Zweinutzungshühner Kükentöten ist tabu

Das Gesetz hat gegriffen: Seit dem 1. Januar 2022 darf kein Eintagsküken mehr wegen seines Geschlechts getötet werden. Die Industrie kritisiert, dass das Verbot Wettbewerbsnachteile für die deutsche Geflügelwirtschaft mit sich bringe. Für die Halter von Zweinutzungshühnern ändert sich dagegen nichts.

Freitag, 11. Februar 2022 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Kükentöten ist tabu
Bildquelle: Timo Jaworr

Auf den bäuerlichen Betrieben war es früher so, dass die Hennen für die Eierproduktion und die männlichen Tiere für das Hähnchenfleisch gehalten wurden. Doch seit Mitte des letzten Jahrhunderts sind die Hühner auf zwei unterschiedliche Zwecke hin gezüchtet worden: Heute gibt es die Rassen der Hochleistungs-Legehennen und die Rassen der Masthühner. Legehennen können heute bis zu 300 Eier im Jahr ‧legen. Die männlichen Küken der Legehühnerrassen legen natürlich keine Eier, und ihre Mast lohnt sich wirtschaftlich gesehen nicht. Denn im Vergleich zu den Masthühnerrassen setzen diese Tiere nur sehr langsam Fleisch an, gleichen geschmacklich und vom Aussehen eher einem Suppenhuhn und sind daher nur als Verarbeitungsfleisch oder Tierfutter zu gebrauchen. Daher wurden die männlichen Küken bisher in der Regel direkt nach dem Schlüpfen getötet. In Deutschland wurden jedes Jahr rund 45 Millionen männliche Küken auf diese Weise getötet. Das betraf nur die männlichen Küken der Legerassen. Bei den Masthühnern wurden keine Küken getötet, da hier beide Geschlechter gemästet werden. Doch in Deutschland gilt jetzt das Tötungsverbot für männliche Eintagsküken. Entweder werden nun in Deutschland die männlichen Küken der Legehühnerrassen aufgezogen oder das Geschlecht der Embryonen wird in den Brütereien in Deutschland bereits im Brutei bestimmt und die Eier mit männlichen Embryonen werden aussortiert und nicht ausgebrütet.

Wie läuft es technisch ab?
a) Beim endokrinologischen Verfahren werden die Eier etwa neun Tage lang bebrütet. Dann wird von jedem Ei etwas Flüssigkeit gewonnen, ohne dass das Ei-Innere berührt wird. An diesen Proben wird das Geschlecht mit einem biotechnologischen Nachweisverfahren innerhalb kurzer Zeit bestimmt.

b) Beim spektroskopischen Verfahren werden die Bruteier durchleuchtet und das Geschlecht der Embryonen durch eine Analyse des reflektierten Lichts bestimmt.
Solche Verfahren sind bereits im Einsatz, allerdings nur in sehr wenigen Brütereien. Aber alle bisherigen Verfahren stehen derzeit noch vor einem Problem: Ab 2024 ist die Geschlechtsbestimmung nicht mehr an Tag acht oder neun, sondern nur noch spätestens am sechsten Brut-Tag erlaubt. So soll sicher ausgeschlossen werden, dass der Hühnerembryo zum Zeitpunkt des Verfahrens bereits ein Schmerzempfinden entwickelt hat. Keines der derzeitigen Verfahren ist bisher dazu in der Lage.

Unter Zeitdruck
Dieser Zeitplan setzt die Geflügelbranche stark unter Druck, ihre Praktiken entsprechend schnell umzustellen. Henner Schönecke, Legehennenhalter, Unternehmer und Vorsitzender des Bundesverbands Ei e. V., kritisiert die Ziele beim Ausstieg aus dem Kükentöten als „zu ambitiös und zu überstürzt“. Beim Verband befürchtet man ein Sterben der Betriebe, die in Deutschland Legehennen ausbrüten. „Es investiert doch jetzt keine Brüterei Millionenbeträge in ein System, das ab 2024 nicht mehr verwendet werden darf. Die zweite Gesetzesstufe sollte daher ausgesetzt werden.“

Die Quersubventionierung
Wer Eier konsumiert, hat schon seit einigen Jahren Alternativen, um das frühe Töten zu verhindern. Das Prinzip ist bei allen gleich: Der Eier-Preis beinhaltet einen Aufschlag, mit dem die teure Mast der Lege‧hennenbrüder quersubventioniert wird. Durch den Zuschuss aus dem Eier-Verkauf bleibt das Fleisch der Hähne bezahlbar.

Mehrere Initiativen in Deutschland versuchen, Lösungen für das Kükentöten zu finden, die meisten davon im Bio-Bereich. Einige, wie zum Beispiel „Bruderhahn“, verzichten auf die Praxis der Kükentötung, ziehen die Hähne mit auf und wollen so ‧zeigen, dass Legehennenzucht ohne Kükentötung möglich ist. Andere versuchen, Hühnerrassen zu finden, die sowohl Eier als auch Fleisch liefern können.

Ein möglicher Ansatz: Die Zweinutzungsrasse
Einer dieser Ansätze ist die Haltung von sogenannten Zweinutzungsrassen. Die männlichen Hühner werden gemästet, und die Hennen legen Eier. Weder im Fleischansatz noch in der Legeleistung erzielen sie Höchstleistungen – in der Regel liefern sie ein Drittel weniger Eier und Fleisch. Doch dafür dürfen beide Geschlechter leben. Fabian Häde, einer von drei Geschäftsführern des nach Naturland-Richtlinien zertifizierten Mustergeflügelhofs Leonhard Häde aus dem hessischen Alheim-Heinebach, setzt schon seit Jahren in einem Projekt auf die Zweinutzungshühner. Rund 36.000 Bio-Hühner hält der Mustergeflügelhof in Ställen mit überdachter Außenterrasse und großzügigen Außengehegen und in immer mehr Ställen Zweinutzungstiere. Die Tiere, die der Geflügelhof als frisch geschlüpfte Küken von einer Bio-Brüterei erhalten hat, seien Gebrauchskreuzungen der Rassen White Rock und Rengolshäuser Bresse. In den ersten vier Wochen werden Hähne und Hennen gemeinsam aufgezogen. Dann werden die Hähne in einen Stall mit Grünauslauf umgesetzt, da diese Tiere dann gemäß Öko-Richtlinien ins Freie müssen. Nach etwa 100 Tagen sind sie schlachtreif – rechtzeitig, bevor der Platz dort für ihre legereifen Schwestern benötigt wird. Mit Legeleistungen von etwa 230 Eiern pro Jahr und einer Mastdauer von bis zu 17 Wochen bis zum gewünschten Schlachtgewicht von 2,5–2,7 Kilogramm Lebendgewicht liegen die Leistungen weit unter denen der Hybridrassen. „Verglichen mit den heutigen Turbo-Legehennen und -Masthähnchen sind diese Zweinutzungshühner nur wirtschaftlich, wenn diese auch mit ökologischem und regionalem Futter gefüttert werden, welches nicht zu sehr in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung steht und somit auch günstiger ist“, berichtet Häde. Er verweist darauf, dass die Zucht von Zweinutzungstieren ganz bewusst in eine ganzheitlichere Lösung steuert, als nur das vermeintliche Problem des Kükentötens zu lösen: „Wir wollen ja gerade im Ökolandbau weg von der Hochleistung. Denn die hat ihren Preis, den in der Regel das Tier zahlt. Beim Zweinutzungshuhn ist das Tierwohl dagegen von vornherein eingeschlossen.“ Dennoch ist klar, dass Betriebe mit Zweinutzungshühnern höhere Kosten haben und deshalb auf höhere Preise angewiesen sind. Trotz dieser im Vergleich zu konventioneller Ware sehr hohen Preise gibt es einen wachsenden Markt für Eier und Fleisch aus der Haltung von Zweinutzungsrassen. Große Handelsketten wie Edeka, Rewe und Tegut gehören inzwischen zu den regelmäßigen Abnehmern vieler Bio-Betriebe. Insgesamt hat sich nach Einschätzung von Häde die Zweinutzungshaltung im Bereich Verbands-Bio als Alternative zum Kükentöten etabliert.

So macht es der Handel
Die Rewe Group gilt als Vorreiter beim Thema „ohne Kükentöten“ (OKT). „Die Rewe Group hat bis Ende vergangenen Jahres das gesamte Frischei-Eigenmarkensortiment bei Rewe und Penny so umgestellt, dass keine männlichen Küken der Legehennenrassen mehr getötet werden. Das schließt auch die Eier der Legehennen ein, die von Legehennenbetrieben aus dem Ausland bezogen werden“, heißt es dazu aus Köln. ‧Neben der Geschlechtsbestimmung im Ei mittels Seleggt-Verfahren ‧fokussiert sich die Rewe Group auf die etablierten Bruderhahn-Projekte („Spitz & Bube“ und „HerzBube“) und damit auf das Verfahren der Junghahn-Aufzucht. Eier von Respeggt-Legehennen gibt es laut Pressestelle bundesweit in allen rund 5.500 Rewe- und Penny-Märkten zu kaufen. Aus dem Fleisch der „Spitz & Bube“-Hennen und ihrer Brüder wird das „Rewe Beste Wahl Hühnerfrikassee“ hergestellt. Im Bio-Bereich setzt die Rewe Group grundsätzlich auf die Bruderhahn-Aufzucht.

Die Edeka-Gruppe und der Netto Marken-Discount haben bereits im Frühjahr 2021 die „Initiative Le‧benswert“ gestartet. „Wesentliche Bausteine dafür sind die Geschlechterfrüherkennung, die Junghahn-Aufzucht, die Förderung von Zweinutzungsrassen sowie der Ausbau unseres Angebots veganer Ei-Alternativen“, teilt die Pressestelle von Edeka auf Anfrage mit. „Auf allen Ebenen des Edeka-Verbunds unterstützen wir schon seit Jahren Projekte, die sich der Aufzucht männlicher Küken und der Vermarktung ihres Fleisches widmen“, so die Verantwort‧lichen der Pressestelle. Darunter etwa die „Huhn & Hahn Initiative“ im Südwesten Deutschlands. Ebenso ist die Edeka Partner von Fürstenhof, die mit ihrer Marke „Haehnlein“ entsprechende Produkte vermarktet. In der Regel finanziert ein Preisaufschlag auf die vermarkteten frischen Eier die eingesetzten Methoden zur Vermeidung von Kükentöten.

Bereits 2020 haben die beiden Discounter Aldi Süd und Nord damit begonnen, ihr Schaleneier-Sortiment auf „ohne Kükentöten“ umzustellen. Alle Schaleneier im Aldi-Sortiment sind seit dem 1. Januar frei von Kükentöten. Dafür steht auch laut Pressestelle das Label des KAT (Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen).

Die Pressestelle von Kaufland teilt mit, dass Kaufland bereits heute in seinem gesamten Eigenmarkensortiment für Eier aus Bio-, Freiland- und Bodenhaltung ausschließlich Eier ohne Kükentöten anbietet. „Für erste Eigenmarkenartikel verwenden wir seit geraumer Zeit ebenfalls Eier ohne Kükentöten und werden dieses Angebot sukzessive ausbauen.“ Bereits seit 2016 bietet Kaufland Eier aus dem Bruderhahn-Konzept oder aus den Initiativen „Huhn und Hahn“ beziehungsweise „Brüderchen und Schwesterchen“ in seinen Filialen an.

Die Pressestelle von Lidl informierte, dass ab sofort das gesamte Schaleneier-Sortiment in allen über 3.200 Lidl-Filialen aus einer Produktion ohne Kükentöten stammt. Dafür akzeptiert das Unternehmen alle im Sinne des Tierwohls anerkannten Alternativen wie die Hahn-Aufzucht und setzt sich für Methoden zur frühen Bestimmung des Geschlechts der Embryonen ein. Bereits im März 2021 hat Lidl mit den Bio-Eiern im Sechserpack einen kompletten Teil des Eier-Sortiments national auf die Hahn-Aufzucht umgestellt, im Herbst 2021 waren schon 80 Prozent der Freiland- und Bio-Eier ohne Kükentöten.

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