Schweine sind die intelligentesten Nutztiere, die wir haben, sagt Sandra Düpjan, Wissenschaftlerin am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf. Als Verhaltensbiologin erforscht sie seit vielen Jahren die Gefühlswelt von Schweinen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Schweine beeindruckende kognitive Fähigkeiten haben, und von Tiertrainern hört man, dass sie intelligenter sind als Hunde. „Was wir auf jeden Fall wissen, ist, dass Schweine Schmerzen empfinden und auch Angst haben, wenn sie zum Beispiel wissen, dass ihnen Schmerzen bevorstehen.“ Die Wissenschaftlerin geht davon aus, dass Schweine, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt, sich auch freuen und so etwas wie Glück empfinden: „Gerade wenn man ihnen ein besonders spannendes Beschäftigungsmaterial anbietet oder wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, durch einen langen Stallgang zu laufen, dann rennen sie wirklich wie die Verrückten und grunzen dazu, und ich glaube, das ist Freude.“
Doch wie verständigen sich Schweine? Die Hauptkommunikation zwischen Schweinen läuft eigentlich über Akustik, über Laute, sagt die Wissenschaftlerin. Dann gebe es aber auch einiges, was ein bisschen über Körpersprache oder tatsächlich über direkten Körperkontakt läuft, so Düpjan.
Doch die Kommunikation zwischen Mensch und Tier verläuft eher schleppend: Die Tierhalter hätten „viel zu wenig Zeit, sich mal in den Stall zu stellen und einfach zuzuhören“, sagt die Forscherin. Viele Informationen über die Gefühle der Tiere gingen so an ihnen vorbei. Deshalb gebe es den Wunsch nach Technik, die das Befinden der Tiere im Stall rund um die Uhr beobachtet.
Ein großer Schritt für die Forschung
Vor zwei Jahren ist einem Forscherteam ein wichtiger Schritt gelungen, um zu verstehen, wie Tiere miteinander kommunizieren: Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler um die Forscherin Elodie Mandel-Briefer gab bekannt, den Code für die Sprache der Schweine entschlüsselt zu haben. Zum ersten Mal ist KI in der Lage, die Laute von Schweinen zu übersetzen. Die Forscher fanden heraus, dass Schweine in negativen Situationen lauter grunzen. Tiefes Grunzen und Bellen traten in unterschiedlichen Stimmungslagen auf, kurzes Grunzen war ein Indikator für glückliche Schweine.
Mehr als 7.000 Tonaufnahmen von Schweinen
Die Daten stammen von mehr als 411 Schweinen; über 7.000 Tonaufnahmen wurden gesammelt. Aus den vielen Lauten entwickelten die Wissenschaftler einen Algorithmus namens „Soundwel“. Dieser Algorithmus kann einzelne Laute in Emotionen übersetzen, die Menschen verstehen. „Im Rahmen des Soundwel-Projekts haben wir eine große Datenbank mit Schweinegrunzlauten aus bekannten Situationen zusammengestellt. Diesen Grunzlauten konnten wir Emotionen zuordnen, indem wir den Kontext, in dem sie aufgenommen wurden, das Verhalten der Schweine und in einigen Fällen auch ihre Physiologie – zum Beispiel Herzfrequenz – berücksichtigten“, berichtet Prof. Elodie Mandel-Briefer von der Universität Kopenhagen im Gespräch mit der Lebensmittel Praxis. Sie ergänzt: „Wir haben den Algorithmus so trainiert, dass er mit einer Genauigkeit von 92 Prozent unterscheidet, ob sich ein Schwein in einem positiven Glückszustand oder in einem negativen Angstzustand befindet.“ Die Wissenschaftler fanden 19 Abstufungen, in denen die Tiere ihre Gefühle ausdrücken.
Von einer „Sprache“ könne man nicht sprechen, meint die Wissenschaftlerin, „aber die KI kann die Emotionen entschlüsseln, die die Schweine in ihren Rufen ausdrücken, und das ist wichtig, weil das Wohlbefinden der Tiere stark von ihrer psychischen Gesundheit abhängt“. Für den Tierschutz ist daher nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit der Tiere von Bedeutung.
Lassen sich bald alle Tiere per KI verstehen?
Der uralte Wunsch der Menschheit nach Kommunikation mit Tieren könnte mehr als nur ein Traum sein. Er könnte bald Wirklichkeit werden, wenn es nach dem Earth Species Project (ESP) geht. Das Projekt ist ehrgeizig. Es will nicht weniger als alle Sprachen des Tierreichs entschlüsseln. Künstliche Intelligenz macht es möglich. Das Earth Species Project ist eine gemeinnützige Organisation. Sie wird von privaten und institutionellen Spendern finanziert. Ziel ist es, KI-Methoden in die Bioakustik und Tierkommunikation zu integrieren. Im ESP-Projekt arbeiten KI- und Biologieexperten sowie Universitäten weltweit zusammen, um das Verständnis der Tierkommunikation zu revolutionieren.
Das ESP-Projekt verwendet KI-Modelle, ähnlich denen für die menschliche Sprache, um Kommunikationssignale von Tieren zu analysieren. Bisher wurden mehrere Modelle veröffentlicht, die für verschiedene Tierarten trainiert wurden. Das ESP will einen Schritt weiter gehen. Mithilfe von KI sollen gezielt Tierlaute erzeugt werden, um vielleicht eines Tages direkt mit den Tieren kommunizieren zu können. Das Earth Species Project arbeitet bereits daran, die synthetischen Tierlaute an ersten Tierarten zu testen.
Die derzeitigen Instrumente zur Bewertung des Tierwohls beziehen sich jedoch hauptsächlich auf die physische Gesundheit, meint die Wissenschaftlerin. Die psychische Gesundheit, wie zum Beispiel Emotionen, wird weitgehend vernachlässigt, obwohl sie für die Bewertung und das Erreichen eines guten Tierwohls von großer Bedeutung ist. Daher sei es wichtig, Wege zu finden, um Emotionen zu messen, sagt die Forscherin. Was jetzt noch fehlt, ist ein weiterer Forscher, „der den Algorithmus zu einer Anwendung weiterentwickelt, mit der Landwirte das Wohlergehen ihrer Tiere verbessern können“, sagt Elodie Mandel-Briefer. „Im Moment haben wir nur die KI und unsere Datenbank. Es ist noch ein langer Weg, bis das System auf den Höfen eingesetzt werden kann.“
Mit KI gegen Schwanzbeißen
Smart Tail ist ein von der EU gefördertes Projekt von Dr. Henning Müller vom Hof Fleming. Das Projekt ruht derzeit. Smart Tail verfolgt im Wesentlichen das Ziel, Schwanzbeißen bei Schweinen mithilfe von KI auf Basis von Sensoren zu erkennen. Dazu werden verschiedene Schweinebuchten sensorisch mit RGB- und/oder 3D-Kameras ausgestattet. Die Videodaten werden auf einen Deep-Learning-Server übertragen und dort ausgewertet.
Auch Mark Hansen, Professor für maschinelles Sehen und Lernen in Bristol, gehört zum internationalen Soundwel-Team: Er analysiert die Mimik von Schweinen. Er arbeitet am Computerlabor der Universität Bristol. Er entwickelt Algorithmen für maschinelles Sehen, um die Emotionen von Schweinen zu entschlüsseln. „Wir untersuchen, ob wir die Mimik von Schweinen in verschiedenen emotionalen Situationen mithilfe von Bildverarbeitungstechnologie erkennen können“, berichtet Melvyn Smith, Professor an der Universität Bristol und Mitglied von Mark Hansens Team.
Vier Kriterien sind dabei besonders wichtig und werden gefilmt: die Stellung der Ohren, das Öffnen der Augen, die Bewegung der Schnauze und die Spannung des Mauls. Ziel seiner Forschung ist es auch, Stress bei den Tieren automatisch zu erkennen. „Es ist seit Langem bekannt, dass viele Tierarten Gesichtsausdrücke haben, auch wenn diese einfacher sind als beim Menschen. Es wurden Techniken entwickelt, um sie manuell zu entschlüsseln“, berichtet Melvyn Smith. Eine davon heißt FACS (Facial Action Coding System). Diese Methode ist jedoch zeitaufwendig und beschränkt sich oft auf die Erkennung von Schmerzsymptomen.
KI überwacht die Tiergesundheit
Vetvise ist ein Start-up, das KI-gestützte Stallüberwachung anbietet. „Wir haben ein Kamerasystem mit integrierter KI entwickelt, das Tiere erkennt und ihr Verhalten analysiert. Ziel ist es, dem Landwirt Handlungsempfehlungen zu geben, damit er präventiv eingreifen kann, bevor die Tiere ein Stressverhalten zeigen“, sagt Johannes Schmidt-Mosig, Mitgründer des Start-ups, an dem der Landwirtschaftsverlag, zu dem auch die LP gehört, beteiligt ist. Kameras überwachen den Stall rund um die Uhr und beobachten das Verhalten der Tiere, zum Beispiel, wo genau sie sich im Stall aufhalten.
Die beobachteten Daten werden dann von der selbst entwickelten KI des Start-ups ausgewertet und geben unter anderem Aufschluss darüber, ob Tiere krank sind oder das Stallmanagement angepasst werden muss. Halten sie sich beispielsweise überwiegend im vorderen Teil des Stalls auf, kann das ein Hinweis auf eine schlechte Belüftung im hinteren Teil sein. „Die Tiere können ihre Haltungsbedingungen quasi selbst regulieren. Vorausgesetzt, der Landwirt setzt das System richtig um“, erklärt Schmidt-Mosig.
Schweinemäster Willi Steffens vom Niederrhein ist ein Pionier der Schweinevermarktung mit Strohschweinen. Seine Tiere stehen in Außenklimaställen auf Tiefstreu. Aber kann er sie auch verstehen? „Jeder Schweinehalter weiß genau, was seine Tiere ihm sagen. Da brauche ich keine KI“, sagt der Schweinezüchter. In der Regel könne er die verschiedenen Tierlaute seiner Schweine auch ohne maschinelle Unterstützung unterscheiden. Doch Steffens ist sich sicher, dass er in Zukunft KI einsetzen wird, wenn es für ihn auch wirtschaftlich sinnvoll ist. „Wir werden nicht umhinkommen, diese Technologien zu nutzen, um uns die Arbeit zu erleichtern. Er ergänzt: „Durch die Kombination von Mikrofon- und Kameratechnik können wir das Liege- und Grunzverhalten der Schweine analysieren. Und zwar rund um die Uhr und nicht nur während der Fütterungs- und Betreuungszeiten.“
KI bedeutet nicht automatisch mehr Tierwohl
„Wenn wir in die Zukunft blicken, müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass Technologie sofort alles verändert“, sagt Dr. Henning Müller, Forscher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). In der Kombination von Bewegungsmustern und Lautäußerungen zur Unterstützung des Tierhalters sieht Müller aber großes Potenzial. „Das heißt aber nicht, dass jeder Landwirt sofort alles umstellen muss“, sagt der Forscher. „Nur weil ich KI einsetze, bedeutet das nicht automatisch mehr Tierwohl. Ich muss das richtige Konzept haben“, sagt Müller.
Würde der Forscher, der selbst Nebenerwerbslandwirt ist, heute einen neuen Schweinestall bauen, würde er auf jeden Fall Kamerasysteme einbauen. Das kameragestützte Monitoring und die KI liefern dem Tierhalter Informationen, mit denen er frühzeitig auf Probleme wie Krankheiten reagieren kann. Das ist ein wertvoller Beitrag zum Tierschutz.
Intelligente Kontrolle
Das KI-Portal „Soundtalks“ ist ein 24/7-Überwachungssystem. Es besteht aus Mikrofonen und Monitoren, die mit Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren ausgestattet sind. Mittels eines intelligenten Algorithmus werden die Daten rund um die Uhr erfasst, gespeichert und ausgewertet. Soundtalks erkennt Atemwegserkrankungen bei Schweinen bis zu fünf Tage früher als bei Routinekontrollen und nutzt dabei KI. Bevor die Tiere ernsthaft erkranken und es zu weiteren Ansteckungen im Stall kommt, können so rechtzeitig Maßnahmen eingeleitet werden. Der Landwirt erhält per Push-Nachricht einen Alarm auf sein Smartphone, wenn ein Tier hustet oder Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Stall abweichen. Die Warnmeldungen werden zusätzlich durch LED-Leuchten direkt über dem jeweiligen Abteil des betroffenen Tieres angezeigt.