Interview Viele Hürden

Stevia-Experte Dr. Udo Kienle, Universität Hohenheim, über das Potenzial von Steviolglykosiden für die deutsche Ernährungsindustrie:

Mittwoch, 22. Februar 2012 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Viele Hürden
Welche Herausforderungen gilt es rund um Stevia für die Hersteller von Lebensmitteln und Getränken zu meistern?
Das Hauptproblem ist natürlich der geringe ADI-Wert für die Steviolglykoside. Hier haben die Antragsteller ein klassisches Eigentor geschossen. Anstatt eine aussagekräftige neue Langzeit-Studie an Ratten durchzuführen, hat man sich darauf verlegt, eine nahezu 20 Jahre alte Studie aus Japan heranzuziehen und davon dann den ADI-Wert abzuleiten. Dies führt jetzt zu gesetzlichen Einschränkungen beim Einsatz in Lebensmitteln. Dadurch wird auch letztlich die Verbraucherakzeptanz leiden. Probleme mit der Verfügbarkeit sind im Prinzip nicht zu erwarten. Der Anbau der Pflanze Stevia rebaudiana Bertoni ist nicht allzu schwer und kann bei Bedarf sehr schnell ausgedehnt werden. Bei sehr vielen Steviolglykosiden kann man geschmackliche Defizite feststellen. Dies liegt in der Regel daran, dass der Herstellungsprozess noch nicht ganz ausgefeilt ist.

Sie halten die Empfehlung der EFSA in Bezug auf den ADI-Wert also nicht für angemessen?
Der ADI-Wert für Steviolglykoside liegt bei 0 bis 4 mg Steviolequivalente / kg Körpergewicht. Wenn man diesen Wert auf Steviolglykoside umrechnet, dann kommt man je nach Zusammensetzung auf ca. 10 mg/kg Körpergewicht. Dies ist heutzutage für einen Süßstoff ein viel zu geringer Wert. Aspartam hat z.B. einen ADI-Wert von 40 mg/kg Körpergewicht in der EU. Durch unserere moderne Ernährungsweise muss ein Süßstoff mit einer Süßkraft vergleichbar mit Aspartam einen ADI-Wert von 40 mg/kg, besser 60 mg/kg, Körpergewicht aufweisen, damit erauch tatsächlich in allen Lebensmittelkategorien voll einsetzbar ist, d.h. als ausschließliches Süßungsmittel eingesetzt werden kann, ohne den zusätzlichen Zusatz von Zucker oder künstlichen Süßstoffen. Die Europäische Lebensmittelbehörde konnte sich in ihrem Gutachten nur auf die verfügbaren Unterlagen stützten. Es muss jedoch nochmals eine Langzeitstudie an Ratten durchgeführt werden mit einer deutlich gesteigerten Dosierung, so dass tatsächlich ein aussagekräftiger ADI-Wert ermittelt werden kann, der unseren Ernährungsgewohnheiten entspricht.

Auch in der Bio-Branche ist Stevia (z.B. als Tee) ein Thema. Wie steht es um die Verfügbarkeit und Herkunft von Bio-zertifiziertem Stevia?

Bislang unterliegt der Einsatz von Stevia rebaudiana Bertoni und Tee-Extrakte daraus der Novel-Food Verordnung. Und somit ist, ohne Novel-Food Zulassung, ein Einsatz in Lebensmitteln nicht möglich. Einzelne Gerichtsurteile mögen hier ein anderes Bild zeichnen, aber es kommt auf die letztinstanzliche Entscheidung an, und die steht noch aus. Bei den Blättern von Stevia rebaudiana gibt es wohl einige Anbieter mit Bio-Zertifikaten. Bei manchen Ländern ist ja bekannt, dass Bio-Zertifikate eine sehr komplexe Angelegenheit sind. Ich persönlich kaufe Bio-zertifizierten Stevia-Blätter-Tee in der Schweiz von einem argentinischen Hersteller, da dieser auch nach der Schweizer Bio-Verordnung zusätzlich zertifiziert ist.


Bild: Udo Kienle erforscht Stevia seit vielen Jahren.

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