Zahlreiche Studien spiegeln die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit für den Verbraucher wider. Zum Beispiel: Ein aktuelles Ergebnis des IBM Institute of Business Value zeigt, dass 54 Prozent der Verbraucher weltweit bereit sind, einen Aufpreis für Marken zu zahlen, die nachhaltig oder umweltbewusst sind. Keine Rösterei kommt mehr ohne eine Nachhaltigkeitsstrategie aus. Große Werbethemen sind Siegel wie Bio, Fairtrade und Rainforest Alliance, gefolgt von Hilfsprojekten und Verpackungsinnovationen. Wonach entscheidet der Verbraucher aber wirklich?
Das Ergebnis der aktuellen Kaffeekonsum-Studie des Deutschen Kaffeeverbands gibt eine eindeutige Antwort: Angebote bleiben im Kaffeesegment das mit Abstand wichtigste Entscheidungskriterium. Für 24 Prozent der Befragten sind Sonderaktionen der Hauptgrund zum Kauf. Für 40 Prozent sind sie relevant. Spezielle Eigenschaften wie Bio oder Fairtrade nennen gerade einmal 9 Prozent der Befragten als Hauptgrund. 18 Prozent finden sie zumindest relevant. Zum Vergleich: Das Aussehen der Verpackung ist da deutlich wichtiger. 13 Prozent nennen diesen Punkt als Hauptgrund, 29 Prozent als relevanten Aspekt.
Wunderbar deutlich wird dieses widersprüchliche Verhalten des Verbrauchers beim Thema Kaffeekapseln. Lavazza stellte als erster großer Hersteller im Herbst 2019 sein Kapselsortiment auf Bio-Plastik um. Anscheinend ohne den erhofften Erfolg. Denn eine weitere Umstellung steht an, wie aus der Branche zu hören ist. Die Wahl des Materials dieses Mal? Aluminium. Auf den ersten Blick eine verwunderliche Wahl. Schließlich hatte die Kaffeekapsel gerade deshalb an Ansehen verloren. Start-ups wie Rezemo oder My Cups landeten im Lebensmittel-Einzelhandel mit kompostierbaren Kapseln Achtungserfolge. Edeka stellte im September 2020 seine Eigenmarke Gut & Günstig auf Kapseln aus Sonnenblumenkernschalen um. Und nun eine Wende um 180 Grad? Lavazza folgt mit der Umstellung auf Aluminium der Delica-Marke Café Royal, die bereits 2019 auf Alu-Kapseln umstellte, und Dallmayr, wo seit Mai 2021 auf die reine Metall-Kapsel gesetzt wird.
Was die Materialsuche der Kapselhersteller auch deutlich macht, ist, dass das Thema Nachhaltigkeit komplex ist. Denn warum ist plötzlich Aluminium der Gute? Ja, Aluminium ist licht- und luftundurchlässig. Das ist, um das Entweichen der Aromen des Kaffeepulvers zu verhindern, optimal. Aber auch beim Recycling gibt es Fortschritte, die wiederum der Umwelt zugutekommen. „Das gesamte Kapselsortiment wird daher unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft überprüft“, heißt es bei Lavazza. „Wir konzentrieren uns auch stark auf die Entsorgung und untersuchen ständig die besten Praktiken auf der Grundlage der Besonderheiten in jedem Land.“ Ein Grund, in Deutschland umzustellen – denn: Entsorgtes Aluminium kann laut Umweltbundesamt zu 84 Prozent zu Sekundär‧aluminium verarbeitet werden. Der Energieaufwand sei um 95 Prozent geringer als für Primäraluminium. Generell machen Unternehmen in diesem Punkt Fortschritte: Nespresso-Kapseln bestehen beispielsweise zu 80 Prozent aus recyceltem Aluminium.
Zertifikate und Projekte
Wie gehen die Unternehmen also mit den zwei Herzen in der Verbraucher-Brust um? Einige Beispiele: Die Rösterei J. J. Darboven setzt vermehrt auf Bio- und Fairtrade-Zertifizierung. Die Darboven-Marke Café Intención profitierte während der Corona-Pandemie vom bereits vorhandenen und weiter verstärkten Trend zu nachhaltigen Produkten. Seit 2016 setzt sich das Unternehmen mit dem Projekt H.E.L.P., kurz für Honduras Education Life Project, für Kaffeebauern und deren Familien in Honduras ein.
Die Migros-Tochter Delica versucht sich mit der Marke Café Royal nachhaltig zu positionieren. Der Bohnenkaffee von Café Royal ist aus einem Nachhaltigkeitsengagement in Honduras entstanden. Unter anderem engagiert sich das Schweizer Unternehmen durch den Bau von Verarbeitungsanlagen und Schulungen vor Ort. Die Verpackung des Bohnenkaffees besteht aus einem Verbundmaterial mit hohem Papieranteil, das lediglich mit Aluminium bedampft wird. Delica arbeitet mit Fairtrade und Rainforest Alliance zusammen.
Lavazza will mit der Marke Tierra den Verbraucher für sich gewinnen. Tierra fungiert dabei als eigenes Siegel. Ziel der Lavazza-Nachhaltigkeitsstrategie „Roadmap to Zero“ ist es, die Emissionen der Gruppe zu verringern und auszugleichen. Auch mit dabei: die auf Kreislaufwirtschaft beruhende „Roadmap für nachhaltige Verpackungen“.
Die Melitta-Gruppe setzt beispielsweise auf die Zusammenarbeit mit der Hanns R. Neumann Stiftung. In Brasilien testet das Unternehmen nachhaltige Verwertungsmöglichkei‧ten von organischen Abfällen in der Kaffeelieferkette. Stefan Dierks, Director Sustainability bei der Melitta-Gruppe, ordnet ein: „Neben dem möglichen Einsatz organischer Abfälle als Dünger prüfen wir viele weitere Optionen.“ Dazu gehören auch Lebensmittel wie Tees und Limonaden. Die Umsetzbarkeit will Melitta – und hier spielen die Verbraucher wieder die entscheidende Rolle – im Hinblick auf Nachfrage und Marktpotenzial prüfen.
Das Kaffeesegment ist unmittelbar vom Klimawandel betroffen. Wie die Ernte läuft, beeinflusst den Preis. Und hier liegt sprichwörtlich immer noch der Hund begraben. In Anbetracht der aktuellen Preissteigerungen von Tchibo bis JDE ist es also besonders spannend, zu welchem Kaffee der Verbraucher 2022 greift.