Erdinger: Interview mit Josef Westermeier „Die Branche ist verrückt“

Ungewöhnlich offen analysiert der Erdinger-Chef Josef Westermeier im Gespräch mit der Lebensmittel Praxis, was im Bier-Markt falsch läuft.

Donnerstag, 19. Juli 2018 - Regalplatz
Tobias Dünnebacke
Artikelbild „Die Branche ist verrückt“
Bildquelle: Martin Hirmer

Was würden Sie im derzeitigen Marktumfeld als die größte Herausforderung für eine traditionelle Brauerei wie Erdinger beschreiben?
Josef Westermeier: Der Bier-Markt hat in den vergangenen 25 Jahren rund 23 Millionen Hektoliter verloren. Weißbier hatte bis vor fünf Jahren noch einen guten Lauf. Aber auch eine einzelne „Nischenspezialität“ kann nicht ewig gegen den Trend der Branche wachsen. Bei den Weißbier-Trinkern handelt es sich mittlerweile um eine relativ alte Verwenderschaft. Die Herausforderung besteht also darin, eine junge Generation, die mit einer riesigen Vielfalt an Getränke-Angeboten aufgewachsen ist, für sich zu gewinnen.

Das tun Sie seit vergangenem Jahr mit einem alkoholfreien Bier-Mix mit deutlich modernerer Zielgruppenansprache. Das kommt einer Revolution in der Geschichte Ihrer Brauerei gleich. Hat Sie der Markt zu diesem Schritt gezwungen ?
Es gibt Situationen, an die wird man vom Verbraucher herangeführt. Unsere Erdinger-Alkoholfrei-Fans wollten ein Mischgetränk, sie mussten bisher nur auf andere Marken ausweichen. Wir haben Ende der 1990er-Jahre alkoholfreies Bier, das zu diesem Zeitpunkt keine große Rolle gespielt hat, revolutioniert. Anders als der Wettbewerb haben wir nicht gesagt „Alles, was ein Bier braucht“, sondern alkoholfreies Weißbier als gesundes Sportgetränk positioniert. Erdinger Alkoholfrei ist heute deutschlandweit das meist verkaufte alkoholfreie Bier. Diese Kompetenz hilft uns, denn die Basis eines guten alkoholfreien Biermisch-Getränks ist immer noch das Bier. Der alkoholfreie Mix passt also auch in die Tradition unseres Hauses.

Wie zufrieden sind Sie mit der Präsenz der Mix-Variante im Handel?
Wir sind jetzt gut platziert und breit aufgestellt. Aber Out-of-Stocks sind nach wie vor ein Problem. Es dauert immer seine Zeit, bis der Handel bei Neuprodukten den automatisierten Bestellvorgang über das Kassensystem so justiert hat, dass keine Lücken mehr vorhanden sind. Wenn ich in die Läden gehe, unsere Produkte am Donnerstag schon ausverkauft sind und die nächste Lieferung erst am Montag kommt, dann kriege ich natürlich Bauchschmerzen.

Wo liegt das Problem?
Wir selbst haben nicht genügend Manpower, um alle Handelskunden zu betreuen. Da muss schon der Marktleiter selbst mit seinen Angestellten hinterher sein, um die Nachfrage nach den Schnelldrehern zu bedienen. In den Märkten arbeiten aber viele aushilfsweise, zum Beispiel Studenten. Die können das gar nicht überblicken. Hinzu kommt: Der Handel hat ja überhaupt kein Lager mehr. Das Regal ist heute das Lager. Aber zwei bis drei Kisten sind eben schnell weg und dann klafft eine Lücke. Das ist ärgerlich für uns.

Welche Rolle spielt für die Versorgung des Handels die prekäre Lage bei den Spediteuren?
Wir haben täglich bis zu 1.000 Hektoliter, die wir nicht vom Hof kriegen, weil die Spediteure nicht kommen können, um unser Bier abzuholen. Es gibt einfach zu wenige Lkw-Fahrer. Der Job wird schlecht bezahlt, die Arbeitsbedingungen sind hart. Insgesamt betrachtet ist die Situation der Logistiker eine Folge der jahrelangen Unterbietung untereinander, nur um ein Geschäft zu machen. Ich bin überzeugt: Die nächste Preiserhöhung kommt durch die Spediteure. Die Branche wurde jahrelang ausgepresst wie eine Zitrone, da besteht jetzt größter Nachholbedarf.

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