LP-Roundtable An den Theken fehlt Personal - braucht es deshalb ein neues Ladenschlussgesetz?

Top-Thema

Neue Arbeitszeitmodelle, Prämien für die Vermittlung von Thekenkräften, digitale Helfer, Quereinsteiger, ausländische Arbeitskräfte. Der Handel kämpft ideenreich gegen den Personalmangel.

Montag, 16. September 2024 - Molkereiprodukte
Heidrun Mittler
Artikelbild An den Theken fehlt Personal - braucht es deshalb ein neues Ladenschlussgesetz?
„Vor Jahren waren die Thekenkräfte skeptisch: Wenn du mir Prepack verkaufst, dann brauchen sie mich hier bald nicht mehr. Heute hilft Prepack allen, Bedienungstheken zu betreiben.“ Christian Küsters, Hamburger Käselager
Bildquelle: Peter Eilers, Mirco Moskopp

Die Personalsituation an deutschen Käse- Bedienungstheken ist prekär: An allen Ecken und Enden fehlen qualifizierte Mitarbeiter. Wenn die Babyboomer in ein paar Jahren in den Ruhestand gehen, verschlimmert sich die Situation noch. Die versierten Kräfte verlassen den Markt, mitsamt ihrer Erfahrung und ihrem Wissen. Gleichzeitig finden die Kaufleute nicht mehr ausrei­chend Auszubildende für die Arbeit hinter der Theke.

Dabei darf man die Konsequenz des Fachkräftemangels nicht vergessen: Die verbleibenden Mitarbeiter im Bedienungsbereich arbeiten länger und versuchen, die Lücken zu stopfen. Auf Dauer funktioniert das Modell nicht, die Frauen und Männer hinter dem Tresen sind überlastet, werden häufiger krank. Viele Kaufleute reduzieren in der Not die Öffnungszeiten ihrer Bedienungstheken. Eine Zwickmühle, in der alle Teilnehmer unseres Expertengesprächs stecken. Welche Auswege aus der Misere sehen Verantwortliche aus Handel und Industrie? Welche Gegenmaßnahmen haben sie eingeleitet? Das haben die Fachleute am Runden Tisch diskutiert. Hier einige Ausschnitte aus dem Gespräch.

These 1: Wir müssen die Öffnungszeiten der Käse-Bedienungstheken begrenzen!

Ein umstrittener Punkt, dem nicht alle zustim­men. Petra Kannengießer, Geschäftsleiterin zweier Globus-Markthallen (Zell an der Mosel und Wittlich), widerspricht: „Die Kunden kommen zu uns einkaufen, weil wir Bedienungstheken haben und darin besondere Käse anbieten.“ Deshalb spielten sie bei der Kundenbindung eine ganz wichtige Rolle: „Wir wollen die besten Adresse für unsere Kunden sein.“ Also müsse man die Theken zur Verkaufszeit offen halten und brauche natürlich Mitarbeiter mit dem Dienstleistungs-Gen, die gern verkaufen. Christian Pontow, Business Unit Manager Beemster, stimmt zu: „An den Theken kaufen die Kunden mit dem dickeren Portemon­naie.“ Kunden, die insgesamt mehr Geld im Markt lassen als SB-Kunden und immer wieder ins Geschäft kommen.

Doris Brauer, Bereichsleiterin Käse bei den Zurheide-Feine-Kost-Supermärkten in Düsseldorf und Umgebung, spricht den Wohlfühl-Faktor an: „Unsere Mitarbeiter hinter der Theke sind Zuhö­rer“, weiß sie. Sie sprechen die Stammkunden mit Namen an, fragen, wie es ihnen geht. „Das macht uns aus, die Menschen fühlen sich an der Theke gut aufgehoben“, fasst Doris Brauer zusammen.

„Das Personal hinter der Theke bindet Kunden“, bestätigt Thomas Jansen, Serviceleiter bei Rewe Rahmati. Das Unternehmen hat die Öffnungszeiten seiner Theken trotzdem vor zwei Jahren um eine Stunde von 20 auf 19 Uhr verkürzt, während die Märkte in Köln und Umgebung insgesamt bis 22 oder sogar 24 Uhr geöffnet haben. Das Ergebnis: „Wir haben nicht gespürt, dass wir Umsätze verloren haben“, kommentiert Jansen. Die Mitarbeiter hingegen profitieren von der Verkürzung, weil sie nun eine Stunde früher zu Hause sein können. Jansen hätte auch gern die Anfangszeit von 6 auf 6.30 Uhr verschoben. Das lässt sich allerdings nicht umsetzen, wenn man in Innenstadtlagen schon um 7 Uhr öffnet. Eine halbe Stunde Rüstzeit sei einfach zu knapp, „damit die Theke steht“.

Der Edeka-Markt, in dem Christina Heinz ihre Ausbildung gemacht hat, hat vor Kurzem die Öffnungszeiten der Theke auf den Zeitraum von 10 bis 18 Uhr heruntergefahren. Eine Reaktion auf die Tatsache, dass zuvor Personal zu regionalen Handwerks-Metzgern gewechselt ist, die schon um 18 Uhr die Tür schließen. Heinz, die an der Food Akademie unterrichtet und im Team der Schulleitung ist, stellt bei ihrer Lehrtätigkeit fest, dass immer weniger junge Leute an die Bedienungstheken gehen wollen. „Sehr schade, denn wo soll die Leidenschaft für Käse denn dann herkommen?“ Kürzere Öffnungszeiten könnten ein Mittel sein, mehr junge Leute für die Thekenarbeit zu begeistern, so Heinz, die sich mittler­weile zur Käse-Sommelière weitergebildet hat.

Christian Pontow von Beemster geht bei diesem Argument mit: „Die Öffnungszeiten müssen an den Standort angepasst sein. Und übrigens: Um 23 Uhr kauft niemand mehr Gouda oder Bergkäse an der Theke.“

Namensvetter Christian Küsters, Key-Account-Leiter beim HKL Hamburger Käselager, spitzt die Diskussion zu: „Der Handel hat durch die langen Öffnungszeiten viele Mitarbeiter vergrault.“ Es mache Menschen eben keinen Spaß, wenn sie nicht am sozialen Leben teilnehmen können. „Eine der Folgen ist das Fachkräfteproblem“, resümiert er.

Immer weniger Käsetheken

These 2: Jetzt muss ein neues 
Ladenschlussgesetz her!

Doris Brauer, die Edeka-Käse-Expertin, gibt dem Gespräch eine entscheidende Wendung: An allen sechs Zurheide-Standorten bleiben die Theken während der kompletten Öffnungszeiten geöffnet. Außer wenn Krankheitsfälle außerplanmäßig zur früheren Schließung zwingen.

Am Düsseldorfer Standort „The Crown“ beispielsweise kommen die Kunden gerade abends in den Markt, es wäre fatal, genau dann die Bedienung zu schließen. Im Zweifel könnte der kaufkräftige Kunde zur Konkurrenz abwandern − und dort den Umsatz realisieren.

Diese Sorge treibt alle Kaufleute am Tisch um. Sie führt zu einem Punkt, in dem sich alle Dis­ku­tan­ten einig sind: Wenn der Gesetzgeber die ­Ladenöffnungszeiten in den Abendstunden begrenzt, kann der Handel sein Personalproblem lösen oder zumindest deutlich entschärfen.

Petra Kannengießer von Globus erinnert an den „Schlado“, den Scheißlangen Donnerstag oder korrekt ausgedrückt: Dienstleistungsabend am Donnerstag. Von 1989 bis 1996 durften die Geschäfte donnerstags länger öffnen: bis 20.30 Uhr statt wie sonst üblich bis 18.30 Uhr. Am Schlado hatten auch Berufstätige die Gelegenheit, länger einzukaufen – das Geschäft brummte. Warum nicht zu einer solchen Lösung zurückkommen?

These 3: Nur Nachwuchs aus den eigenen Reihen sichert den Thekenbetrieb

Die Teilnehmer bedauern, dass es keine eigene Ausbildung zur Käsefachverkäuferin gibt. Der Ausbildungsberuf Fleischfachverkäuferin enthält zwar einen großen Block Käse. „Aber du kannst doch einer 16-jährigen Berufsschülerin nicht sagen, du lernst Metzger, wenn sie sich eigentlich für Käse interessiert“, merkt Christian Pontow an. „Wir sollten den Beruf Genuss-Manager oder Kunden-Influencer nennen“, auf jeden Fall in der Sprache der jungen Menschen bleiben. „An der Theke braucht es Kreativität und Teamgeist“, so Pontow, „aber das weiß ein junger Mensch doch nicht, wenn wir es ihm nicht sagen.“

Auch wenn er für diesen Vorschlag in der Runde Zustimmung erhält, weiß Globus-Ge­schäfts­leiterin Petra Kannengießer aus eigener Erfahrung doch, wie wenig realistisch die Umsetzung ist. Sie arbeitet seit Jahren mit verschie­de­nen Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern zusammen. Ihre Erfahrung: Man braucht mindestens zehn Jahre, um etwas in der Ausbildungsordnung zu ändern.

Eine schnelle Lösung ist also nicht in Sicht. Wie schafft man es sonst, Menschen an die Theke zu ziehen? Doris Brauer: „Wir versuchen, Mitarbeiter aus anderen Abteilungen für die Frischetheken und unsere Bistros zu begeistern.“ Damit erreicht sie auch solche, die aufgrund körperlicher Überforderungen vorher von der Theke auf die Fläche gewechselt waren. „Viele haben Leidenschaft für die Frische behalten und freuen sich, wenn sie nur ein paar Stunden, aber nicht den ganzen Arbeitstag hinter der Theke stehen. Wir aktivieren sie, nach einer kurzen Einweisung starten sie wieder in der Bedienung durch.“

Ob junge Menschen aus dem Ausland die Trendwende bringen können? Auch bei diesem Punkt kann Petra Kannengießer aus eigener Erfahrung sprechen, schließlich hat sie mehrere Auszubildende aus afrikanischen Ländern ein­gestellt. „Die entscheidende Frage lautet, ob die Menschen auch nach der Ausbildung bei uns bleiben“, so die Hausleiterin. Grundsätzlich ist die Gruppe der Meinung, dass der Handel sein Personalproblem mit den Menschen lösen muss, die bereits im Land wohnen, unsere Sprache sprechen und die Kultur kennen.
Thomas Jansen von Rewe Rahmati setzt ebenso auf Auszubildende wie auf Quereinsteiger. Egal, ob die Bewerber vorher in der Apotheke oder Gastronomie gearbeitet haben oder Hausfrau waren, er lädt sie zum Gespräch ein. „Dann wird schnell klar, ob die Person wirklich Interesse an Lebensmitteln hat und Lust zu arbeiten mitbringt“, weiß er. Angestellten, die einen neuen Mitarbeiter vermitteln, zahlt das Unternehmen sogar 500 Euro Prämie, wenn der Neue nach der Probezeit unbefristet beschäftigt wird. Und doch: „Recruiting bleibt ein täglicher Kampf“, so Jansen.

These 4: Thekenmitarbeiter sollten besser und erfolgsabhängig bezahlt werden!

Christian Pontow schlägt vor, dass Thekenkräfte, die samstagabends um 20 Uhr die Schicht besetzen, besser entlohnt werden als solche, die in der üblichen Kernarbeitszeit arbeiten. Doch Thomas Jansen von Rewe Rahmati hält dagegen: „Wenn am Wochenende tolles Wetter angesagt ist, dann haben manche einfach keinen Bock zu arbeiten. Die kann ich auch nicht mit 20 Prozent mehr Geld locken.“ Pontow lässt nicht locker: Warum nicht die Thekenmitarbeiter mit einer Umsatzbeteiligung belohnen? Oder vielleicht statt mehr Geld zusätzliche Urlaubstage in Aussicht stellen? Die Händler am Tisch halten dagegen: Bei Menschen, die an der Theke den Hut aufhaben, funktionieren solche Anreize. Bei unmotivierten Mitarbeitern nicht. Noch mal Thomas Jansen: Bei schönem Wetter liege der Krankenstand am Wochenende immer höher als bei schlechtem Wetter. „Da kommen einige erst gar nicht, sondern rufen an, sie hätten …“ – Die Kauffrauen am Tisch beenden den Satz unisono: „Magen-Darm.“ Während der Pandemie sei die Antwort übrigens „Corona“ gewesen.

„Geld ist nicht das Hauptthema“, meint auch Doris Brauer. Sie zählt auf, was Thekenkräfte ihrer Meinung nach eher anspornt: flexible Arbeitsmodelle, sodass ausreichend Zeit für die Familie bleibt. Ein Zuschuss zum Fitnessstudio oder auch mal eine Ausschüttung für alle, wenn das Geschäft besonders gut gelaufen ist.

Wie geht es weiter mit der Bedienungstheke?

Einige Aussagen aus der Diskussion:

1. Gute Bedienungstheken werden überleben. Aber ihre Zahl wird weiter schrumpfen.

2. Moderne Möbel erleichtern die Abläufe: hybride Theken, die bei Bedarf ohne Mühe von Bedienung auf SB umgebaut werden.

3. Vielleicht gibt es künftig mehr offene Theken. Der Verkäufer steht nicht dahinter, sondern davor und kommt besser mit den Kunden ins Gespräch.

4. Die Theken werden durch digitale Geräte ergänzt, zum Beispiel ein Bestellterminal und mehr Bildschirme, auf denen Informationen zur Ware übermittelt werden.

5. Verkostungen bleiben ein Erfolgsgarant. Warum nicht jeden Freitag zu einem anderen Thema Kunden an die Theke einladen?

6. Einige Babyboomer wollen und werden länger an der Theke arbeiten. Aber darauf darf sich der Handel nicht verlassen.

These 5: Hersteller müssen die Thekenteams noch intensiver schulen!

„Jeder Mitarbeiter kann bei uns eine Schulung machen. Er muss nur wollen“, sagt Doris Brauer. Zurheide verfügt über einen eigenen Schulungsraum, Brauer organisiert Seminare für die Beschäftigten aller Standorte. Das ist zwar aufgrund der Personalknappheit nicht immer einfach, funktioniert aber. Allerdings stellt sie fest, dass immer weniger Lieferanten bereit sind, Schulungen vor Ort im Handel durchzuführen.

Rewe Rahmati schickt sein Personal lieber zur Rewe-Regionalgesellschaft. „Dann sind nur zwei oder drei Personen unterwegs zur Schulung“, führt Jansen als Vorteil an.
Christina Heinz berichtet über ein Schulungsangebot ihrer Akademie: „Wissens-Snacks“, das sind Online-Schulungen, die in die Filialen gestreamt werden. Der Grund: Viele Händler möchten keinen Arbeitstag für die Wissensvermittlung „opfern“.

Das Hamburger Käselager führt über 1.000 Käsesorten. Es hat ein eigenes Filmstudio aufgebaut und Material zu Schulungszwecken erstellt. Christian Küsters geht davon aus, dass sich die Theken ändern und dabei digitale Instrumente nutzen müssen. Schließlich ist auch die neue Zielgruppe digital unterwegs, und das Kundenverhalten ändert sich. Deshalb stattet HKL die Prepack-Käse mit QR-Codes auf den Etiketten aus. Der Kunde kann diese auf der Verkaufsfläche in Terminals einscannen und bekommt Informationen zum Produkt. Derzeit tüftelt HKL an einem Terminal, an dem der Kunde seine Kaufwünsche für die Bedienungstheke selbst eintippen kann. „Bei McDonald’s klappt das doch auch“, argumentiert Küsters.

Dass Digitalisierung eine größere Rolle an den Theken spielen wird, bestätigt Christian Pontow. Er kann sich vorstellen, dass man mit einer Virtual-Reality-Brille durch den Supermarkt laufen und Produkte erkunden kann. Wozu eine Brille aber nie in der Lage sein wird: „Käse riechen und schmecken lassen.“

Bilder zum Artikel

Bild öffnen „Vor Jahren waren die Thekenkräfte skeptisch: Wenn du mir Prepack verkaufst, dann brauchen sie mich hier bald nicht mehr. Heute hilft Prepack allen, Bedienungstheken zu betreiben.“ Christian Küsters, Hamburger Käselager
Bild öffnen „Wenn ich frage, warum ein Azubi sich für einen Arbeitgeber entschieden hat, kommen oft erschreckende Antworten. Zum Beispiel: „Die haben zuerst auf meine Nachricht reagiert.“ Christina Heinz, Food Akademie
Bild öffnen „Manche jungen Leute fragen mich beim ersten Gespräch: Wann habe ich Freizeit? Wie viel Urlaub? Was verdiene ich? Wenige fragen nach der Arbeit.“ Thomas Jansen, Rewe Rahmati
Bild öffnen „Verkürzte Öffnungszeiten? Wenn um 19.00 Uhr für alle im Handel 
Feierabend wäre, könnten wir viel mehr motiviertes Personal einstellen.“ Doris Brauer, Zurheide Feine Kost
Bild öffnen „Wir sollten in der Sprache der 
16-jährigen Azubis reden. Und ein 
Berufsbild zum Genuss-Manager 
oder Käse-Influencer schaffen.“ Christian Pontow, Beemster
Bild öffnen „Welcher Kunde soll nach 17 Uhr noch zu uns einkaufen kommen, wenn wir dann die Bedienungstheken ge­schlos­sen haben?“ Petra Kannengießer, Globus Zell und Wittlich
Bild öffnen Sachkundig in puncto Käse und mit Spaß an der Diskussion (v. l.): 
LP-Redakteurinnen Theresa Kalmer und Heidrun Mittler, Doris Brauer, Christina Heinz, Thomas Jansen, 
Petra Kannengießer, André Fiedler (Gast, Beemster), Christian Pontow, Christian Küsters.

Neue Produkte

Viel gelesen in Hersteller

News in Molkereiprodukte