Eine Meldung sorgte im Frühjahr für Aufsehen: Die Zur-Mühlen-Gruppe (ZMG) plant die Übernahme des Familienunternehmens Eberswalder. Das Bundeskartellamt hat der Transaktion inzwischen zugestimmt. Doch wie kam es, dass die ZMG, die ihrerseits zu Tönnies gehört, die Traditionsfirma Eberswalder übernahm? „Wir haben bereits 2018 darüber nachgedacht, wie wir die langfristige Zukunft der Traditionsmarke und des Produktionsstandorts Britz gestalten müssen. Corona und die Folgekrisen haben dann den Entschluss verstärkt, eine starke Partnerschaft zu schmieden“, antwortet Sebastian Kühn, Geschäftsführer Eberswalder Wurst. Die ZMG habe laut Kühn Eberswalder die interessanteste Perspektive eröffnet. „Wir sind der Überzeugung, dass die Marke Eberswalder sehr gut unter das Dach der Zur-Mühlen-Gruppe passt“, sagt der Geschäftsführer. Seitdem hat sich laut Kühn operativ nichts geändert. Das bisherige Führungsteam blieb an Bord, führt die Traditionsmarke weiter und wird sie weiterentwickeln. Er ergänzt: „Ein bisher mittelständisch geprägtes Familienunternehmen kann innerhalb einer starken Gemeinschaft nur profitieren. Wir schauen uns die bisherigen Strukturen und Arbeitsprozesse auf Verbesserungspotenziale hin an. Expertenaustausch auf allen Ebenen wird zu neuen Ideen und Innovationsmanagement führen.“
Laut Kühn betrifft dies auch den Standort in Britz: „Er muss sich – wie auch vorher – immer wieder beweisen. Modernisierung, Investitionen, Effizienzsteuerung – das ist nicht nur in der bereits lange währenden Ergebniskrise der Branche mehr als angesagt. Und dennoch wissen wir, dass Investitionen in nachhaltige Energieträger und Technologien oder Automatisierung dringend geboten sind. Wir analysieren und wollen die richtige Reihenfolge definieren.“ Laut Sebastian Kühn wird sich für die Konsumenten jetzt und in Zukunft dabei rein gar nichts ändern.
Er rechnet mit weiterem Kostendruck in der Fleisch- und Wurstbranche. Der Markt habe sich noch nicht wieder stabilisiert, denn es gebe zu viele Einflussfaktoren: von globalen Markt- und Strukturveränderungen bis hin zu gesellschaftlichen Trends und politischen Verunsicherungen. „Wirtschaftlich belastet uns am stärksten das anhaltend hohe Niveau der Schweinepreise. Über 2 Euro pro Kilo – das gab es so lang anhaltend noch nie. Die deutlich erhöhten Produktionskosten bekommen wir im Handel nicht umgesetzt“, sagt Kühn. Laut dem Geschäftsführer müsse die Branche dabei ehrlicher und kämpferischer werden. „Und wir alle müssen mehr in der Wertschöpfungskette denken und leben.“ Er ergänzt: „Und gemeinsam müssen wir den Verbrauchern unsere gemeinsame Leistung verdeutlichen. Mehr Kommunikation, mehr Mut zur Auseinandersetzung, mehr Bekenntnis zu gutem Fleisch und guter Wurst“, sagt Kühn. Der Sommer habe gezeigt, dass Deutschland wieder grillt und gerne zu Wurst und Fleischerzeugnissen greift. Das stimme ihn sehr positiv, so Kühn.
Schwieriger Stand bei Tierwohl
Laut Kühn ist der Stand bei den Tierwohlprogrammen im Moment weiterhin schwierig. „Seit dem Einsetzen des Inflationsdrucks scheinen alle Fortschrittsgedanken in Richtung Tierwohl obsolet. Wir können unsere etablierten Regionalprogramme nach wie vor ausspielen, der Kostendruck ist allerdings auch hier bedenklich und wir spüren die Konsumentenzurückhaltung bei deutlich höheren Preisen.“
Für Kühn war der Abschluss eines Fünfjahresvertrages im Jahr 2019 mit Rewe Ost die Basis, ein Programm für regionales Fleisch in Richtung Tierwohl aufzubauen. Das regionale Schweinefleisch aus dem Projekt „100 Prozent Regional“ ist erfolgreich in vielen Rewe-Märkten der Hauptstadtregion vertreten und wird dort exklusiv in den Bedientheken angeboten. Das Projekt garantiert Tierwohl und Regionalität aus Brandenburg. Nach dem Start 2019 konnte das Angebot auch im SB-Bereich erweitert werden. „Wie sich unsere Initiative weiterentwickelt, wird auch im Kontext des Verbraucherverhaltens zum Sparen stehen. Bessere Haltungsformen erfordern ein anderes Preisniveau. Die Krise ist hier nicht förderlich.“ Bei den Haltungsformen in Richtung Frischluft und Strohhaltung will Eberswalder am Ball bleiben.
3 Fragen an
Sebastian Kühn, Geschäftsführer der Eberswalder Wurst GmbH
Wie lassen sich nachhaltige Produkte aktuell verkaufen?
Sebastian Kühn: Der Preis wird zum wichtigsten Indikator und verdrängt in großen Teilen die wichtige Frage zu enkeltauglicher Wirtschaftsweise. Politik muss den Rahmen schaffen, damit angemessene Gewinne auch bei uns Produzenten landen.
Gibt es denn bei Ihnen noch genügend Fachkräfte?
Nein. Ich glaube, wir müssen im Bereich der Menschen aus aller Welt eine Rekrutierungsgruppe identifizieren, die unsere Branche vom Mangel entlastet. Osteuropa wird auf lange Sicht als Rekrutierungsmarkt wegfallen. So traurig es ist: Da, wo möglich, ersetzt Maschine den Menschen.
Machen Sie sich Sorgen über die Zukunft des Fleischs?
Nein, auf keinen Fall. Ich brenne für Tierhaltung in einer landwirtschaftlichen Kreislaufwirtschaft und all die fantastischen Rezepturen, Geschmäcker und Zubereitungsarten. Deutschland ist im Ausland bekannt für gute Wurst und wird das auch bleiben. Und wer weiß: Bald wird vielleicht das Pflanzenprotein knapp und führt zu Produktionsengpässen in globalen Märkten, oder die Medien finden heraus, das Cultured Meat die Eingangstür für Abhängigkeitspolitik mit Patenten sein kann.
Das vollständige Interview mit Sebastian Kühn lesen Sie hier: