Tierwohl An einem Strang ziehen

Für Friedrich-Otto Ripke (Foto) ist Tierwohl von höchster Priorität. Dasselbe fordert der Präsident des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft von der Politik.

Dienstag, 24. Mai 2022 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild An einem Strang ziehen
Bildquelle: ZDG

Für Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), hat das Thema Tierwohl weiterhin hohe Priorität. „Viele deutsche Verbraucher entwickeln ein starkes Mitgefühl mit dem ukrainischen Volk. Ich denke aber nicht, dass sie deshalb hier in Deutschland den Fortschritt in Richtung Tierwohl aufgeben.“ Er ergänzt: „Wir werden allerdings durch den Krieg eine gewisse Zeitenwende haben. Der ZDG kann und will zwar nicht die ganze Agrarpolitik zurückschrauben, wir müssen uns aber auf die realen Rahmenbedingungen und Prioritäten konzentrieren.“

Tierhaltern geht es an die Existenz
Die aktuellen Probleme in der Futter- und Energieversorgung sieht Ripke als existenzgefährdend für viele deutsche Tierhalter an und fordert klare Entscheidungen der Politik für die sichere Futter- und Gasversorgung der Land- und Ernährungswirtschaft. „Wir sind kritische Infrastruktur und müssen Lebensmittel herstellen können“, so Ripke. Eine Erhöhung der Erzeugerpreise des Handels und aller Großverbraucher muss laut Ripke ergänzend hinzukommen. „Andere Vorgaben und Auflagen müssen den gegebenen Realitäten entsprechend dagegen ausgesetzt werden“, so Ripke. In der Tierwohldebatte und der Umsetzung der seiner Meinung nach nach wie vor richtigen Empfehlungen der Borchert-Kommission sieht der ZDG-Präsident wie bei der alten auch bei der neuen Bundesregierung ein Entscheidungsdefizit. „Der ZDG hatte mit der neuen Bundesregierung darüber gesprochen, und es wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Empfehlungen der Borchert-Kommission Grundlage der politischen Entscheidungen werden sollen. Wir haben deutlich gemacht, dass die Zeit drängt“, sagt Ripke.

Viele Betriebe seien laut Ripke unschlüssig, ob sie weitermachen sollen. „Sie brauchen Planungssicherheit, und diese kann nur entstehen, wenn sie einen langfristigen, nach Möglichkeit 20-jährigen Vertrag mit einer staatlichen Stelle über Haltungskriterien und die dazugehörige Mehrkostenerstattung bekommen können. Die Bundesregierung hatte dies nach meinem Eindruck verstanden und Hoffnung gemacht, dass die politischen Weichen zeitnah entsprechend gestellt werden“, so Ripke.

Fokus neues Tierwohlkennzeichen
Nun kam laut Ripke die Überraschung, dass nicht das in der Borchert-Kommission entwickelte Tierwohl-Kennzeichensystem mit den dazugehörigen Tierwohlkriterien, sondern ein reines Haltungskennzeichen ähnlich dem des Vereins für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (KAT) – das sogenannte KAT-Modell für Eier – kommen soll. Die Stufe 0 wäre demnach Biohaltung, Stufe 1 Freilandhaltung, Stufe 2 Haltung mit Außenklimareiz und Stufe 3 Stallhaltung. Das löst laut Ripke einen neuen Diskussionsbedarf aus. „Vor allem müssen wir über die Stufe 3 sprechen, die, wenn sie so pauschal bliebe, alle bereits erfolgten Schritte in Richtung mehr Tierwohl im Stall ad absurdum führen würde“, sagt Ripke.

Das bei Verbrauchern inzwischen sehr bekannte vierstufige Initiative-Tierwohl-Label (ITW), bei dem in der Stufe 2 „Stallhaltung plus“ bereits erhebliche Besatzdichtenreduzierungen im Vergleich zum Gesetzesstandard und zum Beispiel Beschäftigungsmaterial und intensivere Tierbetreuung etabliert sind, wäre laut Ripke inhaltlich pauschal in der Stufe 3 „Stallhaltung“ für die Lebensmittelkäufer nicht mehr als in Bezug auf Tierwohl höherwertig zu erkennen. „Dieser beachtliche und realisierte Fortschritt würde einfach unter- beziehungsweise verloren gehen. Das wird so nicht funktionieren, und ich hoffe, dass wir dazu mit der Bundesregierung noch eine bessere Lösung diskutieren können“, sagt Ripke.

Das gilt nach Ripkes Überzeugung auch für die Finanzierung einer Tierwohlprämie für die Tierhalter. Hier bevorzugt der ZDG-Präsident das Modell einer Tierwohlabgabe. „Mit Bagatellregeln kann und muss man dabei den bürokratischen Aufwand eingrenzen. Das Geld sollte in einen Fonds fließen, den die Wirtschaft selbst verwalten kann und aus dem die Tierwohlprämie an die Tierhalter nach beanstandungsfreien Haltungskontrollen ausgezahlt wird.“ Ripke ergänzt: „Wir müssen umgehend anfangen, andernfalls gehen uns immer mehr heimische Tierhaltungsbetriebe verloren, und das gefährdet unsere Ernährungssicherung in Deutschland.“ „Eine EU-weite Kennzeichnung wäre das Optimum, was wir uns alle wünschen“, ergänzt Ripke und fordert mehr Tempo. „Wir brauchen die Herkunftskennzeichnung für den Tierwohlfortschritt national – sofort und zusammen mit der Haltungs- und Tierwohlkennzeichnung.“

Herkunft muss belegt sein
National kurzfristig beginnen sei laut Ripke die Devise, so wie es Frankreich und Österreich schon vormachen. Anschließend könne man Europa ins Boot holen. Der Informationsgehalt der Herkunftskennzeichnung müsse so ausfallen, dass sie möglichst aussagekräftig ist. „Sie muss so prominent platziert sein, dass der Verbraucher sie sofort sehen kann. Vor allem möchte der ZDG die Tierhaltungskennzeichnung mit der Herkunftskennzeichnung verbinden“, sagt Ripke. Unter dem geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichen müssen laut Ripke z. B. auch die fünf Ds – in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet – stehen. „Das ist bei uns im Geflügelbereich vom Brutei bis zur Verarbeitung weitestgehend bereits so“, sagt Verbandschef Friedrich-Otto Ripke.

Klare Botschaft an den LEH
Der ZDG-Präsident will auch eine Botschaft an den LEH senden. „Wir sind jetzt aktuell auf eine große Solidarität in der Wertschöpfungskette angewiesen. Wenn die Futter- und die Energiekosten weiter so steigen, dann können wir mit den vereinbarten Erzeugerpreisen nicht mehr über das laufende Jahr kommen. Dann werden Betriebe aufgeben müssen.“ Gespräche der Geflügel-Branche mit dem Lebensmittelhandel stimmen Ripke hoffnungsvoll. „Ich sage offen, dass wir mit der Herkunftskennzeichnung unsere Austauschbarkeit in Richtung ausländischer Billigangebote minimieren wollen. Das ist für uns ein ganz wichtiger Effekt, den sich 78 Prozent unserer Verbraucher laut aktueller repräsentativer Umfrage des ZDG auch wünschen.“ Er ergänzt: „Ich denke, Tierhalter, Handel und Verbraucher sollten hier deshalb an einem Strang ziehen.“

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