Eberfleisch Stinker spalten

Gibt es im LEH bald Eberfleisch? Ist Jungebermast Ausweg aus betäubungsloser Ferkelkastration?

Dienstag, 07. Dezember 2010 - Fleisch
Bildquelle: Kaiser's Tengelmann

Fleisch mit ausgeprägtem Geschlechtsgeruch ist in Deutschland für genussuntauglich zu erklären. Das ist Gesetzeslage. Da das Fleisch von Ebern aber häufig stinkt, war es bislang der Geruchsvermeidung und besseren Vermarktung wegen üblich, die männlichen Ferkel zu kastrieren, zumeist betäubungslos. Dagegen laufen Tierschützer seit Jahren Sturm. 2008 hat die Agrarministerkonferenz beschlossen, die betäubungslose Kastration zu verbieten, sobald eine praktikable, tierschutzkonforme und wirtschaftlich zumutbare Alternative zur Verfügung steht. Dabei müssen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU vermieden werden. QS bildete eine Koordinierungsplattform und schrieb den Schmerzmitteleinsatz im QS-System verbindlich vor.

Ab 2011 will die niederländische Supermarktkette Albert Heijn nur noch Fleisch von unkastrierten Tieren (Label Beter Leven) vermarkten. In Deutschland befürchten viele eine Spaltung des Marktes: Eberfleisch hier, „normales Schweinefleisch" dort. Da kaum ein Verbraucher bereit sein wird, für Eberfleisch mehr zu bezahlen als für Sauenfleisch - der Verzicht auf die betäubungslose Ferkelkastration aber auf jeden Fall Kosten verursacht (egal welches Verfahren angewendet wird: CO2-Betäubung, Immunokastration, Züchtung von Ebern ohne Geruch, Erfindung einer elektronischen Nase, die am Schlachtband geruchsauffällige Teile aussortiert) – gibt es derzeit noch keine für den Massenmarkt praxistaugliche Lösung. Der Wille der Branche, eine Lösung zu finden, ist da. Die Jungebermast wäre für alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette vorstellbar, aber noch gibt es sie nicht, und der Druck wächst.

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Paul Daum, Bereichsleiter Nationales Qualitätsmanagement, Verbraucherschutz, ökologischer Landbau, Kaiser's Tengelmann GmbH, München



Hintergrund

Eberfleisch (viel seltener auch das Fleisch von Sauen) kann extrem stinken. Der urin- und fäkalähnliche Geruch wird wesentlich auf die Stoffe Androstenon und Skatol zurückgeführt. Der Skatolgehalt wird wesentlich beeinflusst durch Haltung, Hygiene sowie Fütterung der Tiere und ist leichter beeinflussbar als der Androstenon-Spiegel, der sich vermutlich am besten über die Züchtung senken lässt. Den Eberfleisch-Geruch nehmen mehr Frauen (ca. 46 Prozent) als Männer (ca. 26 Prozent) wahr. Das ergaben wissenschaftliche Tests, die bei der QS-Tagung „Verzicht auf Ferkelkastration; Stand und Perspektiven" vorgestellt wurden. Ein geringer Teil der Testpersonen empfand den Geruch als „angenehm".

Eber haben eine um 1 bis 5 Prozent schlechtere tägliche Gewichtszunahme, eine um 6 bis 15 Prozent geringere Futteraufnahme, eine um 10 bis 15 Prozent bessere Futterverwertung, eine um 2 Prozent geringere Ausschlachtung, sowie einen um 1 bis 2 Prozent höheren Anteil wertvoller Teilstücke. Landwirte und Verarbeiter sehen Chancen (bessere Futterverwertung, Steigerung der Tageszunahmen, geringerer Fettanteil) und Risiken (Eingeschränkte Vermarktung, Abwerten des männlichen Geschlechts, erhöhter Nährstoffimportbedarf, Schnittfähigkeit).

Jährlich werden in der EU ca. 100 Mio. Ferkel zur Vermeidung von Ebergeruch kastriert, davon 25 Mio. in Deutschland.

Standpunkt: Paul Daum will Verbraucher- und Tierschutz

„Die Bedingungen der Lebensmittelproduktion einschließlich der Tierhaltung sind für die Konsumenten von zunehmendem Interesse. Dies stellt erhöhte Anforderungen an alle Glieder der Wertschöpfungskette. Die bisherige Praxis der Ferkelkastration wurde bis vor kurzem ohne Einsatz von Schmerzmitteln durchgeführt. Von den 30er bis in die 70er Jahre hinein diente dies der Versorgung der Bevölkerung. Nie wurde der belastende Ebergeruch vom Konsumenten akzeptiert. Die Kastration männlicher Ferkel war ein anerkanntes, traditionelles Verfahren zur Sicherung der Fleischqualität, die die Konsumenten von der Branche und vom Handel bislang akzeptierten.

Gemeinsam mit dem Tierschutz (Deutscher Tierschutzbund), der QS GmbH und der gesamten Wertschöpfungskette hat sich der Lebensmittel-Einzelhandel dazu verpflichtet, die Entwicklung von alternativen Verfahren zur traditionellen Kastrationsmethode zu beschleunigen. Ziel muss es sein, jegliche Risiken für die Verbraucher wie z.B. der üble Ebergeruch, Beeinträchtigungen der Fleischqualität oder Veränderungen im Fettanteil des Fleisches vollkommen auszuschließen und bei den männlichen Tieren auf die Kastration gänzlich verzichten zu können. Bereits 2007/2008 wurde dieses Thema vom Handel an die QS GmbH delegiert. Die Prüfung von Vor- und Nachteilen einzelner alternativer Methoden ließ erkennen, dass trotz aller Dringlichkeit eine sachliche, präzise Betrachtung der alternativen Verfahren notwendig ist. Denn der Schutz des Verbrauchers und damit die Sicherheit und gewohnte Qualität des Lebensmittels ist und muss oberstes Gebot sein und bleiben, obgleich der Schutz der Tiere damit keinesfalls abgewertet werden soll.

Wir brauchen als Übergang zur Jungebermast praxistaugliche, alternative Verfahren, die gründlich und zuverlässig erprobt sind. Die QS GmbH arbeitet zusammen mit der gesamten Wertschöpfungskette sowie Experten aus Industrie, Wissenschaft, Medizin und Politik mit Hochdruck daran. Kaiser's Tengelmann sowie der LEH können und werden kein Verfahren akzeptieren, das bezüglich Fleischqualität und Fleischsicherheit zu Lasten der Konsumenten geht. Aus diesem Grunde fordere ich eine gründliche Prüfung aller Alternativen, auch wenn dies unter Umständen noch etwas Zeit in Anspruch nimmt. Wir brauchen schnellstmöglich – jedoch nicht um jeden Preis – eine akzeptable Lösung für unsere Konsumenten (Verbraucherschutz) und unsere Tiere (Tierschutz). Jede kurzfristige und scheinsichere Alternative werden wir entschieden ablehnen."

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