LP-Round-Table Süßwaren Eine Branche im Krisenmodus

Teure Rohstoffe, neue Regulierungen: Die Süßwarenbranche steht vor großen Herausforderungen. Die Konsolidierung der Branche dürfte weitergehen, glauben Vertreter der Industrie.

Freitag, 16. Juni 2023 -
Manuel Glasfort
Artikelbild Eine Branche im Krisenmodus
Bildquelle: Cavendish & Harvey

Die Lage der mittelständischen Süßwarenhersteller in Deutschland bleibt schwierig, die Herausforderungen angesichts volatiler Rohstoffpreise, Personalmangels und neuer Regulierung sind groß. In diesem Punkt waren sich die Branchenvertreter einig, die auf Einladung der Lebensmittel Praxis am Rande der Internationalen Süßwarenmesse (ISM) in Köln zusammengekommen waren, um die Lage zu erörtern. „Das vergangene Jahr hat uns insgesamt vor Herausforderungen gestellt, wie jeden anderen Hersteller sicher auch“, fasste Oliver Lahode, Vertriebschef beim Brot- und Kuchenbäcker Kuchenmeister, die jüngsten Erfahrungen zusammen. „Durch den Ukrainekrieg gab es einige Verschiebungen. Uns hat insbesondere das Thema Weizen beschäftigt. Damit einhergehend mussten wir relativ kurzfristig Preissteigerungen umsetzen im Dialog mit dem Handel.“

Und wie liefen die Verhandlungen mit den Einkaufsabteilungen der Handelsunternehmen? Frank Gemmrig, Geschäftsführer des Bonbonherstellers Cavendish & Harvey, berichtete: „Alle, die mit Süßwaren zu tun haben, wissen, was auf der Rohwaren- und der Verpackungsseite passiert ist. Bei den Lohnforderungen sehen wir noch gar nicht das Ende.“ Die Kostensteigerungen ließen sich nicht leugnen. „Von daher finden auch Gespräche mit dem Handel auf Augenhöhe statt. Am Ende sitzen wir alle im selben Boot, auch der Handel.“ Es brauche stets eine für beide Seiten akzeptable Lösung. „Die kann nicht nur zulasten der Hersteller gehen, vor allem der kleinen Hersteller“, so Gemmrig. „Und da tut es eben Not, dass man die nötigen Preiserhöhungen durchbekommt. Andernfalls ist das Familienunternehmen in der zweiten oder dritten Generation zu Ende. Und diese Situation herrscht da draußen“, warnte Gemmrig.

Die Perspektive des Handels steuerte Engin Beylik bei, stellvertretender Marktleiter von Rewe Quermann in Bielefeld. Vor dem Hintergrund der hohen Inflation habe sich das Kundenverhalten geändert, berichtete er: „In der Anfangszeit haben wir es richtig gemerkt, dass die Kunden preissensibler geworden sind. Jetzt legt sich das etwas. Aber die Leute greifen vermehrt bei Aktionsware zu.“

Den Herstellern hat die Achterbahnfahrt an den Rohstoffmärkten derweil auch die Planungssicherheit genommen, wie sowohl Gemmrig als auch Lahode bestätigten. „Wir haben teilweise Verträge mit dreimonatiger Kündigungsfrist abgeschlossen oder gar Dreimonatsverträge“, berichtete Kuchenmeister-Vertriebschef Lahode. „Das heißt, wir sind in einem permanenten Ausschreibungsprozess gewesen. Das hat uns auch die Materialplanung erschwert.“ Er sehe nicht, dass sich die Planbarkeit in naher Zukunft verbessern werde. Dr. Jürgen Brandstetter, Geschäftsführer des Lebkuchenspezialisten Wicklein, pflichtete bei: „Es ist kein Ende dieser Volatilität der meisten Rohstoffe in Sicht. Der einzige Lichtblick ist das Thema Verpackung, hier ist die Verfügbarkeit besser als im Vorjahr.“

Mehr Effizienz durch Automatisierung?
Josef Stollenwerk, der für den Wiener Waffelhersteller Manner den Vertrieb in Deutschland managt, betonte, dass die Mehrkosten nicht komplett an den Endkunden weitergegeben worden seien. „Also müssen wir schauen, wie wir Kosten reduzieren können.“ In der Runde herrschte weitgehend Einigkeit, dass es noch ungenutztes Potenzial bei der Automatisierung gebe. „Wir haben gerade erst mit einem Kunden darüber gesprochen, an welchen Stellen noch Automatisierung möglich ist. Wir versuchen da, jeden Stein umzudrehen“, sagte Stollenwerk. Für Lahode ist modernere Fertigungstechnik auch ein probates Mittel im Umgang mit dem Personalmangel: „Um das Personalproblem in den Griff zu bekommen, muss über weitere Automatisation nachgedacht werden.“ Die Personalnot werde sich nicht so rasch verflüchtigen.
Bei Manner wird auf der Suche nach Einsparpotenzial auch die Produktpalette durchforstet, wie Stollenwerk erklärte: „Das Thema Komplexitätsreduktion steht bei uns ebenfalls im Fokus. Wir schauen uns jedes Produkt an und gucken, ob wir uns das noch leisten können oder ob wir harmonisieren müssen.“ An der Qualität der Produkte werde Manner aber nichts ändern.

In diesem Punkt wusste Stollenwerk sich einig mit Ulrich Zuenelli, Chef des Manner-Konkurrenten Loacker aus Südtirol. Zuenelli gab aber zu Bedenken, dass das Potenzial für weitere Effizienzsteigerungen in Deutschland aus seiner Sicht vielfach ausgereizt sei: „Ich glaube, dass viele der deutschen Unternehmen ihr Heil im internationalen Vertrieb und zum Teil in der Innovation suchen können und müssen.“ Zuenelli, der ebenfalls Aufsichtsratschef des Verbands Sweets Global Network ist, machte noch auf ein weiteres Problem aufmerksam: „Auch die Zinsen, also die Finanzierungskosten, sind deutlich gestiegen.“ Gerade für Saisonhersteller sei das ein Problem. „Gleich nach Ostern läuft die Produktion an für die Schoko-Nikoläuse.“ Die Hersteller müssten nun fast ein halbes Jahr vorfinanzieren, und das bei deutlich gestiegenen Zinsen.

Kommt das Werbeverbot?
Auch vonseiten des Gesetzgebers droht den Herstellern Ungemach. Die Pläne von Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) für ein weitgehendes Werbeverbot stießen in der Runde wenig überraschend auf wenig Gegenliebe. Es gehe hier um viel mehr als Werbung für Schokolade und Kekse, betonte Brand-stetter. „Es geht um unser Verständnis, wo sich der Staat einmischen soll und wo nicht. Ich möchte beispielsweise nicht, dass der Staat die Erziehung für mich übernimmt.“ Die Eltern seien dafür verantwortlich, wie sie ihre Kinder erziehen und ernähren. „Hier wird eine ideologisch geprägte Politik von einer Minderheit ohne Rücksicht auf Verluste durchgedrückt. Das sehe ich sehr kritisch.“

Und wenn das Werbeverbot tatsächlich kommt? Der Tenor unter den Branchenvertretern war, dass der Konsum nicht zurückgehen werde, sondern vielmehr Marktanteile zementiert würden. Auch werde es weniger Produktneuheiten geben. „Wenn ich nicht mehr über meine neuen Produkte reden darf, warum soll ich dann in Innovationen investieren?“, fragt nicht nur Brandstetter sich.

Wo steht die Branche in einigen Jahren, bei all den Umwälzungen? Die Konsolidierung werde sich fortsetzen, so das Urteil der Runde. Loacker-Chef Zuenelli schickte eine Warnung in Richtung Handel: „Wenn dem Handel an einer Beschleunigung der Konsolidierung gelegen ist, dann darf er getrost weitermachen damit, auch fair gemeinte Preisvorstellungen des Mittelstands zurückzuweisen. Er wird sich dann immer weniger und immer größeren Anbietern gegenübersehen.“ Cavendish-&-Harvey-Chef Gemmrig bezweifelte indessen, dass die deutschen Hersteller ihr Heil im Export suchen könnten, „weil wir gar nicht mehr wettbewerbsfähig sein werden im Export durch den Kostendruck und die Regularien in der EU. Er schloss versöhnlich: „Ich glaube fest, dass es in fünf Jahren immer noch Süßwaren und bewussten Genuss geben wird. Die Leute werden weiterhin Süßwaren kaufen.“

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