Obst und Gemüse Schönheitsideal contra Verschwendung

Früchte, die nicht den gängigen Normen entsprechen, werden im traditionellen Handel kaum verkauft. Aber die Lage ändert sich allmählich. Ein Situationsbericht.

Dienstag, 28. Januar 2014 - Sortimente
Heidrun Mittler
Artikelbild Schönheitsideal contra Verschwendung
Bildquelle: Agentur Lauthals

Makellos muss unser Obst sein, Gemüse genau in die Norm passen – sonst haben die Früchte keinen Anspruch darauf, in den Regalen des Handels zu landen. Möhren, die krumm gewachsen sind, gelangen erst gar nicht in den Verkauf. Eine riesige Verschwendung!

Doch der Wind dreht: Immer mehr Menschen machen sich Gedanken darüber, wie sie die Vernichtung von Lebensmitteln begrenzen können. Ein sinnvoller Ansatz: Obst und Gemüse verzehren, das nicht zu 100 Prozent dem Schönheitsideal entspricht! Schließlich schmeckt die Tomate mit 27 mm Durchmesser nicht anders oder gar schlechter, nur weil sie kleiner und leichter ist als ihre Mit-Tomaten, die den Mindestdurchmesser von 30 mm für die Handelsklasse I aufweisen.

Die ersten Handelsunternehmen in Deutschland haben den Zeitgeist erkannt und mit Pilotprojekten reagiert: So hat Netto Marken-Discount 2013 in insgesamt 500 süddeutschen Filialen drei Tage lang Äpfel und Möhren angeboten, die kleine optische Schönheitsfehler aufwiesen. Das Projekt trug den Namen: „Keiner ist perfekt“, die Produkte wurden rund ein Viertel günstiger verkauft. Ob und wie das Projekt fortgesetzt wird, ist allerdings noch nicht entschieden.

Die Rewe hat im Herbst des vergangenen Jahres ein Herz für kleine Äpfel gezeigt, speziell solche, die aufgrund der kühlen Witterung im Frühjahr und Sommer 2013 kleiner als sonst gewachsen waren. Das Unternehmen bewertet die Aktion als „vollen Erfolg“, sowohl für die deutschen Kunden als auch für die Obstbauern, die Kunden und die Umwelt. Über weitere Pläne zur Vermarktung von Früchten mit Schönheitsfehlern ist derzeit aber nichts zu erfahren.

Händler aus der Bio-Branche sind schon weiter als der traditionelle Lebensmittelhandel in Deutschland. Maja Leuchtenberger, Marketingleiterin bei der Berliner Bio-Company, weist auf ein Projekt hin, bei dem „Schräge Schätze“ verkauft werden.

„Etwas gegen die Lebensmittelverschwendung zu tun, ist für uns kein Werbegag, sondern ein ernstes Anliegen.“ Neben den Schrägen Schätzen führt die Bio-Company seit Jahren Rodelika-Möhren, bei denen immer mal wieder Sonderlinge vorkommen. Diese samenfeste Sorte wird laut Leuchtenberger von den Kunden gut angenommen, auch wegen des Geschmacks. „Dass mal eine krumme Möhre dabei ist, scheint niemanden zu stören. Das läuft seit Jahren gut“, so ihre Einschätzung.

Auch bei Alnatura ist man positiv eingestellt, wie die Stellungnahme von Fernando Krokisius, Sortimentsmanager Obst und Gemüse, zeigt: „Bio-Kunden sind erfahrungsgemäß sehr aufgeschlossen gegenüber Obst und Gemüse, das nicht den gängigen Normen entspricht. Im Gegenteil: Unsere Kunden freuen sich sogar über krummes Gemüse. Das ist auch auf unserer Facebook-Seite zu erleben, wo regelmäßig Fotos von Obst und Gemüse gepostet werden, das nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht.“

„Bio-Kunden sind sehr aufgeschlossen gegenüber Obst und Gemüse, das nicht den gängigen Normen entspricht.“
Fernando Krokisius, Alnatura Sortimentsmanager

„Etwas gegen Verschwendung zu tun, ist für uns kein Werbegag, sondern ernstes Anliegen.“
Maja Leuchtenberger, Marketingleiterin Bio-Company

In der Schweiz vermarkten mehrere Unternehmen entsprechende Ware. Die Coop hat dafür schon eine eigene Produktlinie ins Leben
gerufen, sie nennt sie „Ünique“ (unique heißt auf Französisch und Englisch „einmalig“ sowie „einzigartig“).

So hat man beispielsweise befristet Aprikosen verkauft, die vom Hagel kleine Flecke bekommen hatten. Urs Meier von der Coop weist darauf hin, dass ansonsten ein Viertel der gesamten Aprikosenernte hätte vernichtet werden müssen. Die Schweizer Kunden jedenfalls zeigen Verständnis für diese Launen der Natur. „Ünique“ wird fortgeführt, abhängig vom saisonalen Angebot.

Die Migros führt ebenfalls „normabweichende oder durch Naturschäden wie Hagel beschädigte Früchte oder Gemüse, als Produkte Klasse II“, so Martina Bosshard vom Migros Genossenschafts-Bund mit Sitz in Zürich. Allerdings, so räumt sie ein, „ist der Anteil ... sehr klein“.

Noch einmal zurück nach Deutschland: Es gibt sogar ein Geschäft, welches ausschließlich Obst und Gemüse verkauft, das aus dem Rahmen fällt. Ugly Fruits (auf deutsch: hässliche Früchte) handelt mit Waren, die zu klein, zu groß, zu krumm oder verwachsen sind. Das Start-up-Unternehmen hat ein schlüssiges Konzept samt Anzeigen entworfen, aufmerksamkeitsstarke Plakate gestaltet und Flyer gedruckt. Allerdings existiert die Firma nur auf dem Reißbrett, als Gegenstand einer Abschlussarbeit im Studienfach „visuelle Kommunikation“. Die drei Studenten, Giacomo Blume, Moritz Glück und Daniel Plath, haben viel Resonanz auf ihre Abschlussarbeit bekommen. „Viele Menschen haben uns gesagt, dass sie das Obst kaufen würden“, sagt Giacomo Blume. Aber die Drei wollte keinen Gemüseladen eröffnen, sondern eine Werbeagentur gründen.

Übrigens: Eine ganz neue Dimension bekommt das Thema Verschwendung, wenn man an Ware mit geringfügigen Beschädigungen denkt. Bei 42 Äpfeln in der Steige kann es schon einmal vorkommen, dass einer davon einen Fleck hat. Für viele Kaufleute ist das Vorgehen klar: Ab in die Mülltonne! Oder aber, man handelt wie Jens Segebrecht , der in Hannover den Edeka Schlemmermarkt auf der Lister Meile betreibt: „Mir tut es in der Seele Leid, wenn wir Lebensmittel wegwerfen“ , sagt er, darum bemühe er sich um eine intelligente Lösung. Sein Team schneide solche Äpfel zum Probieren auf, „unser Kunde soll immer etwas verkosten können.“ Oder aber, man packe Früchte mit kleinen Fehlern separat auf ein Tray, überziehe es mit Klarsichtfolie und biete es zu einem günstigen Preis an. Dazu Segebrecht: „Bei uns gibt es einen kleinen Kundenkreis, der das annimmt.“ Warum auch nicht?

„Die Produktlinie Ünique wird fortgeführt, abhängig vom saisonalen Angebot.“
Urs Meier, Mediensprecher Coop Schweiz

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