Herr Kühn, wie schwer ist es sich mit Wurst und Fleisch von Eberswalder auf dem Berliner Markt zu positionieren?
Sebastian Kühn: Wir sind heute der Wursthersteller Nr. 1 für die Region Berlin-Brandenburg. Und das sind immerhin sechs Millionen Konsumenten. Wir haben eine schwere Zeit hinter uns. Am Anfang konnten wir nur von einem Jahr auf das Andere schauen. Heute schreibt das Unternehmen wieder schwarze Zahlen und wir sind auf einem guten Kurs. Bei uns werden noch viele Produkte mit der Hand hergestellt. Betriebswirtschaftlich wären mehr Maschinen, mehr Automatisierung besser, gleichzeitig ist die Herstellung von Wurst solides Handwerk. Wir müssten deshalb noch mehr kommunizieren, dass wir trotz Industriecharakter immer noch handwerklich unterwegs sind.
Wie denken Sie über die Corona-Krise?
Bisher sind wir gut durch die Corona-Pandemie durchgekommen, auch dank der Tatsache, dass wir fast ausschließlich den LEH beliefern. Die Produktmargen sind seit Jahren allerdings sehr bescheiden. Die Mehrkosten und Risiken aus der Corona-Krise und der damit verbundenen Produktionslast sind deshalb noch nicht absehbar.
Wird sich die Fleischbranche durch Corona verändern?
Sie hat sich schon verändert. Ich habe den Eindruck, dass die Corona-Krise dazu beitragen kann, dass wir unsere Geschichten beim Verbraucher besser platzieren können. Es geht um das Thema Tierwohl, um Arbeitsbedingungen und die Wertigkeit der Produkte, die wir verkaufen. Hier ist aber wichtig: Wir können die Rechnung nicht ohne den Handel machen. Wir müssen uns alle an einen Tisch setzen – dazu zählt die gesamte Wertschöpfungskette. Wenn wir die auftretenden Probleme nicht lösen, wird es keine dauerhaft nachhaltigen Veränderungen geben. Und dann ist alles, was wir in Krisenzeiten sehen, ganz schnell vergessen.
Wird die Eberswalder Wurst GmbH aus der Krise gestärkt hervorgehen?
Ich sage ganz selbstbewusst ja. In der Krise haben wir noch einmal gelernt, was wichtig ist. Vor allem unsere Mitarbeiter stehen im Fokus. Wir müssen mehr hinhören, wenn von den Mitarbeitern Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge gemacht werden. Ein Beispiel hierfür ist „Foodwaste. Warum entsteht so viel Bruchware? Jede Woche produzieren wir zwischen 500.000 bis 600.000 Kilogramm Fleisch- und Wurstwaren. Und wenn dann ein Prozent Bruch entsteht, summiert sich das. Das ist verlorenes Geld und eine große Ressourcenverschwendung. Es reicht nicht, wenn wir das den Mitarbeiter vorschreiben. Mitarbeiter müssen die Prozessschritte verstehen und sich damit identifizieren. Sie selbst müssen davon überzeugt sein, und wissen, was das Beste für alle ist.
Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Situation?
Das Ergebnis von 2020 wird sich verbessern, da die Rohstoffpreise in 2019 - bedingt durch Chinaexporte - durch die Decke schossen. Wir sehen uns allerdings nicht als Corona-Gewinner, denn der Mehraufwand in der Produktion ist erheblich. Wir sind glücklich, dass wir noch alles in der eigenen Hand haben und jeden Tag unsere Produkte produzieren können.
Wie ist Ihre strategische Ausrichtung?
Als Familienunternehmen machen wir uns über unsere strategische Ausrichtung für die kommenden Jahre intensiv Gedanken – und das nicht erst seit Beginn der aktuellen Krise. Als mittelständisches Unternehmen können wir nicht viel in Werbung investieren. Vielmehr setzten wir auf regionales Engagement und ein faires Miteinander in Partnerschaften. Allen muss bewusst werden, dass Nachhaltigkeit nur erreichbar ist, wenn landwirtschaftliche Produzenten und wir als regionaler Verarbeiter auch zu vernünftigen Bedingungen in Deutschland produzieren können.
Welche Ideen haben Sie deshalb entwickelt?
Den ersten Ansatz zur Regionalisierung haben wir 2018 auf den Weg gebracht: In 21 Frischetheken der Rewe-Märkte in Berlin und Brandenburg konnte damals das Programm 100 Prozent regional – Schweinefleisch von Brandenburger Bauern – umgesetzt werden. Aktuell sind 80 Frischetheken bei Rewe Ost in das Programm und weitere 200 Märkte im SB-Fleischbereich eingebunden. Die Rewe Ost hat angesichts dieses Erfolgs die Kooperation um fünf Jahre verlängert. Das ist die Basis für unser regionales Denken. Und wir müssen weiter daran arbeiten und brauchen noch mehr Partner. Die Hauptstadtregion ist ein großer Markt.
Wie haben Sie Ihren Erzeuger gefunden?
Mit der Prignitzer Landschwein GmbH aus Neuhof haben wir auf der landwirtschaftlichen Ebene einen ersten Partner eingebunden. Andere exzellente Betriebe kommen dazu. Eines der Ziele war, dass wir durch einen garantierten Abnahmepreis für die Schweinehalter und die transparente Kalkulation in Schlachtung, Zerlegung, Verpackung und in der Verbraucheraufklärung sicherstellen konnten, dass der höhere Verkaufspreis, den der Kunde an der Fleischtheke zahlt, auch bis zum Tierhalter zurückfließt.
Wie profitabel ist die Kooperation?
Die bestehende Kooperation ist profitabel für alle Seiten. Zwar macht „100 Prozent Regional“ bisher nur einen kleinen Teil unseres 100-Millionen-Euro-Umsatzes aus, doch die Idee hat Potenzial. Die Zukunft liegt nicht im Massenmarkt. In Berlin und Brandenburg leben rund sechs Millionen Menschen, die mehr als 220 Millionen Kilo Schweinefleisch im Jahr verzehren. Die Menschen haben Sehnsucht nach regionalem Essen. Eberswalder ist eine Marke, die in der Region verwurzelt ist. Das sollte passen.
Kann ein Unternehmen Ihrer Größe ausschließlich Fleisch von regionalen Produzenten beziehen?
Wir engagieren uns seit Jahren für die Region. Jedoch müssen wir auch realistisch bleiben. Im Moment beziehen wir knapp zehn Prozent der Rohstoffe aus Brandenburg. Wir sprechen in der Woche von 1000 bis 1200 Schweinehälften. Der Rest des Rohstoffs stammt aus Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Von jährlich drei Millionen Ferkeln in Brandenburg werden aktuell nur knapp eine Million jährlich in Brandenburg gemästet. Diese Million würde den Bedarf der Hauptstadtregion nur für eine kurze Zeit im Jahr abdecken. Es ist den Verbrauchern nicht bewusst, dass es dann weder Fleisch noch Wurst auf ihren Tellern gäbe. Deshalb beziehen wir unsere Rohwaren überwiegend von Erzeugern aus dem niedersächsischen Raum. Entscheidend ist für uns bei der Entwicklung regionaler Lieferketten, dass die Erzeuger unserem neuen Qualitäts- und Quantitätsanspruch dauerhaft entsprechen und direkt mit uns zusammenarbeiten..
Wie gehen Sie weiter vor?
Da müssen wir weiter anknüpfen, brauchen aber auch Partner, die die Ware vermarkten. Und letztlich liegt der Hebel beim Verbraucher. Er muss penibel hinterfragen, wo die Ware herkommt und ob sie den eigenen Ansprüchen genügt. Viele Verbraucher wissen gar nicht, dass die Hauptstadtregion durch ihren Speckgürtel sich selbst ernähren könnte.
Was ist deshalb Ihr großes Ziel?
Strategisch sehen wir in nachhaltigen Wertschöpfungsketten für die Hauptstadtregion die Zukunft. Es ist ein langer Weg – der könnte aber in gut fünf Jahren erreicht werden.
Sollte sich die Politik deshalb stärker engagieren?
Ich vermisse noch stärkeren Rückenwind von der brandenburgischen Politik. Wir sind der Mittelstand der Region in einer systemrelevanten Branche, den die Politik auch zukunftsfähig halten sollte.
Was können Sie dafür anbieten?
Wenn das mal soweit ist, haben wir eine ideale Ausgangssituation, weil wir aus einer Hand Fleisch, Wurst und Convenience anbieten können. Bisher ist das teilweise alles nur Theorie. Es ist dringend notwendig, dass aus diesen Worten Taten folgen. Da ist die Politik schon gefordert.
Wie denken Sie über einen regionalen Zuschlag für Ihre Produkte?
Das wäre eine gute Lösung. Auch hier ist die Politik gefordert.
Was ist mit der Idee eines Food Valley Brandenburg?
Ich habe hier genügend Ideen: So könnte auf dem Gelände des ehemaligen Eberswalder-Kombinats in Britz das „Food Valley Brandenburg“ entstehen, eine Art Kompetenzcenter der brandenburgischen Land- und Ernährungswirtschaft.
Was ist das Besondere an Ihren Produkten?
Unser Sortiment wird seit Jahrzehnten in der Region produziert. Dabei setzen wir mit selbst entwickelten und überlieferten regionalen Rezepturen auf die Unverwechselbarkeit unserer Produkte. Wir legen großen Wert darauf, zu sagen: unsere Regionalität ist die Tradition, die Rezeptur und die Hände, die die Wurst herstellen. Insbesondere unsere Eberswalder Würstchen haben es geschafft, seit Generationen für die Region zu stehen.
Was heißt das für Ihre Produkte?
Im umkämpften Lebensmittelmarkt wollen wir mit der Marke „Eberswalder“ punkten. Die Marke ist in den Neuen Bundesländern und in Berlin gut eingeführt, die Verbraucher verbinden mit unseren Produkten gute Qualität. Wir wollen künftig dabei noch stärker auf Regionalität setzen. Die Herkunft und damit verbundene Haltungsqualität beim Landwirt muss bei der Kommunikation zu den Produkten in den Vordergrund rücken.
Sie haben vor kurzem ihre vierte Filiale in Berlin-Buch eröffnet. Wie ist hier Ihre Strategie?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die Theken in der Vorkassenzone für uns nicht wirklich rentieren. Wir werden in Zukunft den Fokus auf weitere eigene Filialen legen und neue Standorte im Berliner Speckgürtel suchen – abhängig vom Standort und der Verfügbarkeit des Personals.
Was bereitet Ihnen die größten Sorgen?
Sorgen macht mir der starke Wettbewerb im Einzelhandel. In der Fleischwirtschaft herrscht seit jeher ein rauer Wind. Die Hersteller bekommen gleich von zwei Seiten Druck: die schwankenden Rohstoffkosten und der Preisdruck des Einzelhandels drücken die Margen. Vor allem der Schweinepreis gibt Anlass zur Sorge. Steigt er, gehen die Produktionskosten in die Höhe. Die höheren Preise werden aber vom Handel oft nicht gleich akzeptiert. Der sinkende Gewinn kann so schnell bedrohlich werden. Und Fleischwaren sind hierzulande viel zu billig. Die Verbraucher wollen für gute Lebensmittel immer weniger bezahlen. Ich würde mir mehr Wertschätzung der Lebensmittel, gerade auch für das Naturprodukt Fleisch, seitens der Verbraucher wünschen.
Wie preissensibel sind die Verbraucher?
Der Verbraucher ist durch den Handel der vergangenen 20 Jahre verwöhnt worden, preisgünstige Wurst bzw. Grundnahrungsmittel zu kaufen. Der Endverbraucher kennt gar nicht mehr den normalen verursachungsgerechten Preis der Grundnahrungsmittel – jetzt ist er stark sensibilisiert, wenn der Wurstpreis steigt.
Welche Trends können Sie im Fleisch und Wurstsegment ausmachen?
Ich sehe stark den Trend der Rückbesinnung auf Standards. Der Markt der Spezialitäten hat seine Anhänger, trifft aber nicht das Gros der Konsumenten. Diese bevorzugen noch immer standardisierte Produkte. Dennoch sind wir aber in der Lage viele Varianten darzustellen.
Der Fleischbranche setzen demographische Veränderungen und geänderte Ernährungsgewohnheiten zu. Wie denken Sie über die Zukunft?
Tendenziell geht der Fleisch- und Wurst-Konsum in Deutschland rein von der Menge her leicht zurück. Das wird sich so schnell nicht ändern. Aber interessant ist nicht nur die Größe, sondern die Zusammensetzung des Kuchens. Ich sehe eine Verschiebung in Richtung eines bewussten, anspruchsvollen Fleisch- und Wurstkonsums.
Können Sie sich vorstellen, dass EWG eines Tages auch Invitro-Produkte anbietet?
Ausschließen will ich das nicht. Es hätte seine Vorteile. Aber bis ein solches Fleisch für die deutschen Endverbraucher bezahlbar ist, wird noch einige Zeit vergehen. Und auch dann wird die Frage sein, ob sie nur in Umfragen oder auch an der Kasse bereit sind, dafür mehr zu zahlen.
Welche sind Ihre Verkaufsschlager?
Unsere Eberswalder Würstchen (in zarter Eigenhaut) machen fast die Hälfte der Gesamtmenge aus. Die Bratwurst ohne Darm und das Knüppelsalami-Sortiment verkaufen sich gut.
Sind denn die deutschen Verbraucher bereit beim Fleischkauf für mehr Tierschutz mehr in die Tasche zu greifen?
Das muss man differenziert sehen. Es ist nicht die Mehrheit der Verbraucher, die konkret mehr Tierwohl kauft. Auch wenn das in Umfragen häufig den Anschein erweckt. Trotzdem ist die Nachfrage auf Seiten der Kunden da und die Kunden sehen auch, dass Tierwohl nicht zum Nulltarif zu machen ist. Dem Handel fehlt allerdings noch zu häufig der Mut dies auszuprobieren.
Welche Ziele möchten Sie in den nächsten Jahren umsetzen?
Mein Wunsch ist, dass der Konsument aus der Vielfalt des Angebots gezielt nach Eberswalder Produkten greift. Und als Unternehmen wollen und müssen wir weiterwachsen, das funktioniert in den letzten fünf Jahren ganz gut. Der Erhalt unserer Produktionsstätte, als eine der letzten Traditionsstandorte im Osten Deutschlands, ist uns dabei das wichtigste Anliegen.
Wie denken Sie über die Nachfolge?
Ich hätte Gefallen daran, wenn meine Kinder in meine Fußstapfen treten. Schön wäre das, weil es den Charakter des Unternehmens unterstützt. Eberswalder ist einer der wenigen Betriebe mit einer ostdeutschen Marke, die tatsächlich noch in Familienhand und nicht konzerngebunden ist. Bis dahin bleibt noch viel Zeit…..