Was sind die größten Herausforderungen für Sie?
Metten: Es gibt aktuell viele Herausforderungen, da sind wir uns in unserer Branche alle einig. Im Moment ist es eine sehr spezielle und historisch nahezu einmalige Situation – für jedes Unternehmen der Fleisch- und Wurstbranche. Zuerst Corona: Hier sind wir sehr glücklich, dass wir so gut durch diese schwierige Zeit gekommen sind. Der Schlüssel dazu war ein Bündel von zahlreichen Sicherheitsmaßnahmen, die natürlich Geld gekostet haben. Aber unsere Branche war zum Glück nicht durch Kurzarbeit geprägt, ganz im Gegenteil, der gesamten Mannschaft wurde viel Einsatz abverlangt. Dann kam die ASP in Deutschland an. Dies hat sich durch den starken Preisverfall des Rohstoffs vor allem auf die landwirtschaftliche Seite ausgewirkt. Und jetzt fordert der Krieg in der Ukraine mit all seinen Auswirkungen jeden von uns aufs Neue.
Corona hatte schon die Lieferketten durcheinandergeworfen. Aber jetzt hat sich die Lage auf vielen Märkten nochmals deutlich verschärft. Als mittelständisches Familienunternehmen möchten wir eigentlich Wurst und Schinken verkaufen, müssen aber aktuell vorher immer erst schauen, ob wir überhaupt die nötigen Verpackungsmittel vorrätig haben bzw. rechtzeitig geliefert bekommen.
Die Logistik ist seit vielen Wochen ebenfalls ein großes Problem. Da kann einem schon der Spaß an der Arbeit vergehen – vor allem, wenn wir mit viel Herzblut bereits in der vierten Generation in der Branche sind.
Verdev: Wir haben acht Standorte und haben das Problem, dass die Probleme an allen Standorten auftreten. Hier müssen wir ganzheitlich agieren und strukturiert vorgehen. Dennoch lässt sich vieles nicht von heute auf morgen lösen.
Sehen Sie für Ihr Geschäft trotz Krise auch eine Chance?
Metten: Wir können als positive Erfahrung der letzten beiden Jahre auf jeden Fall mitnehmen, dass wir uns in Krisensituationen auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren Handelspartnern und Lieferanten verlassen können. Alle ziehen an einem Strang, um gemeinsam die Lebensmittelversorgung sicherzustellen.
Die Kosten steigen – wie ist mit der Durchsetzung von höheren Preisen im Handel?
Metten: Obwohl sich alle Beteiligten der für viele Unternehmen bedrohlichen Situation bewusst sind, ist es sehr schwierig, die höheren Preise am Markt durchzusetzen. Wir haben heute auf dem Kongress sehr viel über die Schweine-Preise gesprochen, gleichfalls sind die Preise für Rinderfleisch stark gestiegen und die Ware ist nur knapp verfügbar. Zudem ist Geflügelfleisch ebenfalls knapp.
Es gibt viele neue Bestimmungen für Haltungsformen, Herkunftskennzeichnung sowie im Bereich Nachhaltigkeit. Diese umzusetzen kostet Zeit und Geld. Zudem sind die Kosten in allen Bereichen des Unternehmens gestiegen. In diesem Ausmaß hat es Kostensteigerungen zumindest in unserer Branche so noch nicht gegeben.
Wir als Familienunternehmen haben uns schon viele Jahre sehr breit aufgestellt und sind im LEH, Discount und im Fachhandel vertreten. Außerdem verarbeiten wir mit Schwein, Rind und Geflügel drei Tierarten, was uns in den letzten Jahren immer geholfen hat, starke Schwankungen auf einem Rohstoffmarkt durch Vorteile auf dem anderen Markt auszugleichen. Aktuell ist die Kostensituation jedoch sehr bedrohlich, da alles gleichzeitig teurer wird. Die Gespräche mit unseren Handelskunden sind – im Nachhinein betrachtet – schnell über die Bühne gegangen. Ein Hauptgrund war sicherlich, dass sich jeder bewusst war, wenn die Versorgungssicherheit gegeben sein muss, dann muss auch zeitnah mehr bezahlt werden.
Es waren aber offen gesagt schon sehr schwierige Gespräche und alle Beteiligten standen unter hohem Druck. Ich bin jetzt 13 Jahre im Unternehmen tätig, aber selbst die Generation vor mir hat solch eine Situation noch nicht erlebt. Wir müssen deshalb auch ganz anders handeln; die alten Handelsrituale zu verfolgen und die Dinge weit weg zu schieben, das bringt uns im Moment nicht weiter.
Verdev: Ich möchte mich beim Handel bedanken, denn es ist uns relativ schnell gelungen, uns alle an einen Tisch zu setzen. Das hat diesmal hervorragend geklappt und wir sind froh, dass wir uns auf unsere Partner im Handel verlassen können.
Herr Verdev, Sie arbeiten mit Hochdruck an Veggie-Produkten: Spielt Fleisch in fünf Jahren überhaupt noch eine Rolle?
Verdev: Ich möchte gar nicht so lange vorrauschauen – drei Jahre sind ja heute Zeit auch schon ein langer Zeitraum. Veggie kommt, das ist klar – bisher spielt Veggie aber mit einem Anteil von 2 Prozent in Deutschland noch eine überschaubare Rolle – aber das Segment wird weiter dynamisch wachsen. Wir arbeiteten mit Hochdruck daran, vegetarische Wurstalternativen auf den Markt zu bringen. Wir wollen mittelfristig in dem wachstumsstarken Segment für Veggie-Wurst eine ähnlich starke Position erreichen wie jetzt schon mit konventioneller Wurst. Vor knapp einem Jahr haben wir bereits ein Tochterunternehmen namens The Plantly Butchers gegründet. Um die dort entwickelte Marke Billie Green entsteht derzeit ein neues, eigenständiges Marketingkonzept. Mit diesem Schritt wollen wir von dem anhaltend starken Wachstum in dem Segment profitieren, das immer mehr Hersteller lockt. Bisher stellen wir noch keine vegetarischen Wurstalternativen her. Wir wissen, dass wir nicht die Ersten sind, aber wir sind immer für die ein oder andere Überraschung gut.
Metten: Wir beobachten den Markt. Für uns ist es nach wie vor so, dass das echte Fleisch, die echte Wurst in der Mitte der Gesellschaft steht. Es gibt kein Produkt, das eine höhere Käuferquote hat als Fleisch- und Wurstwaren. Wir rennen auch nicht jedem Trend hinterher. Als Mittelständler mit einem Standort im Sauerland können wir das räumlich auch nicht. Als kleiner Betrieb setzen wir auf handwerkliche Spezialitäten und Nischenprodukte – und in Zukunft auch auf hybride Produkte. Hier sind sich die Marktforscher noch nicht einig, ob es der nächste große Trend wird oder nicht. Aber wirklich ganz neu sind hybride Produkte auch nicht. Wir haben zum Beispiel schon seit vielen Jahren eine Bratwurst mit Spinat und Käse und dadurch reduziertem Fleischanteil im Sortiment.
Herr Metten, Sie haben jetzt eine Bio-Bockwurst auf den Markt gebracht. Wie schwer ist als Mittelständler das Geld dafür aufzutreiben?
Metten: Bio ist kein neues Thema. Wir haben allerdings gewartet, bis der Markt sich entwickelt hat. Vor einigen Jahren haben wir bewusst zuerst auf das Thema Regionalität gesetzt. Am Anfang waren hier alle sehr euphorisch und von heute aus betrachtet hätten wir hier mehr erwartet. Es gibt allerdings auch Handelskunden, die sehr erfolgreich auf das Thema Regionalität setzen.
In den Biomarkt steigen wir nun bewusst mir unserer Marke „Dicke Sauerländer“ ein und platzieren sowohl eine Bockwurst im Konservenregal als auch eine Bratwurst im Frischebereich. Hier vermarkten wir zunächst regional, denn Bio ist ein sehr schwieriges Feld und die Verfügbarkeit des Rohstoffs ist begrenzt. Deswegen starten wir zunächst in NRW im ausgesuchten Einzelhandel. Die Grillsaison ist im vollen Gange – hier erhoffen wir uns positive Effekte. Jeder von uns ist gespannt, wie der Verbraucher die zahlreichen Preiserhöhungen, vor allem auch im konventionellen Bereich, annimmt. Wir hoffen, dass der Verbraucher auch zukünftig weiter auf Qualität setzt.
Herr Verdev, Sie haben gerade den Handel gelobt. Führt das jetzt zu einer neuen und besseren Partnerschaft? Oder ist das nur zeitweilig?
Verdev: Ich bin jetzt schon 40 Jahre in der Branche tätig. Natürlich gibt es Reibereien, wenn mehrere am Markt tätig sind. ich hoffe aber, dass die Konfrontationen der Vergangenheit vorbei sind. Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang miteinander und untereinander gibt.
Metten: Die Hersteller müssen mit dem Handel eine enge Partnerschaft pflegen – dies gilt natürlich auch umgekehrt, besonders in der heutigen Zeit mit der knappen Rohstoffverfügbarkeit auf vielen Märkten. In der Corona-Zeit haben wir gesehen, dass die Zusammenarbeit hervorragend funktionieren kann und wir sind nach wie vor auf einem sehr guten, partnerschaftlichen Weg.
Wo können Sie noch wachsen?
Verdev: TFB ist auf Wachstum ausgerichtet national und insbesondere international. Das muss nicht zwingend organisch sein. Wir werden die Chancen nutzen, die uns geboten werden. Wir erzielen mehr als 35 Prozent unseres Umsatzes international und zahlreiche Märkte in Europa wachsen. Die Kunden in West und Osteuropa legen Wert auf deutsche Qualität. Wir profitieren davon, dass viele Märkte keine Innovationskraft haben. Hier waren wir in der Vergangenheit gut können aber noch deutlich besser werden.
Werden die Verbraucher noch preissensibler werden?
Verdev: Die Menschen sind durch den Krieg verunsichert, viele spüren, dass ihr frei verfügbares Einkommen schrumpft, und das hat deutliche Auswirkungen auf ihr Einkaufsverhalten. Die Verbraucher werden bewusster einkaufen und vermehrt auf Handelsmarken und auf Sonderangebote zugreifen.
Was werden die entscheidenden Entwicklungen in den nächsten 3 bis 5 Jahren sein?
Metten: Im Moment ist es wirklich schwierig, weit nach vorn zu schauen. Unternehmertun hat immer etwas mit Risiko zu tun. Wir gehen gern ins Risiko und investieren gern in die Zukunft, wenn der Return on Invest realistisch erscheint. Im Moment planen wir bis zum Jahr 2025. Ich denke, handwerkliche Produkte und Spezialitäten werden trotz des zunehmenden Preisfokus bei den Verbrauchern, die sich das leisten können, ein Trend sein.
Verdev: Die Fusion bietet uns viele Vorteile: So haben wir die einmalige Chance, uns alle Prozesse anzuschauen und das Beste aus beiden Welten – Reinert und Kemper - zusammenzuführen, um uns schlank und effizient aufzustellen. Ein neues Supplychain-Management sowie Automatisierung und Spezialisierung der Produktion sind weitere Schwerpunkte. Wir müssen uns als Arbeitgeber so attraktiv gestalten, dass wir Anziehungspunkt für potentielle Bewerber sind. Darüber hinaus sind wir gesprächsbereit für potenzielle Partner, die das gleiche Technologieverständnis wie wir haben und unser Sortiment und die Kundenstruktur sinnvoll ergänzen. Dennoch sollte die Teilnehmer der Branche mehr miteinander sprechen und auch wir sollten laut und hörbar über unsere Themen sprechen.
Wie denken Sie über Massentierhaltung in fünf Jahren?
Metten: Die wird wohl Geschichte sein. Es wird noch große Ställe geben, aber anders als heute und mit mehr Tierwohlaspekten. Tierwohl muss dann aber auch vom Verbraucher bezahlt werden. Wir sind mit der Arbeit der Initiative Tierwohl (ITW) sehr zufrieden und sind gespannt, ob die Politik bezüglich der geplanten staatlichen Haltungskennzeichnung endlich mal etwas vorlegt. Aus unserer Sicht brauchen wir kein neues staatliches Siegel.