Was die drei Streifen auf dem Turnschuh, der Apfel auf dem Smartphone und die Kuh mit dem roten Blumenschwänzchen auf Käse, Milch und Joghurt gemeinsam haben? Sie stehen für Marken mit dem gewissen Extra, die sich mit ihren Unique Selling Points erfolgreich von Wettbewerbern abgrenzen. „Unsere USPs sind die artgerechte Fütterung und die Vorteile für Umwelt, Artenvielfalt und Tier“, fasst Karl Neuhofer, Obmann der ARGE Heumilch, den Markeninhalt in Kurzform zusammen. Nachhaltigkeitsattribute, die beim Kunden ankommen. Deutschlandweit findet man bei vielen Händlern Premiumkäse mit dem Heumilch-Logo. Trinkmilch, Joghurt oder Butter aus Heumilch ergänzen das Sortiment.
Im Gegensatz zu Adidas und Apple steht aber bei der grünen Kuh mit dem roten Blumenschwanz kein millionenschweres Unternehmen dahinter. Labelgeber ist in diesem Fall ein kleiner landwirtschaftlicher Verein mit Sitz im österreichischen Tirol, in Innsbruck. Der Name „ARGE Heumilch“ kommt etwas sperrig daher, bringt aber auf den Punkt, worum es geht. So stehen die ersten vier Buchstaben für Arbeitsgemeinschaft und vereinen rund 7.000 Heumilchbauern sowie 70 Verarbeiter und Vermarkter. Die meisten von ihnen wirtschaften in Österreich. Aber auch in Deutschland hat man Mitglieder. Der zweite Teil des Vereinsnamens „Heumilch“ ist Philosophie und Arbeitsauftrag zugleich: die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch von Tieren, die mit frischen und getrockneten Gräsern und Kräutern gefüttert werden.
Die traditionelle Weise, Milch zu erzeugen – in den 1950er-Jahren Standard, danach fast verschwunden –, wird vor allem im Voralpengebiet und in den Alpen betrieben. Dabei sind die Kühe während der Weidesaison auf den Weiden, zu Beginn in den Tallagen, dann in mittleren Lagen und im Hochsommer dann auf den Hochalpen. Während ganz oben geweidet wird, wird in den mittleren Lagen und im Tal Heu für den Winter erzeugt. Heuwirtschaft hat viele Vorteile: „Die Wiesen und Weiden werden mosaikartig bewirtschaftet und somit die Artenvielfalt geschützt. Die wertvollen Böden bleiben dadurch als Kohlenstoffspeicher erhalten. So wird das wertvolle Dauergrünland für die Heumilchkühe und für kommende Generationen bewahrt“, bilanziert Christiane Mösl, Geschäftsführerin der ARGE Heumilch.
Geschichte bringt Mehrwert
Und genau das in den Fokus für Verbraucher und den Handel zu stellen, ist die Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft. „Wir als ARGE verkaufen nämlich keine Produkte“, so Christiane Mösl, „unser Arbeitsauftrag ist es, die Geschichte von Heumilch zu erzählen“. Und damit letztendlich der Heumilchwirtschaft eine Zukunftsperspektive zu geben. Denn in dieser Geschichte liegt Mehrwert. „Für die Bauern liegt der heute bei 30 Millionen Euro pro Jahr“, beziffert die Geschäftsführerin das Plus auf den regulären Milchauszahlungspreis.
Ein Mehrwert, der Investitionen in die Betriebe ermöglicht. Aber nicht nur monetär macht sich Heumilch in der Urerzeugung bemerkbar. „Mit dieser Art zu wirtschaften erreichen wir die nachfolgende Generation“, weiß Landwirt Karl Neuhofer, der vor Kurzem seinen Betrieb an die Tochter übergeben hat. „Junge Leute machen den Betrieb heutzutage nur weiter, wenn sie einen Sinn sehen in dem, was sie tun.“
Der ARGE Heumilch als Verein stehen jährlich rund fünf Millionen Euro für Marketingmaßnahmen zur Verfügung, um für ihre Art Milch zu erzeugen, zu werben. Geld, das zum großen Teil aus Mitgliedsbeiträgen rekrutiert wird. „Unseren Mitgliedern ist es bewusst, dass es zu wenig ist, in der Früh aufzustehen, Milch zu produzieren und Milchkannen an die Straße zu stellen“, so der Vereinsobmann. Sein Credo: den Markt im Blick haben. Nur so ließe sich Premiummilch für ein Premiumendprodukt wie Käse, Konsummilch, Butter oder Joghurt erzeugen.
Mit breiter Brust wirbt die Gemeinschaft in der aktuellen Kampagne mit dem Claim: „Heumilch. So macht man Milch.“ Finanziell wird das Marketingbudget der ARGE dabei seit drei Jahren zusätzlich über EU-Gelder aus der „Enjoy, it’s from Europe“-Kampagne zur Förderung des Absatzes europäischer Agrarerzeugnisse gepusht. Ein schlankes Team aus fünf Marketingspezialisten zeichnet für das professionelle Erzählen der authentischen Geschichten verantwortlich. „Denn sie sind unser Leben“, fügt der Milchviehlandwirt und Obmann der ARGE, Karl Neuhofer hinzu. Geworben wird mit einem „stringenten und gut durchdachten Marketingkonzept“, umschreibt Mösl, wie in Printmedien, auf Social Media und in Out-of-Home-Kanälen kommuniziert wird.
EU-Gütesiegel
Seit 2016 trägt die besondere Wirtschaftsweise Heumilch zu erzeugen das gelb-blaue EU-Gütesiegel „garantiert traditionelle Spezialität“ (abgekürzt: g.t.S.). Seit 2019 gilt das auch für Ziegen- und Schaf-Heumilch. „Ein Meilenstein für unsere Organisation“, beschreibt Christiane Mösl, Geschäftsführerin der ARGE Heumilch, diesen Erfolg. Dieses Qualitätssiegel bezieht sich auf die Herstellungsmethode des Produktes. Bei der garantiert traditionellen Spezialität handelt es sich um ein Produkt mit einer bestimmten Herstellungsart, wie es bei Heumilch der Fall ist. Das Erzeugnis muss aus traditionellen Rohstoffen hergestellt werden oder eine traditionelle Zusammensetzung oder Herstellungs- beziehungsweise Verarbeitungsart aufweisen.
Weltkulturerbe
Die FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) zeichnet in diesem Jahr die traditionelle Heumilchwirtschaft im Alpenbogen als erstes System im deutschsprachigen Raum als landwirtschaftliches Kulturerbe von globaler Bedeutung aus. Heumilch zu erzeugen sei ein erhaltenswertes Produktionssystem, so die Laudatoren. Für die Anerkennung werden fünf Kriterien beleuchtet, die die traditionelle Heumilchwirtschaft erfüllt:
- Nahrungs- und Existenzsicherung
- Agro-Biodiversität
- lokales und traditionelles Wissen
- Kultur, Wertesystem und soziale Organisationen sowie
- Merkmale der Landschaft.
Ein Label an der Stalltür jedes Mitgliedsbetriebes macht das für alle Heumilchbauern nun täglich sichtbar.
Klein und Groß ergänzen sich
Zu den Verarbeitern, die das Label „Heumilch“ sowohl für Marken als auch für Herstellermarken verwenden dürfen, gehören neben vielen kleinen Sennereien auch national und international agierende Molkereien wie die Salzburg Milch, Woerle, Käserebellen, Firma Rupp, Emmi Österreich, die Obersteirische Molkerei oder Albert Herz Käse. Gemeinsam verarbeiteten sie 2023 rund 590 Millionen Kilogramm Heumilch (Biomilchanteil: 38 Prozent). Dabei ist die ARGE Heumilch Standardbetreiber.
Dass sowohl kleine Sennereien mit einer Handvoll Mitarbeitern als auch Großmolkereien mit einem Mehrmillionenumsatz beim Thema Heumilch an einem Strang ziehen, sei der Einsicht geschuldet, dass „wir das nur gemeinsam schaffen“, so Karl Neuhofer, „und dann profitieren alle davon.“ So fokussierten sich große Erzeuger auf den nationalen und internationalen Markt und machten dadurch Platz für regionale Vermarktungsfenster für die „Kleinen“. Das sei eine „ideale Ergänzung“, so Neuhofer.
Auch in der Urerzeugung tritt man sich mit anderen Milchen nicht auf die Füße. Zwar liegt der Heumilchanteil in Österreich aktuell bei 15 Prozent der Gesamtmenge, aber in Deutschland bleibt die Spezialmilch mit einem Prozent ein Nischenprodukt. Europaweit sind es gerade einmal drei Prozent. Es sei noch Luft nach oben, so die ARGE-Vertreter. Platz für Wachstum sei ebenfalls vorhanden, daher „kann jeder, der möchte, bei uns andocken“, so Neuhofer.
Die Nischenmilch hat in den 20 Jahren seit Gründung der ARGE ein enormes Standing bei Käufern von Milch, Käse und Butter und im österreichischen und deutschen Lebensmittelhandel erreicht. In weiteren Ländern ist man nicht aktiv, der Sprachbarriere wegen. Deutschland mit seinen kaufkräftigen Kunden ist mit einem Anteil von 60 Prozent am Gesamtmarkt „sehr, sehr wichtig“, so Mösl.
Die Bekanntheit zu steigern, gehört diesseits wie jenseits der Zugspitze zu den Kernaufgaben der ARGE. In Heimatland der Heumilch wissen 90 Prozent, was Heumilch ist. In Deutschland kennt jeder Zweite die Kuh mit dem Blumenschwänzchen. 2020 waren es erst 39 Prozent. Nicht ohne Stolz weist Christiane Mösl, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft, auf den zwölfprozentigen Zuwachs in nur vier Jahren hin. Zu verdanken sei dies der breit angelegten „Enjoy, it’s from Europe“-Kampagne. Die arbeitet mit Bildern und wissenschaftlichen Fakten. „Die Standorte unserer Milcherzeugung sind Sehnsuchtsorte für viele“, weiß Neuhofer. Sie machten es daher leicht, Emotionen zu transportieren. Im Haupturlaubsland der Deutschen könnten sich die Verbraucher vor Ort selbst ein Bild von der Art und Weise der Heumilcherzeugung machen. Ein Plakat im Supermarkt zu Hause weckt eine positive Erinnerung.
Gleichzeitig sei es wichtig, dass die Arbeitsgemeinschaft mit wissenschaftlich bewiesenen „Juwelen“, wie es Neuhofer nennt, werben könnten. Die nachhaltige und klimaschonende Alpbewirtschaftung gehört ebenso dazu wie der höhere Anteil an Omega-3-Fettsäuren in der Milch. Heulandwirte hätten auch ein gutes Image bei den Verbrauchern. „Wir protestierten nicht, jammern nicht, schütten keine Milch auf die Äcker, sondern wir nehmen das Ruder selbst in die Hand“, so der Obmann. Mit der Erzeugung von Heumilch „sind wir in Zeiten einer Teller-Trog-Debatte, der Suche nach CO2-Senkung, der Erhöhung von Biodiversität und Tierwohl nachhaltig und hochaktuell aufgestellt“, freut sich Karl Neubauer.