Wenn sie drei Wochen alt sind, ziehen sie in die Prototypenanlage im benachbarten Gebäude um. Hier wird das Wasser zu 99 Prozent recycelt. Dafür haben die Wissenschaftler eine Filteranlage mit insgesamt fünf Filterstufen entwickelt.

Die zehn Meter langen Aufzuchtbecken der Prototypen­anlage sind durch senkrechte Gitter in drei Bereiche geteilt, in denen sich jeweils eine Garnelen-Generation tummelt. Alle sechs Wochen ist die älteste Generation erntereif. Dann sind die Krebstiere etwa dreieinhalb Monate alt. Nun rücken die jüngeren Generationen jeweils in das nächste Becken auf. So lässt sich das Beckenvolumen optimal nutzen. Und was haben die etagenförmigen Gitter in den Aufzuchtbecken zu suchen? David Gebhard erklärt: „Mit zunehmendem Alter schwimmen die Garnelen am liebsten am Boden. Damit sich aber nicht ­alle Tiere dort aufhalten, schaffen wir mit den mehrstufigen Gitterböden künstliche Riffstrukturen. Sie geben den Gar­nelen das Gefühl, dass sie sich am Boden befinden.“ Die ­Tiere können aber jederzeit seitlich hinein- und hinaus­schwimmen.

Die Garnelen werden in Eiswasser betäubt und per Stromschlag getötet – so wie die Tierschutzrichtlinien es vorschreiben. So erntet Aquapurna in seiner Prototypenanlage alle sechs Wochen rund 600 Kilogramm Garnelen. Auch wenn an diesem Tag leider keine Verarbeitung stattfindet, zeigt David Gebhard den „kleinsten Verarbeitungsraum der Welt“. Hier waschen Mitarbeiter die Krebstiere und sortieren sie je nach Kategorie. Für Easy-Peel-Ware entfernen Mitarbeiter den Kopf von Hand. Anschließend erhalten die Garnelen maschinell einen Schnitt auf dem Panzerrücken, damit sie leichter zu pulen (easy peel) sind. Nun kommen sie in den Schockfroster, bevor sie in Tüten und dann in die Faltschachteln verpackt werden. Ganze Garnelen für die Gastronomie sowie Fischtheken in Supermärkten werden vakuumiert und ebenfalls schockgefrostet.

Momentan vermarktet das Start-up die Garnelen an rund 20 WEZ- und Edeka-Märkte in der Region Minden-Hannover, die Kantine der HDI-Versicherung, Gastronomen und Hof­läden. Mit einem Preis von 5,99 bis 7,49 Euro für eine 160-Gramm-Packung sollen sie laut David Gebhard mitunter günstiger als importierte Bio-Garnelen sein.

Expansion mit Plan

Aktuell wagen die beiden Geschäftsführer den Schritt vom Forschungsprojekt in die industrielle Produktion. Die ca. 4.500 Quadratmeter große Produktionshalle (das entspricht etwa einem Fußballfeld) steht bereits. 16.000 Quadratmeter werden es nach dem Totalausbau sein. Bauherr ist der Eigentümer des K+S-Geländes, der die Halle an Aquapurna vermietet. Kostenpunkt einschließlich Innenausbau und Maschinenpark: weitere rund 14 Millionen Euro. 700 Tonnen Garnelen möchten die Gründer hier nach dem Totalausbau jährlich produzieren. Dafür, dass die Pilotanlage bisher fünf Tonnen im Jahr produziert, ein strammes Ziel. Mit Helm und gelber Warnweste bekleidet führt David Gebhard uns in die demnächst wohl größte Indoor-Garnelenfarm Europas. Die sechs 38 Meter langen und 5 Meter breiten Becken sind bereits erkennbar.

„Wir starten zunächst mit diesen sechs Becken und wollen sicherstellen, dass die Produktion im großen Stil funktioniert“, so der Geschäftsführer. Eines von später sieben Wasseraufbereitungsmodulen versorgt die sechs Becken mit biologisch gereinigtem Wasser. Des Weiteren entstehen hier ein moderner Verarbeitungsraum mit einer „sündhaft teuren“ Verpackungsmaschine, mehrere Wasserfilteranlagen, ein Schockfrosttunnel und ein Tiefkühllager. Mit Solarstrom und einer modernen Kreislauftechnik, die 99 Prozent des Wassers aufbereitet, ist die Energieversorgung auf dem neuesten Stand. Nur das Köpfen der Garnelen erfolgt weiter von Hand, da es dafür noch keine Maschine gibt. Am Ende unseres Besuchs serviert David Gebhard eine Kostprobe: frisch gegarte sowie rohe Garnelen, pur und ohne Beilagen. Sie schmecken intensiv und haben einen festen Biss.

Die beiden Gründer sind optimistisch, dass sie die Mengen künftig an den Handel und die Gastronomie verkaufen können. Trotzdem sind sie froh, wenn bis zum Produktionsstart im Sommer eine Lagerlistung bei großen Handelsunternehmen in trockenen Tüchern ist. An Discounter wollen sie derzeit allerdings nicht vermarkten. „Wir stehen erst am Anfang“, sagt Gebhard. Doch seine Mission ist klar: deutsche Garnelen, die nicht nur den Gaumen, sondern auch das Gewissen und den Geldbeutel erfreuen.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Langsam wachsen, so lautet die Devise von David Gebhard und seinem Geschäftspartner. Sie haben im Jahr 2019 das Start-up Aquapurna in Wunstorf gegründet.
Bild öffnen Die etagenförmigen „Riffstrukturen“ in der Prototypenanlage sorgen dafür, dass sich die Garnelen nicht nur am Boden, sondern gleichmäßig im Becken aufhalten.
Bild öffnen Die frisch geschlüpften Garnelen sind mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Im Alter von zwei Wochen sind sie einen Millimeter groß.
Bild öffnen Ihre königsblaue Farbe verdanken die Garnelen vor allem dem glasklaren Wasser.
Bild öffnen Ein Muttertier produziert bis zu 250.000 Larven, von denen naturgemäß nur ein kleiner Prozentsatz überlebt. Aquapurna möchte den Anteil auf etwa 60 Prozent steigern.
Bild öffnen Im Alter von etwa dreieinhalb Monaten sind die Garnelen erntereif. Dann wiegen sie durchschnittlich 
25 bis 28 Gramm.
Bild öffnen Aquapurna bietet für die Fisch-Bedientheke und 
Gastronomie auch ganze TK-Garnelen (mit Kopf) im 1-Kilogramm-Beutel an.
Bild öffnen Für den Verkauf in der Fischtheke müssen die Mitarbeiter die Gamba-Zamba-Garnelen vorher auftauen und entsprechend darauf hinweisen.