Mehr als nur Milch Die Ansprüche steigen

Fettreduziert, laktosefrei, biologisch, kalorienarm, Omega-3-angereichert, mit besonders vielen Proteinen – was Milch heutzutage alles „leisten“ können soll, geht auf keine Kuhhaut. Und aus Neuseeland drängt A2-Milch auf den EU-Markt. Wertschöpfungs-Perspektive oder Werbe-Pfusch?

Dienstag, 19. Mai 2015, 17:52 Uhr
Christina Steinheuer
Artikelbild Die Ansprüche steigen
Bildquelle: Shutterstock, Netto ApS & Co. KG

The A2 Milk Company ist in Deutschland noch nahezu unbekannt, feiert in Australien und Neuseeland aber Erfolg an Erfolg. Und zwar mit A2-Milch (s. S. 48). Produkte wie Trinkmilch, Jogurt und Babynahrung gehören zum Portfolio. Auch wenn die Aussage, A2-Milch sei bekömmlicher als die bei uns übliche A1-Milch, weder endgültig wissenschaftlich belegt noch widerlegt ist, die Australier kaufen A2-Milch. Sie wird mit dem Slogan „Feel the difference“ beworben. Knapp 10 Prozent des Umsatzes mit Frischmilch entfällt „Down Under“ auf A2-Milch, obwohl sie teurer ist als A1-Milch. 2013 lag der Marktanteil bei 7,9 Prozent und damit bereits höher als der Gesamtabsatz von Biomilch, laktosefreier Milch, Soja- und Ziegenmilch zusammen, wie Bayern-Genetik damals feststellte. Die Vererber-Profis wurden als Aussteller auf Messen oft nach A2-Rinderrassen befragt. Interesse ist also auch in Europa vorhanden. Und der Schweizer Genetikanbieter Selectstar testet Jungstiere bereits routinemäßig a uf beta-Casein A2.

Allerdings ergab eine Befragung der LP unter Herstellern in Deutschland, dass A2-Milch „derzeit noch kein Thema“ ist. Derzeit ist allerdings ein dehnbarer Begriff – jedenfalls relativiert er die ablehnende Haltung der eigentlichen Aussage.

Schon vor einigen Jahren haben Landwirte in Neuseeland, später in Australien, den USA, Korea und zuletzt auch in Großbritannien, damit begonnen, ihre Herden auf A2-Kühe umzustellen. In der EU fehlt einigen Herstellern ein „Health-Claim“ bzw. ein wissenschaftlich fundiertes Grundgerüst. Sie warten lieber ab. Was aber, wenn ein Hersteller A2-Milch-Artikel ohne werbliche, gesundheitsbezogene Angaben auf den Markt bringt? In Internetforen lässt sich das Geschehen in Australien gut verfolgen. Dort haben Verbraucher die Produkte einfach mal getestet. Ob Placebo-Effekt oder Praxis-Erfahrung – A2-Milchprodukte haben dort seit Jahren einen Markt. Im „Agrarmanager“ wurde Scott Wotherspoon, Geschäftsführer A2 Milk Company in Großbritannien, im August 2014 zitiert: „Wir arbeiten derzeit die Pläne für die Markteinführung in Deutschland und anderen europäischen Staaten aus.“ Das Unternehmen hält Patente, die ihm Lizenzeinnahmen aus DNA-Tests bezüglich A2 sichern und besitzt Logos und Markenrechte.

Der Megatrend Gesundheit befeuert den deutschen Markt seit Jahren. Unstrittig dürfte sein, dass die Art und Weise, in der Kühe gehalten und gemolken werden, Einfluss auf die Milch, die sie geben, hat. „Allein durch spezielle Fütterung und gesundes Licht kann die Konzentration des lebenswichtigen Vitamins D in der Milch um das Fünfzehnfache gesteigert werden“, sagt Tony Gnann, Geschäftsführer der Milchkristalle GmbH. Ein Glas dieser Milch decke bereits 60 Prozent des Tagesbedarfs an Vitamin D. Ähnliche Konzentrationszuwächse seien auch beim Schlafhormon Melatonin möglich, das sich ebenfalls seit jeher in der Milch befinde. Die Schwarzwaldmilch GmbH, Freiburg, setzt – weil immer mehr Menschen Unverträglichkeiten bei sich vermuten – auf laktosefreie Milchprodukte, die zudem ohne Fruchtzucker auskommen. Die Herzgut Landmolkerei führte Ende 2014 Jovia ein, einen Jogurt der weniger Zucker (44 Prozent) und weniger Kalorien (26 Prozent) enthält als konventionelle Vergleichsprodukte. Mit Omeghurt bietet Herzgut zudem einen Jogurt mit „einem Extra an Omega-3-Fettsäuren“.

Immer mehr große Hersteller (Ehrmann, Bauer, Müller, Arla) forcieren ihr Angebot an laktosefreien Artikeln, machen es damit kleineren und langjährigen Anbietern immer schwerer. Laktosefreie Artikel sind Standard geworden. Discounter Norma bietet mehr als 100 derartige Artikel an. Der Zentraleinkauf Food teilt auf Anfrage mit: „Wir haben laktosefreie H-Milch im Sortiment und planen, laktosefreie H-Schlagsahne in das Sortiment aufzunehmen.“ Die Umsatz legte von 2013 zu 2014 um 34 Prozent, von 2014 zu 2015 um 26 Prozent zu. Netto (Stavenhagen) verzeichnet ebenfalls eine deutlich positive Entwicklung bei Hemme-Milch (Privatmolkerei Hemme aus dem Biosphärenreservat Schorfheide), Bio-Milch und laktosefreier Milch, so Einkaufsleiter Norman Jammrath . Alpro weitet die Milchalternativen ebenfalls aus. Der Markt für den weißen Riesen Milch wird bunter.


Praxis-Wissen

Was ist eigentlich A2-Milch?
Milch enthält Wasser, Fett und Proteine (größtenteils Casein). Eine der verschiedenen Casein-Sorten ist Beta-Casein. Es besteht aus 209 Aminosäuren.

Der Unterschied zwischen A1- und A2-Milch liegt nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand alleine bei Position 67 dieser Kette von Aminosäuren. A1-Milch enthält an dieser Porition Histidin, A2-Milch die Aminosäure Prolin. Bei A1-Milch wird die Kette der Aminosäuren aufgespalten, es entsteht das Opiat Beta-Casomorphin-7 (BCM7). Bei A2-Milch passiert das nicht.

BCM7 soll Auswirkungen auf den Verdauungstrakt, das Immunsystem und das neurologische System des Menschen haben, so die A2-Milch-Anhänger. Es könne die Verdauung verlangsamen, Verstopfungen verursachen und stehe in einem Zusammenhang mit dem Auftreten von Herzerkrankungen, Diabetes Typ-1, Autismus, Übergewicht, Allergien. Beweise und Gegenbeweise fehlen.

Die Forschung arbeitet seit ca. 15 Jahren am Thema. Ursprünglich gaben alle Rinder A2-Milch. Durch eine Mutation hat sich vor allem unter den europäischen Rassen A1-Beta-Casein verbreitet. Der Großteil der europäischen und amerikanischen Rinderrassen gehört zur Subspezies „bos primigenius taurus“ und produziert A1-Milch. Ausnahmen sind Guernsey-Rinder (96 Prozent A2-Milch-Anteil), Fleckvieh (71 Prozent A2-Milch-Anteil) und Brown Swiss (66 Prozent). Indische Rinder und jene der Massai geben A2-Milch, genauso wie Ziegen, Schafe, Yaks und Büffel.

Im deutschen LEH sind A2-Milch-Produkte noch nicht erhältlich, in Großbritannien, als erstem EU-Land, schon (Morrisons, Ocado, Sainsbury, Tesco, Waitrose). Das neuseeländische Unternehmen „The A2 Milk Company“, an der Börse in Sydney notiert, fungiert als Lieferant und Lizenzgeber. 2011 gingen die Neuseeländer ein Joint Venture mit der britischen Robert Wisemann Dairies ein, die inzwischen zum Milch-Imperium von Theo Müller gehört. In Neuseeland und Australien boomt A2-Milch (knapp 10 Prozent Marktanteil bei Frischmilch).

Bilder zum Artikel

Bild öffnen
Bild öffnen „A2-Milch ist derzeit kein Thema für uns. Wir werden uns aber mit dem isländischen Produkt Skyr beschäftigen.“

Norman Jammrath, Einkaufsleiter Netto ApS & Co. KG

Das könnte Sie auch interessieren

Neue Produkte