Bessere Hälfte, Seelenverwandte. Die Begriffe stehen für große Ideale einer harmonischen Beziehung: Einander ergänzen und durch eine Wesensähnlichkeit verbunden fühlen. Die Suche nach Seelenverwandten soll nun in der Entwicklung von Bio-Lebensmitteln zu einem Zugewinn führen. Mithilfe von Foodpairing, der Kombination von verschiedenen Früchten, Kräutern oder Gemüsesorten mit gemeinsamen Schlüsselaromen, soll beispielsweise der Zuckergehalt in Fruchtjoghurt oder Keksen gesenkt werden. Dabei haben Wissenschaftler im Labor Paarungen ermittelt, die von außen betrachtet schnell in die Schublade „Gegensätze ziehen sich an“ gesteckt werden könnten – Kohlrabi und Mango zum Beispiel.
Hinter der Partnervermittlung für Bio-Lebensmittel steckt das Projekt „Reformulierungsstrategien für Bio-Lebensmittel“, kurz: Reform Bio. Dies soll das Gesundheitsimage von Bio bei Verbrauchern festigen. Denn Öko-Produkte werden von der Mehrheit der deutschen Verbraucher (knapp 64 Prozent) als gesünder eingeschätzt als konventionelle – einer der Hauptgründe für Bio-Kauf. Das zeigt eine repräsentative Verbraucherumfrage der Georg-August-Universität Göttingen aus dem Jahr 2021. Gut 55 Prozent der Konsumenten geht davon aus, dass in Bio-Lebensmitteln weniger zugesetzter Zucker steckt. Doch nicht für jedes Bio-Produkt trifft diese Annahme zu.
Das Projekt Reform Bio
Das Projekt „Reform Bio: Reformulierungsstrategien für Bio-Lebensmittel“ wird über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL) vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziert. Projektpartner sind der BNN, die Hochschule Bremerhaven sowie die Universität Göttingen. Bio-Produzenten wie die Bohlsener Mühle und die Molkerei Söbbeke sind ebenfalls beteiligt.
Reform Bio soll dazu befähigen, „verarbeitete Bio-Lebensmittel stärker an den Gesundheitsanforderungen der Verbraucher auszurichten und gleichzeitig die Einhaltung der strengen EU-Öko-Standards zu gewährleisten. Insgesamt trägt das Projekt dazu bei, die Innovationskraft der Bio-Branche zu fördern und das Vertrauen der Verbraucher zu stärken“, sagt Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), der im Rahmen des Verbundprojekts die Wissenstransfers und die Vernetzung zwischen Forschern und Unternehmen fördert.
Ein zentrales Ziel des 2021 gestarteten Projektes: 30 Prozent weniger Zucker in Bio-Lebensmitteln wie Knuspermüsli, Fruchtjoghurt, Süßgebäck oder Getränken – bei gleichem Mundgefühl und Geschmack. Die ambitionierte Zielmarke wurde gewählt, da nach Health-Claims-Verordnung die Aussage „reduzierter Zuckeranteil“ nur dann zulässig ist, wenn mindestens 30 Prozent weniger Zucker im Vergleich zu anderen Lebensmitteln gleicher Art enthalten sind. Weniger Zucker bedeutet jedoch meist eine völlige Neu-Formulierung der Rezepturen, sagt Kirsten Buchecker, Projektleiterin an der Hochschule Bremerhaven. Eine Reduktion oder ein Austausch von zugesetztem Zucker wirkt sich nicht nur auf den Geschmack, sondern auch auf Texturen und Verarbeitung aus. Zucker trägt dazu bei, dass ein Keks knusprig und braun wird, Joghurt macht cremiger.
Chance: Nährstoffprofile verbessern
„Bio-Hersteller können nicht mit den gleichen Aroma- und Hilfsstoffen arbeiten, die für konventionelle Produkte zugelassen sind“, so Buchecker. Den Zusatz von Aromen im Joghurt vermeiden die Bio-Hersteller. „Foodpairing funktioniert zum Beispiel, um Süßnoten zu heben. Somit haben wir im Rahmen des Reformulierungs-projektes unter anderem erforscht, wie wir Foodpairing einsetzen können, um die reduzierte Süßkraft ausgleichen zu können“, erklärt sie. „Foodpairing ist ein echter Innovationsfaktor. Für die Bio-Branche bietet es die Chance, Nährstoffprofile von zusammengesetzten Lebensmitteln zu verbessern, ohne dass der Geschmack verloren geht“, sagt Dr. Kristin Jürkenbeck. Sie hat gemeinsam mit Prof. Achim Spiller an der Universität Göttingen zur Akzeptanz und Wahrnehmung der überarbeiteten Produkte im Projekt Reform Bio geforscht.
Foodpairing: Datenbanken helfen
Unter Foodpairing versteht man die Kombination von Lebensmitteln mit gemeinsamen Schlüsselaromen. Die Aromen können einander verstärken und mitunter überraschende Geschmackserlebnisse bieten. Rund 80 Prozent unseres Geschmacksempfindens sind über die Nase gesteuert. Mithilfe eines Gaschromatografen, einer Art elektronischer Nase, wurden Aromen von Lebensmitteln auf Molekularebene analysiert. Eine Datenbank gleicht Daten ab und findet passende Matches (foodpairing.com).
Für die ersten Versuche wurden Produkte aus dem Supermarkt analysiert und im Labor „nachgebaut“. Dann reduzierten Buchecker und ihr Team den Zuckergehalt in Fünf-Prozent-Schritten und verglichen die Ergebnisse. Ab einer Zucker-reduktion von mehr als 15 Prozent verloren die Produkte meist rapide bei Geschmack und Konsistenz. So ging beim Knuspermüsli auf Haferbasis der Crunch-Effekt verloren, erläutert Buchecker. Der Austausch von Rübenzucker durch Alternativen mit höherem Glucose-Maltose-Anteil wie Reissirup sowie der anteilige Austausch von Haferschrot durch Ackerbohnenmehl erhöhte die Knusprigkeit im Test. Der Nachteil solcher Kompensationsstrategien: längere Zutatenlisten und Rohstoffe, die teilweise nicht regional zu beschaffen sind.
Bei Feingebäck und Fruchtjoghurt erwies sich das Foodpairing als vielversprechendere Strategie. Durch Kombinationen wie Erdbeere-Basilikum oder Erdbeere-Rosmarin lasse sich der Geschmacks- und Süßeindruck sowie die Fruchtnote optimieren, fand Buchecker heraus. „Sowohl Erdbeeren als auch Basilikum haben Zitrusnoten, das Aroma der Erdbeere wird in der Kombination hervorgehoben, die Reduktion von Zucker bis zu einem gewissen Grad kaum wahrgenommen“, führt sie aus.
Bei der Suche nach dem perfekten Paar helfen Datenbanken. Der Matchmaking-Algorithmus basiert auf Analysen mithilfe des Gaschromatografen – eine Art elektronische Nase, die Schlüsselaromen auf Molekülebene ermittelt. So kann errechnet werden, wie gut Lebensmittel zusammenpassen.
Was einfach klingt, hat jedoch seine Tücken: So erhöhen sich gegebenenfalls die Produktionskosten, wenn günstiger Zucker durch einen höheren Fruchtanteil ersetzt wird. Zudem hat die Zuckerreduktion ihre Grenzen. „Wenn wir den Zuckergehalt in Joghurt um mehr als 20 Prozent senken, wird der Joghurt flüssiger. Für die Bio-Hersteller erlaubte natürliche Verdickungsmittel haben aber entweder einen Eigengeschmack oder überdecken den Geschmack der Früchte“, sagt Buchecker.
Eine interessante Entdeckung machten die Forscher bei der ungewöhnlichen Kombination Kohlrabi-Mango. Durch Kohlrabi wurde die Sämigkeit des Joghurt erhöht, die Kohlnote verschwinde nach ein bis zwei Tagen in Kombination mit Mango. Auf der Messe Biofach hat Buchecker die Joghurtsorte verkosten lassen und sorgte damit für großes Interesse am Thema Foodpairing.
Bio-Konsumenten aufgeschlossener
„Unsere Forschung zeigt, dass Bio-Konsumenten mehr nach Abwechslung beim Essen suchen als die Allgemeinheit. Sie sind auch offener für innovative Lebensmittel mit Foodpairing“, sagt Kollegin Jürkenbeck von der Universität Göttingen. Während der Produktentwicklung sollten sensorische Studien zur geschmacklichen Akzeptanz und ergänzend Marktforschungsstudien zur potenziellen Erstkaufbereitschaft der neu entwickelten und geschmacklich überzeugenden Produkte durchgeführt werden, rät sie. Auch sei die Kommunikation das A und O für die Akzeptanz der Produkte. Eine „laute“ Kommunikation der Reformulierung und Zuckerreduktion könne vor allem gesundheitsbewusste Verbraucher ansprechen. Zugleich könnten diese Hinweise auf andere Kunden jedoch abschreckend wirken, da gesündere Lebensmittel teilweise mit einem schlechteren Geschmack assoziiert würden, erläuterte sie im Rahmen eines Workshops. Jürkenbeck sieht weitere Potenziale: „Bisher wird in der Reformulierungsdebatte viel über die Reduktion von ungünstigen Inhaltsstoffen gesprochen, nicht aber über die Erhöhung von erwünschten Inhaltsstoffen. Wir hoffen, dass ein Forschungsprojekt zur Erhöhung von Ballaststoffen in Lebensmitteln zeitnah bewilligt wird.“