Interview mit Sebastian Kühn Der Branchendruck wächst

Die Traditionsmarke „Eberswalder Wurst“ gehört seit kurzem zur Zur Mühlen Gruppe. Geschäftsführer Sebastian Kühn erklärt im LP-Gespräch, wie sich die Übernahme auswirkt.

Donnerstag, 02. November 2023 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Der Branchendruck wächst

Wie kam es zur Übernahme von Eberswalder durch die ZMG?
Wir haben bereits 2018 darüber nachgedacht, wie wir die langfristige Zukunft der Traditionsmarke und des Produktionsstandorts Britz gestaltet müssen. Corona und die Folge-Krisen haben dann den Entschluss verstärkt, eine starke Partnerschaft innerhalb Deutschlands zu schmieden. Die zur Mühlen Gruppen hat uns die interessanteste Perspektive eröffnet. Wir sind der Überzeugung, dass die Marke Eberswalder sehr gut unter das Dach der zur Mühlen Gruppe passt.

Was wird sich ändern?
Zunächst einmal bleibt operativ vieles gleich: Das bisherige Führungsteam bleibt an Board und führt unsere Traditionsmarke weiter und sie weiterentwickeln. Denn: Ein bisher mittelständisch geprägtes Familienunternehmen kann innerhalb einer starken Gemeinschaft nur profitieren. Wir schauen uns die bisherigen Strukturen und Arbeitsprozesse auf Verbesserungspotentiale hin an. Expertenaustausch auf allen Ebenen wird zu neuen Ideen und Innovationsmanagement führen. Damit gewinnt die Marke Eberswalder deutlich an Profil und Potential.

Was passiert mit dem Standort in Britz?
Er muss sich - wie auch vorher - immer wieder beweisen. Modernisierung, Investitionen, Effizienzsteuerung – das ist nicht nur in der bereits lange währenden Ergebniskrise der Branche mehr als angesagt. Und dennoch wissen wir, dass Investitionen in nachhaltige Energieträger und Technologien oder Automatisierung dringend geboten sind. Wir analysieren und wollen die richtige Reihenfolge definieren.

Werden es die Kunden merken?
Für die Konsumenten ändert sich rein gar nichts. Eberswalder bleibt Eberswalder.

Herr Kühn, das ganze Jahr war ein Jahr der Herausforderungen. Rechnen Sie mit einem anhaltenden Kostendruck in einem nach wie vor instabilen Markt?
Absolut Ja. Der Markt hat sich noch nicht wieder stabilisiert, denn es gibt zu viele Einflussfaktoren: Globale Markt- und Strukturveränderungen bis hin zu gesellschaftlichen Trends und politische Verunsicherungen. Wirtschaftlich belastet uns am stärksten das anhaltende Niveau die hohen Schweinepreise. Über 2 Euro – das gab es so langanhaltend noch nie. Die deutlich erhöhten Produktionskosten bekommen wir im Handel nicht umgesetzt.

Wie geht es weiter?
Das ist schwierig vorauszusagen. Aber wir haben eine klare Haltung zu unseren Produkten: Ehrlich, transparent, authentisch und so regional wie möglich. Wir kommunizieren den Wert unserer Produkte auch mit der Haltung gegenüber unseren Kunden: Wertschätzung ist eine wichtige Basis. Wir wollen und müssen wieder Orientierung geben. Das fängt bei uns im Unternehmen an und geht bis zum Kühlregal: Fleisch und Wurst sind hervorragende Nahrungsmittel mit sehr viel mehr Nachhaltigkeit als geglaubt.

Was kann die Branche tun?
Ehrlicher und kämpferischer werden ganz sicher. Und wir alle müssen mehr in der Wertschöpfungskette denken und leben. Dazu gehört auch der Landwirt, der gemeinsam mit den Verarbeitungsstufen ein echtes Interesse an Entwicklung für alle Partner haben muss. Und gemeinsam müssen wir Verbrauchern unsere gemeinsame Leistung verdeutlichen. Mehr Kommunikation, mehr Mut zur Auseinandersetzung, mehr Bekenntnis zu gutem Fleisch und guter Wurst. Der Sommer hat ja gezeigt, dass Deutschland wieder grillt und gerne zu Wurst und Fleischerzeugnissen greift. Das stimmt uns sehr, sehr positiv.

In welcher Weise könnte Ihnen der Staat behilflich sein?
In dem der Staat ehrlicher wird und nicht die Nahrungsmittelproduktion in Deutschland für andere Branchen die Klimabilanzen geraderücken muss. Aus meiner Sicht ist es schon absurd, dass der Fleischkonsum allenthalben kritisiert wird. In Deutschland erzeugtes Fleisch wird klimaschonend erzeugt, mit kurzen nachhaltigen Lieferketten. Das sucht weltweit seinesgleichen.

Wie denken Sie über den Borchert-Plan?
Das ist eine absolut vertane Chance. Die Borchert-Kommission hat einen nie da gewesenen Konsens aller Interessengruppe erarbeitet. Doch es fehlt trotzdem weiter an politischen Leitplanken. Wir geben hunderte Milliarden für alles Mögliche aus, aber für die heimische Lebensmittelproduktion fehlt das Geld? Das ist absurd.

Sehen Sie die derzeitige Landwirtschaft in einem Zielkonflikt?
Ich sehe und höre persönlich, dass Landwirte innovativ auf gesellschaftlich/politische Forderungen eingehen und Lösungen anbieten. Der Konflikt ist oben bereits beschrieben: Es wird viel gefordert und eigentlich gar nicht unterstützt. Wer zu Weltmarktpreisen produzieren soll, wird das nicht mit Standards eines Bullerbü-Paradies hinbekommen. Da ist es doch dann tragisch, wenn an den Festbüffets südamerikanisches Rinderfilet gereicht wird.

Gibt es denn bei Ihnen noch genügend Fachkräfte? Wie lösen Sie das Problem?
Nein, es gibt nicht genügend Fachkräfte und handwerkliche Verarbeitungsindustrien haben es besonders schwer. Feuchtigkeit, Kälte, höchste Hygienemaßnahmen – das alles sind keine Highlights im Stellenprofil. Ganz ehrlich: Ich glaube wir müssen im Bereich der Menschen aus aller Welt eine Rekrutierungsgruppe identifizieren, die unsere Branche vom Mangel entlastet. Osteuropa wird auf lange Sicht als Rekrutierungsmarkt wegfallen. So traurig es ist: da wo möglich, ersetzt Maschine den Menschen.

Machen Sie sich Sorgen über die Zukunft von Fleisch?
Nein, auf keinen Fall. Ich brenne für Tierhaltung in einer landwirtschaftlichen Kreislaufwirtschaft und all die fantastischen Rezepturen, Geschmäcker und Zubereitungsarten. Deutschland ist im Ausland bekannt für gute Wurst und wird das auch bleiben. Und wer weiß: bald wird vielleicht das Pflanzenprotein knapp und führt zu Produktionsengpässen in globalen Märkten oder die Medien finden heraus, das Cultured Meat die Eingangstür für Abhängigkeitspolitik mit Patenten sein kann.

Wie ist der Stand bei den Tierwohlprogrammen? Leiden Sie unter der Krise?
Seit dem Einsetzen des Inflationsdrucks scheinen alle Fortschrittsgedanken in Richtung Tierwohl obsolet. Wir können unsere etablierten Regionalprogramme nach wie vor ausspielen, der Kostendruck ist allerdings auch hier bedenklich und wir spüren die Konsumentenzurückhaltung bei deutlich höheren Preisen. Die Auswirkungen der staatlichen, verpflichtenden Haltungskennzeichnung erwarten wir alle mit Spannung.

Sie haben bei der Rewe-Ost einen 5-Jahres-Vertrag für regionales Schweinefleisch abgeschlossen? Bleibt es dabei und können sich hier andere Händler noch andocken?
Das mit Rewe vertrauensvoll und gemeinsam aufgebaute Programm besitzt im Bereich Schweinefleisch eine gewisse Exklusivität. Dennoch müssen wir als Eberswalder weiter am Ball bleiben gerade auch in Haltungsstufen in Richtung Frischluftstall und Auslaufställen. Dazu kommt, dass mit dem EU-notifizierten Programm „Gesicherte Qualität aus Brandenburg“ eine starke Ausrichtung der Kombination 5-mal Brandenburg bereitsteht.

Wie wichtig ist für sie Fairness in der Kette?
Extrem wichtig, denn ohne das Verständnis für die Bedingungen der Partner in der Lieferkette kann Nachhaltigkeit nicht entstehen. Gnadenloser Wettbewerb wird eher dazu führen, dass regionale Programme verschwinden. Wir glauben aber auch, dass der Druck aus den Green-Deal-Notwendigkeiten unseren Standort stärken kann.

Welche Nachhaltigkeitsstrategien hat Ihr Unternehmen?
Unsere wichtigste Strategie muss es sein, mit einem gesunden Betriebsergebnis in der Lage zu sein, gute Löhne und Gehälter zu bezahlen, Rücklagen für Investitionen in klimaschonende Technologien und fairer Partner für landwirtschaftliche Produzenten in unserer Region zu sein. Gelingt das, so können die meisten Anforderungen auch zukünftig erreicht werden.

Wie lassen sich nachhaltige Produkte trotz wachsenden Preissensibilität der Verbraucher verkaufen? Ist der Preis jetzt wichtiger?
Die einfachste Frage, die Sie bisher gestellt haben. Der Preis wird zum wichtigsten Indikator hochstilisiert und verdrängt in großen Teilen die wichtige Frage zu enkeltauglicher Wirtschaftsweise. Politik muss den Rahmen schaffen, damit angemessene Gewinne auch bei uns Produzenten landen.

Haben Sie einen Wunsch an den Handel?
Das Miteinander mit unseren Handelspartnern ist kein Wunschkonzert, sondern eine Partnerschaft unter Marktbedingungen. Was mir manchmal fehlt, ist der Spirit etwas Neues anzugehen und durchzusetzen. Das waren unsere Vorgängergenrationen mutiger. Heute wird mir zu viel verteidigt, statt in die Offensive zu gehen. Der Wettbewerb unter den Handelsunternehmen ist immens hoch. Da kommt man schnell zwischen oder unter die Räder. Sie wissen, dass wir seit fast 15 Jahren Sponsorpartner beim 1.FC Union Berlin sind. Dieser Spirit ist es, der uns bewegt.

Sollten Rabattschlachten des Handels in Zukunft außen vor bleiben?
Ich bin kein Träumer. Aber gegenseitiges Verständnis, dass die letzten 3 Krisenjahre in unserer Branche nur gemeinsam zu bewältigen sind, ist wichtig. Immerhin geht es hier am Standort auch um 550 Arbeitsplätze in einer ländlichen Region im Bundesland Brandenburg.

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