Interview Viele Hürden

Stevia-Experte Dr. Udo Kienle, Universität Hohenheim, über das Potenzial von Steviolglykosiden für die deutsche Ernährungsindustrie:

Mittwoch, 22. Februar 2012 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Viele Hürden

Herr Kienle, bisher wurde Stevia in Deutschland z.B. als Badezusatz praktisch unter der Ladentheke verkauft. Welches Potenzial messen Sie Stevia bzw. Steviolglykosiden nun auf dem deutschen Lebensmittelmarkt bei? Was lehrt der Blick ins Ausland? ?
Dr. Udo Kienle: Man muss hier zwei Bereiche unterscheiden: den Einsatz von Steviolglykosiden als Tafelsüßstoffe und in Lebensmitteln. Bei Tafelsüßen hängt ja die Kaufentscheidung ausschließlich vom Verbraucher ab. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass Tafelsüßen auf Steviolglykosid-Basis ca. 11 Prozent Marktanteil haben – der Internethandel lässt sich schwer abschätzen. Untersuchungen zur Geschmacksakzeptanz verschiedener Formen von Steviolglykosiden an der Universität Hohenheim haben ergeben, dass ca. 25 Prozent der Probanden grundsätzlich den Geschmack der Steviolglykoside als „gut“ bezeichnen. Während wiederum 25 Prozent den Geschmack jedes der getesteten Steviolglykoside als „schlecht“ bezeichneten. Die restlichen ca. 50 Prozent haben den Geschmack sehr differenziert bewertet, von „sehr gut“ bis „ungenießbar“. Man kann jetzt daraus ableiten, dass bei geschmacklich sehr guten Produkten und zugleich einem konkurrenzfähigen Preis, ein sehr hohes Marktpotenzial besteht.

Und wie sieht es beim Einsatz in Lebensmitteln aus?
Nach unseren Untersuchungen würden sehr viele Verbraucher gerne Zucker komplett weg lassen und suchen deshalb Alternativen. Eine Limonade kann aber zurzeit auf Grund der gesetzlichen Vorgaben nur zum geringen Teil mit Steviolglykosid gesüßt werden. In der Schweiz wurden erste Produkte schon wieder vom Markt zurückgezogen und auch in Frankreich, wo seit August 2009 eine Ausnahmegenehmigung bestand, hatten nach meiner Marktbeobachtung mit Steviolglykosid gesüßte Joghurts und Limonaden wenig Anklang gefunden. Bislang gibt es in Deutschland wenige Produkte auf dem Markt. Ich rechne damit, dass bis zum Endes des ersten Halbjahres 2012 einige auf dem Markt erscheinen werden. Dann muss man sehen, wie diese vom Verbraucher angenommen werden. Der Preis ist dann natürlich ein wichtiger Faktor.

Gibt es preisliche Vorteile im Vergleich zu Rohrzucker, Rübenzucker und anderen Süßstoffen?
Süßungsmittel setzen sich dann durch, wenn Sie preisliche Vorteile gegenüber Zucker aufweisen. Derzeit sieht man die Preise von Steviolglykosiden, die ja nahezu fast alle in China hergestellt werden, stark fallen, so dass man davon ausgehen kann, dass der preisliche Vorteil im Gegensatz zu Zucker bald erreicht sein wird. Bei einigen Varianten der Steviolglykoside ist dies heute schon der Fall. Allerdings müssen die Hersteller in der Regel noch deutlich am Geschmack arbeiten. Man hört von einigen Herstellern, dass Geschmacksmodifikatoren eingesetzt werden sollen, um die Steviolglykoside geschmacklich zu verbessern. Meiner Meinung nach geht das so lange gut, bis der Verbraucher dieses Spiel durchschaut hat. Solche Hilfsgriffe mögen lebensmitteltechnologisch machbar sein, der Verbraucher hat dazu aber möglicherweise eine ganz andere Meinung.

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