Tierschutz- und Tierrechts-NGOs „entlarven“ in den letzten Wochen immer wieder Molkereien. Ihr Credo: Molkereien unterstützten Tierleid. Öffentlichkeitswirksam mit online gestellten Videos oder spektakulären Besetzungen prangern sie jegliche Form der Anbindehaltung – ob mit oder ohne Auslauf – an. Mehr noch: Sie suggerieren, dass Milcherzeugung auf Höfen mit Anbindehaltung eine Straftat sei. Den Molkereien, die diese Milch verarbeiten, geben sie eine Art Mitschuld.
Hochwald-CEO Detlef Latka misst der Milchsilobesetzungsaktion auf dem Bärenmarken-Betriebsgelände in Mechernich im März jedoch keine große Bedeutung bei. Der Staatsschutz habe sich zwar eingeschaltet. Aber nur deshalb, weil es sich bei Molkereiprodukten um kritische Infrastruktur handele. Gefühlt hätten „zwei Hundertschaften Polizisten fünf Aktivisten gegenübergestanden“, so Latka im Gespräch mit LP. Die von Greenpeace erstattete Anzeige lief ins Leere.
Ende der Anbindehaltung gesetzt
Kein Wunder, denn bei allen Kampagnen vermisst man einen Faktencheck. „Die NGOs versuchen, mit reißerischen Aktionen und Schlagzeilen die Emotionen der Leser zu erreichen“, resümiert Roderik Wickert, Leiter Presse beim Milchindustrie-Verband, auf Nachfrage. Dabei stellten sie die Situation aber oft einseitig dar. Der so erzeugte Druck erschwere wiederum Lösungen und „die Bemühungen der Betriebe bis an ein existenzbedrohendes Maß“. Wickerts Fazit: „Damit schießen die NGOs über das Ziel hinaus.“
Und wie reagieren die Molkereien von B wie Berchtesgadener Land über E wie Ehrmann bis H wie Hochwald? Häufig mit Schweigen. Das sei manchmal das beste Argument gegen solche Aktionen, meint der Geschäftsführer des Verbandes bayerischer Milcherzeuger, Dr. Hans-Jürgen Seufferlein. Nicht zuletzt, weil das Thema längst als abgehakt gilt. Das wahrscheinlich im Herbst noch verabschiedete Tierschutzgesetz sieht vor, dass die ganzjährige Anbindehaltung ein Ende hat. Diskutiert wird derzeit nur noch, ob in fünf oder zehn Jahren. Längst haben die Landesregierungen in Süddeutschland, wo die meisten Anbindehaltungen vorzufinden sind, reagiert. Neben Beratung gibt es auch Fördergelder bei Investitionen in Laufställe.
Deutschlands größte Molkerei, das Deutsche Milchkontor (DMK), sieht die Anbindehaltung als Auslaufmodell. „Die ganzjährige Anbindehaltung ohne Weidegang praktizieren unter 1,3 Prozent unserer Landwirte, was einer Milchmenge von etwa 0,23 Prozent entspricht“, erklärt Oliver Bartelt, Global Head of Corporate Communications DMK. Ab 2026 werde es bei der DMK sogar gar keine ganzjährige Anbindehaltung mehr geben. Darüber seien die wenigen betroffenen Landwirte bereits informiert. Zudem werden keine Betriebe neu in die Genossenschaft aufgenommen, die saisonale Anbindehaltung praktizieren. Das gelte auch bei einem Generationswechsel auf den Höfen.
Interview mit Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber
Animal Rights Watch hat mit einem Video zu angeblich schlechten Haltungsbedingungen im Berchtesgadener Land für Aufsehen gesorgt. Zu Recht?
Michaela Kaniber: Es stellt nicht nur Menschen an den Pranger, es gefährdet auf Dauer auch die Demokratie, wenn Sachverhalte polarisierend und pauschalisierend dargestellt werden. Leider bieten das Internet und die sozialen Medien hierfür eine riesige Bühne – nahezu ohne jegliches Korrektiv. Animal Rights Watch hätte vermutlich keinen einzigen Euro an Spendengeldern erhalten, wenn die gleichen Rinder ein paar Wochen später auf der Weide einer blühenden Almwiese gefilmt worden wären. Genau das war nämlich [kurz darauf – Anm. d. Red.] der Fall.
Was macht so eine Kampagne mit Verbrauchern?
Das Video vertieft den Graben zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Den in der Regel tatsächlichen Verhältnissen in den Betrieben werden sie nicht gerecht. Dass es schwarze Schafe gibt, stelle ich nicht in Abrede, aber es sind sehr wenige!
Ist es nicht wichtig, Missstände aufzudecken?
Wenn Animal Rights Watch bewusst Sachverhalte einseitig und unausgewogen darstellt, ist das sehr bedenklich. Verbraucher werden so in die Irre geführt, denn man lässt sie fälschlicherweise glauben, dass alle Bauern aus reiner Profitgier Tiere ausbeuten würden.
Welche Auswirkungen haben solche Kampagnen auf die Landwirtschaft?
Solche Kampagnen vergiften das Klima in der Gesellschaft. Sie frustrieren unsere Bauern, weil sie in der schlimmen Pauschalisierung zu Unrecht am Pranger stehen. Immer mehr geben auf. Und dann? Dann beziehen wir unsere Lebensmittel aus dem Ausland, ohne Einfluss auf die Produktionsbedingungen nehmen zu können, mit negativen Folgen für das Klima und mit importiertem Tierleid. Das kann nicht unser aller Ziel sein. Denn Bayern ist geprägt durch seine bäuerlichen Familienbetriebe, von denen zwei Drittel Tiere halten. Somit ist die Nutztierhaltung nicht nur ökonomisches Rückgrat, sondern ein Garant für eine einzigartige Kulturlandschaft, eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und beste regionale Lebensmittelversorgung.
Und wie stehen Sie zu der im Freistaat Bayern noch weitverbreiteten ganzjährigen Anbindehaltung von Milchkühen?
Die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern ist nicht mehr zeitgemäß und als Auslaufmodell zu bezeichnen. Für die Bayerische Staatsregierung hat Tierwohl einen sehr hohen Stellenwert. Bereits seit Jahrzehnten werden Anbindeställe in Bayern nicht mehr gefördert. Betriebe, die von der Anbinde- in die Laufstallhaltung umstellen, werden durch zwei attraktive Investitionsprogramme finanziell unterstützt.