Das germanische System, das die Traubenqualität in den Vordergrund stellt, soll durch das romanische ersetzt werden, das Weine nach dem Herkunftsprinzip einstuft. Großlagen sollen zukünftig mit dem Wort „Region“ gekennzeichnet werden. Der Deutsche Weinbauverband fordert Zeit für die Umstellung bis 2026. Erste Betriebe haben ihre Etiketten bereits neu deklariert. Mehrere Millionen Flaschen stehen noch aus.
Welche Bedeutung hat das neue Weinrecht für den Verbraucher?
Marian Kopp: Ein Großteil der Öffentlichkeit hat gar nicht mitbekommen, dass sich da überhaupt etwas ändert. Die interessiert das nämlich gar nicht! Etwa über eine Millionen Flaschenetiketten werden sich alleine bei uns, den Lauffener Weingärtnern, verändern. Aber auch das werden wir überstehen, weil der Verbraucher sich für andere Dinge interessiert: Die wollen neben der Herkunft wissen, wie es schmeckt, was der Preis ist und als Drittes, welche Rebsorte verwendet wurde. Und danach kommt lange nichts.
Welche Bedeutung hat die Herkunft dann überhaupt?
Klaus Schneider: Warum sind wir in das romanische System, also die Beurteilung nach der Herkunft, eingetreten? Ein Grund ist, weil wir keine Werbung für den Weinkonsum machen können. Wir dürfen kein Foto machen, auf dem eine Familiengruppe abgebildet wird und eine der Personen ein Glas Wein in der Hand hält, weil wir damit zum Alkoholkonsum anregen!
Und dann ist es doch ganz klar, dass mir nur noch die Möglichkeit bleibt, für mein Gebiet oder meinen Betrieb zu werben. Das Gebiet ist unsere Herkunft. Und das dürfen wir sogar europäisch gefördert machen.
Das beantwortet aber nicht die Frage, welche Rolle Herkunft für den Konsumenten spielt. Wie wählt der Kunde denn aktuell seinen Wein aus?
Jan Rose: Wir in der Südpfalz sind recht sicher, was Weinfragen angeht. Warum nicht jeder Riesling gleich schmeckt, erklären wir mit Bodenproben, die bei uns im Markt stehen. Und bestimmter Boden, den gibt es eben nur in bestimmten Lagen.
Patrick Wilhelm: Die Region spielt bei uns eine große Rolle. Verschiedene Winzergenossenschaften haben ihr Etikett auch schon angepasst. Das hat bei uns teilweise für einen Verkaufseinbruch gesorgt. Die Leute erkennen den Wein nicht mehr. Wir versuchen, es den Kunden zu erklären. Aber die, die uns nicht ansprechen, greifen zu einer anderen Flasche.
Kopp: Und hier liegt der entscheidende Punkt. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder kauft der Kunde einen teureren Wein. Super! Aber es kann auch passieren, dass der Kunde zum Beispiel zu einem sehr viel günstigeren Pinot Grigio – anstatt eines deutschen Grauburgunders – greift.
Schneider: Der dritte Weg, der nicht vergessen werden darf: Der Kunde, der seinen Wein nicht mehr findet, der kann sich bei einem Berater im Markt erkundigen. Insofern sehe ich das nicht so schwarz.
Walter Bitsch: Wenn man denn einen Berater im Markt hat.
Schneider: Aber das nimmt doch immer weiter zu.
Bitsch: Bei den guten Märkten ja, aber für viele gilt es weiterhin nicht.
Herr Kopp, Sie haben gesagt, dass die neuen Regelungen verwirrender seien als die bisherigen Bezeichnungen. Natürlich nicht für Sie, sondern für den Verbraucher. Was verwirrt den denn genau?
Kopp: Wir müssen zuerst unterscheiden: Den Verbraucher, der im Weinbaugebiet wohnt, werden wir mit dem neuen Bezeichnungsrecht nicht verwirren. Er wird die neue Deklarierung relativ schnell lernen. Aber wir haben eine Menge Haushalte, die gar nichts mit den 13 Weinbaugebieten zu tun haben. Die müssen sich jetzt auf Veränderungen einstellen, was die Bezeichnungen angeht. Einige wird es nicht mehr geben – zum Beispiel die unter den sogenannten Großlagen. Das Wort „Region“, das müssen die Verbraucher ganz neu lernen.
Herr Bitsch, Herr Wilhelm, Herr Rose, Sie stehen jeden Tag auf der Fläche. Wie sehen Sie das?
Bitsch: Ich denke, der Verbraucher wird lange brauchen, um das zu verstehen.
Patrick Wilhelm: Das neue Weinrecht trägt unverkennbar die Handschrift des Verbands Deutscher Prädikatsgüter. Eine Vereinigung von Weingütern, die wir hier in Bensheim gar nicht kennen. Ich bin also gespannt, was passiert, wenn der Kunde nicht mehr sein altbekanntes Etikett auf der Flasche findet.
Jan Rose: Der Wasgau-Markt, den ich als Marktleiter betreue, ist in Annweiler am Trifels in der Süd-pfalz. Da wachsen alle mit Wein auf. Ich glaube, dass Verbraucher trotz der neuen Deklarierung bei ihrem Wein bleiben. Die Winzer werden die Bezeichnung nehmen, die für sie am besten passt. Ich komme aus Bremen. Dort war es immer klar: Auf der Flasche darf nur trocken draufstehen, aber geschmacklich war es doch schöner, wenn es nur halbtrocken war. Die Leute werden sich reinfinden.
Wirklich begeistert wirken Sie alle nicht. Herr Schneider, warum hat man es dann gemacht?
Schneider: Wo fange ich an? Es gibt viele Gründe. Der wichtigste ist jedoch, dass es auch nicht wirklich anders ging. Um Ihnen einen kleinen Eindruck zu vermitteln, erläutere ich Ihnen kurz den Ablauf beim Streitpunkt bezüglich der Großlage. Im Juni waren wir als Deutscher Weinverband beim Thema noch offen. Dann kam der Referentenentwurf aus dem Bundesministerium. Der wurde ins Justizministerium gegeben. Die Minister wollten sich absichern. Und dort kam raus: Es ist seit zwölf Jahren entschieden, wie es mit den kleineren geografischen Angaben geregelt sein muss. Der namengebende Anteil für eine Ortsangabe muss 85 Prozent betragen.
Wie viele Etiketten sind denn betroffen?
Schneider: Bei den großen Kellereien liegt die Verwendung der Großlage bei unter einem Prozent. Also deutlich weniger, als es bei der Debatte oft den Anschein macht.
Gibt es denn auch positive Effekte?
Kopp: Veränderungen sind immer mühsam. Aber ja, es gibt auch Chancen. Die Schutzgemeinschaften legen die Lastenhefte fest. Beispielsweise gibt es dann so etwas wie weinbauliche Maßnahmen oder Hektarhöchsterträge, das heißt, es darf aus bestimmten Weinbergen weniger Ertrag geerntet werden.
Schneider: Das wird nicht überall möglich sein.
Kopp: Aber das wird es geben! Ich sag es mal platt: Bestimmte Lagenweine werden teurer werden. Im Sortiment wird sich etwas verschieben.
Wie sieht das konkret bei den Lauffener Weingärtnern aus?
Kopp: Bei uns ist es so, dass wir auch eine Großlage im Programm haben. Das ist der Lauffener Kirchenweinberg. Meine Sorge sind diese 200.000 Flaschen, die es so bezeichnet 2026 nämlich nicht mehr geben wird. Deshalb werden wir diesen Artikel jetzt bald schon verändern.
Was wünscht sich der Handel von den Erzeugern?
Rose: Was gar nicht funktioniert, ist, wenn Hersteller ihre Etiketten überkleben. Das haben wir ja schon gehabt. Und keiner wird sich eine Flasche hinstellen, wo der Name abgeklebt ist.
Wilhelm: Der Erzeuger muss kreativ sein. Wir sind alle daran interessiert, dass sich die Weine weiterverkaufen. Und das wird nicht so einfach, wenn manche Weinetiketten einfach verschwinden. Zum Beispiel der „Heppenheimer Stemmler“, wird es den dann noch geben?
Kopp: Es ist die Frage, was die Schutzgemeinschaft daraus macht. Zum Beispiel könnte die Gemeinschaft einen Hektarhöchstbetrag festlegen. Der Wein könnte dann teurer werden.
Schneider: Wenn nicht 85 Prozent der Trauben aus Heppenheim kommen, kann diese Einzellagenbezeichnung nicht mehr verwendet werden. Man könnte aber auch einen anderen Weg gehen. Aus der Einzellage könnte eine Großlage werden, die den Namen „Region Stemmler“ trägt.
Kopp: Wie die Schutzgemeinschaften entscheiden, wird sehr spannend. Wichtig ist: Der Begriff Region ist gesetzt. Und ich weigere mich, über Dinge zu reden, die in der Vergangenheit liegen. Die wichtige Frage ist jetzt: Wie werden die Weinregale aussehen? Es gibt circa 100.000 aktive Weinartikel im deutschen LEH. Das ist eine wahnsinnig komplizierte Warengruppe. Und für den Verbraucher ist es noch viel komplizierter.
Ja, wie werden die Weinregale aussehen?
Schneider: Im unteren Bereich der Pyramide, bei der geschützten Ursprungsbezeichnung und bei der Großlage und dem Bereich ändert sich in den Lastenheften nichts. Nur für den Orts- und den Lagenwein wird es zusätzliche Kriterien geben. Und das sind nicht mehr als 10 Prozent. Ich gebe Herrn Kopp recht, die langsame Umstellung ist ein Weg. Es gäbe vielleicht eine andere Möglichkeit, die der Tatsache Rechnung trägt, dass ich im Handel nur einmal umlisten kann. Abhängig von der gesetzlichen Regelung wäre es denkbar, dass sich einzelne Gruppen, also die Genossenschaften sich selbst einen gemeinsamen Stichtag festlegen. Dann ist die Veränderung nur einmal und für alle gleichzeitig. Die Frage des Übergangs hängt aber auch noch von der finalen Regelung der Weinverordnung ab.
Der Durchschnittspreis für einen deutschen Wein im LEH liegt bei 3,20 Euro. Kann die Weinwirtschaft also auch von dem neuen Weinrecht profitieren?
Kopp: Einfach so? Nein, finde ich nicht. Nur wenn man auch etwas dafür tut. Und wenn ich als Betrieb meinen Job gut mache, dann mache ich mich ein Stück weit von der Lage unabhängig. Wenn meine Marke so stark ist, dass man meine Marke kauft – unabhängig von der Rebsorte oder der Einzellage.
Rose: Deshalb bin ich Gegner der Rosé-Flächen im Supermarkt. Man sieht nur noch Rosé. Der Kunde nimmt doch sonst nichts mehr wahr. Wenn der Kunde erst mal eingestiegen ist in ein Weingut, erkundet er gerne die verschiedenen Weine dieses Anbieters.
Schneider: Die Herkunft ist nämlich nicht nur das Gebiet, sondern auch das Unternehmen.
Kopp: Die Frage ist: Was nehmen die Verbraucher als Orientierung? Je näher wir an die Weinbaugebiete rankommen, desto besser kennen sich die Menschen dort mit dem Wein aus. In Heidelberg weiß man beispielsweise viel über die Pfalz. Man weiß auch etwas über Württemberg. Aber dort weiß man weniger über Franken oder den Mittelrhein. Die Weine von dort beziehungsweise dem direkten Umland sind also wie eine nationale Marke.
Welche Rolle kann der Handel bei der Umstellung spielen?
Kopp: Ich will es an einem Beispiel erklären: Wir werden unsere Großlage Lauffener Kirchenweinberg schon früh umstellen. Das habe ich bereits erwähnt. Der Wein ist ganz stark bei der Rewe vermarktet. Ich will nicht in die Falle tappen, dass 2026 alles anders ist und wir den Händler und den Kunden nicht mitnehmen. Im Frühjahr habe ich, denke ich, ein Konzept. Und wenn ich dann darf, werde ich das Konzept der Rewe vorstellen. Und fragen: Was ist euer Favorit? Dann habe ich nämlich schon einen großen Kunden hinter mir. Also: Wenn ich die Möglichkeit habe, meinen Handelspartner einzubinden, dann mache ich das natürlich.
Wie sehen Ihre Kollegen das?
Kopp: Sehr unterschiedlich. Viele sind noch dabei, ihre Wunden zu lecken. Es ist ein sensibles Thema.
Wie geht es weiter?
Bitsch: Wir haben keine andere Möglichkeit: Wir müssen dem Kunden auf die Sprünge helfen.
Wenn ein Hersteller Sie fragt, wie das Unternehmen am besten vorgehen soll: Was würden Sie tun?
Bitsch: Ich würde natürlich helfen. Je transparenter dieser Vorgang ist, desto leichter für uns alle.
Wilhelm: Ich finde es gut, dass die Großlage in den Hintergrund gerückt wird. Vielleicht haben wir so die Chance, höherwertige Weine zu verkaufen. Die Verkäufe für die Literflaschen sind sowieso rückläufig. Der Verbraucher achtet mehr auf Qualität, und das können wir jetzt noch befeuern.
Rose: Jegliche Diskussion über das Ob ist überflüssig. In unserem regionalen Bereich ändert sich nicht viel. Manchmal verbessert eine Namensveränderung etwas: Viele nennen den Lemberger beispielsweise Blau Fränkisch. Und wenn man dann mal probiert und feststellt, was ein Lemberger kann, hilft das der Rotweinsorte.
Kopp: Es wird viele Veränderungen geben – für viele Millionen Flaschen! Deshalb geht aber nicht die ganze Weinwirtschaft kaputt. Dieser Prozess wird noch viele Verschiebungen verursachen. Und das ist auch eine Chance. Wenn ich mit dem Handel diskutiere, muss ich mich mit meinem Produkt befassen. Es ist möglich, dass wir danach ein besseres Weinregal haben.