Fleischkongress Podiumsdiskussion Neuorientierung kommt

Die Krise in der Schweinehaltung und mehr Fairness in der Kette – diese Themen wurden in der Podiumsdiskussion des 29. Fleischkongresses der Lebensmittel Praxis erörtert, von der wir auszugsweise berichten.

Freitag, 26. November 2021 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Neuorientierung kommt
Bildquelle: Peter Eilers

Bei der Diskussion sprachen: Hubertus Beringmeier (Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands), Sarah Dhem (Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Fleischwarenindustrie), Andreas Pöschel (Geschäftsführer Edeka Südwest Fleisch) und Ophelia Nick (Mitglied des Deutschen Bundestags Bündnis 90/Die Grünen) über aktuelle Themen.

LP: Herr Beringmeier, wie denken Sie über eine Ausstiegsprämie für die Schweinehalter?
Beringmeier:
Das ist nicht richtig. Wir sind auch weiter gegen eine pauschale Ausstiegsprämie, auch wenn die Lage in der deutschen Schweinehaltung derzeit Existenz bedrohend ist. Die von uns geforderte Umstrukturierungsprämie soll nur für solche Betriebe in Betracht kommen, die aus baurechtlichen Gründen keine Perspektive mehr haben. Wir wollen nicht den verpachteten oder den ohnehin leerstehenden Stall herauskaufen. Die Prämie sollen auch nicht diejenigen bekommen, die ohnehin aufhören wollen. Die Umstrukturierungsprämie bezieht sich nur auf die Tierhaltung und nicht den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb.

Welchen Zeitraum halten Sie für möglich, um zu den Haltungsstufen Stufen 3 bis 4 zu kommen?
Beringmeier:
Die von der Borchert-Kommission erarbeiteten Vorschläge zum Umbau derdeutschen Tierhaltung bietet den tierhaltenden Betrieben in Deutschland eine grundsätzliche Perspektive, denn sie weisen Wege zu den Themen Planungssicherheit, Genehmigungsfähigkeit und Finanzierung auf. Die Borchert Kommission hat eine Empfehlung herausgegeben: Ziel ist es, alle tierhaltenden Betriebe in Deutschland innerhalb von 20 Jahren auf ein deutlich höheres Tierwohlniveau zu bringen und „Tierwohl-Produkte“ zu den gleichen Kosten zu erzeugen wie herkömmliche Produkte. Wir können das nicht von heute auf morgen leisten.
Nick: Mir wäre es lieb, wenn wir spätestens in einem Jahr sagen könnten, wo wir hinwollen und um welche Vorgaben es geht.
Pöschel: Wir vermarktem doch schon seit langem Schweinefleisch aus Programmen mit Fokus auf Regionalität und Tierwohl. Alleine unsere Marke Hofglück gibt es seit 2015. Die Produkte sind mit zwei von zwei möglichen Sternen des Tierschutzlabels „Für Mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes gekennzeichnet. Sie tragen außerdem die höchste Stufe vier der Kennzeichnung „Haltungsform“, analog zu Bio-Fleisch. Wir haben gleich zum Start des Programms den Deutschen Tierschutzbund ins Boot geholt und zunächst mit 30 bis 40 Schweinen pro Woche angefangen. Heute sind wir wöchentlich bei 1.600 Schweinen. Unser Anspruch war, gleich mit der höchsten Stufe einzusteigen, die der Tierschutzbund zu vergeben hat. Damals mussten wir erst einmal Ferkelerzeuger und Mäster finden, die wegen der notwendigen Investitionen bereit waren, diesen Weg mit uns zu gehen. Die Marke entwickelt sich gut. Unsere Kunden fragen mittlerweile gezielt danach – auch viele Landwirte melden sich bei uns, um mit uns zusammen umzustellen. Schon jetzt verkaufen wir im Bereich Schweinefleisch rund 16 Prozent aus der Eigenzerlegung unter Haltungsstufe vier. Diesen Anteil wollen wir bis 2025 verdoppeln. Mittlerweile haben wir das Programm erweitert und bieten seit diesem Jahr auch Hofglück-Geflügelfleisch mit Haltungsstufe vier an.
Dhem: Seit 2010 beschäftigen wir uns in unserem Unternehmen mit der Haltungsstufe 4 und bieten sie mittlerweile auch an. Mittlerweile verarbeiten wir 120 Schweine die Woche. Wir würden gern weitere Landwirte aufnehmen, leider können unsere Erzeuger so schnell nicht umbauen.
Beringmeier: Das sind jetzt alles tolle Beispiele: Aber wenn ich das jetzt auf die Wochenschlachtungen von Schweinen in Deutschland runterreche – dass sind zur Zeit 850.000 Schweine, dann ist das nur ein sehr kleiner Anteil. Wenn der Landwirt das Geld in die Hand nimmt, dann braucht er die Perspektive für die nächsten 20 Jahre. Ich bin sehr gern Landwirt, aber am Ende des Tages muss das Einkommen stimmen, dann halten wir die Erzeuger auch in der Landwirtschaft.
Pöschel: Wir sind gerade dabei, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass den Erzeugern der Umstieg leichter fällt, u.a. durch bessere Planbarkeit. Die Umstellung bedeutet für sie, dass sie viele Maßnahmen umsetzen müssen – verbunden mit Investitionen und baulichen Veränderungen. Wenn der Landwirt für Hofglück bereit ist seinen Stall so umzubauen, dass er die Voraussetzungen für Haltungsstufe vier erfüllt, schließen wir mit ihm einen Vertrag über zehn Jahre.
Beringmeier: Ich würde den Schweinestall, den ich mit meinem Sohn betreibe, sofort umbauen lassen. Leider erlaubt es das Baurecht nicht. Die Schweinehaltung steht vor einem massiven Umbruch. Die Forderung nach mehr Tierwohl ist aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Die Schweinehalter sind bereit, dies umzusetzen. Aber dafür brauchen sie verlässliche, rechtliche Rahmenbedingungen, faire Erzeugerpreise und langfristige Finanzierungsmodelle.
Nick: Ich muss gestehen mit unserem Baurecht lässt sich nicht schnell planen. Sogar beim Vorzeige-Projekt Schweinestall der Zukunft auf Haus Düsse ist es noch nicht einmal zu einer Baugenehmigung gekommen, weil so viel noch unklar ist. Ziel für die Zukunft muss es sein, die Verfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen. Ich kenne das Hofglück-Projekt schon lange, habe vor fünf Jahren um Ulm herum die Höfe besucht. Das ist ein Pionier-Projekt, bei dem die Landwirte sich auf den Weg gemacht haben und z.B. freies Abferkeln und Außenauslauf individuell ausprobiert haben. Solche Ställe sind Modellställe, die schon mal vorangehen. Mir ist ebenfalls bewusst: Die Branche kann nicht von jetzt auf gleich umbauen. Aber es muss Vorzeigeprojekte geben – nur dann kann sich für die Zukunft etwas verändern. Und es müssen ernsthafte Verbesserungen für die Tiere dabei sein. Schließlich muss die Politik sich auch vor der Gesellschaft verantworten und da sind die Maßstäbe eben hoch.

Frau Nick, ärgert sie das noch verbliebene Übergewicht von Fleisch in der Ernährung? Würden Sie das ändern wollen? Oder müssen wir es gar ändern?
Nick:
Das hat nicht unmittelbar etwas mit Fleisch zu tun. Ernährungsbedingte Erkrankungen haben einen hohen Anteil in der deutschen Bevölkerung. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben Übergewicht. Ernährung ist hier ein Schlüssel. Mein Fazit lautet: Wir brauchen mehr Ernährungswissen und eine bessere Ernährungsbildung. Übrigens nicht erst in der Schule, sondern schon in der Kita. Wir wollen eine gute und gesunde Ernährung für alle. Das heißt, dass sich vor allem die Gemeinschaftsverpflegung verbessern muss. Das ist wichtig, weil sie mit Kindergärten, Seniorenheimen und Krankenhäusern eine große Bandbreite hat. Wir möchten ökologisch und regional erzeugte Lebensmittel unterstützen und diese verstärkt in der Gemeinschaftsverpflegung anbieten.
Dhem: Dann bringen sie bitte das Fach „Ernährung“ wieder an die Schulen. Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder wissen, was sie essen. Das Thema muss als Bildungsaufgabe begriffen werden.

Frau Dhem: Wird das Kerngeschäft in Ihrem Unternehmen immer im Fleischbereich liegen? Oder können Sie sich pflanzenbasierte Produkte für die Zukunft vorstellen?
Dhem:
Für uns als Unternehmen wird sich definitiv nichts ändern. Wir wollen das machen, wo wir uns auskennen, was wir gelernt haben und wo andere unsere Kompetenz sehen. Mit der Haltungsstufe 4 gehen wir neue Wege. Als Branche müssen wir generell immer schauen, was die Kunden möchten und was sie wirklich konsumieren wollen. Jedes Unternehmen muss jetzt schauen, was zu ihm passt und welche Ausrichtung wird es in zehn Jahren haben. Am besten besteht ein Unternehmen am Markt, wenn es Gewinn abwirft. Und da liegt unsere wichtigste Aufgabe: Geld verdienen, damit in Mitarbeiter und Zukunft investiert werden kann.
Pöschel: Wir beschäftigen uns seit sechs Jahren mit der Thematik und haben sogenannte Vegietheken in unseren Fleisch-, Wurst- und Käseabteilungen integriert. Wir bieten dort vegane und vegetarische Produkte an und waren damit gleich von Beginn an erfolgreich. Dann ging die Nachfrage zunächst ein wenig herunter. Erst mit dem „Fridays for Future-Effekt“ kam wieder Schwung in die Thematik. Während der Corona-Pandemie 2020 haben die Produkte ein Umsatzplus von 50 Prozent erzielt. In diesem Jahr haben wir nochmal eine Steigerung von 30 Prozent erreicht.

Herr Beringsmeier: Wie müssen sich Landwirte vor diesem Hintergrund umorientieren? Bei gutem Willen, sind ja auch Chancen erkennbar…
Beringmeier:
Wir als Landwirte schreiben dem Verbraucher nicht vor, was er zu essen hat. Wir Landwirte können alle Gruppen bedienen, denn der Ursprung sind immer landwirtschaftliche Produkte. Es gibt große Chancen. Wir fordern aber vom gesamten deutschen LEH ein klares Bekenntnis zu Fleisch aus deutscher Herkunft. Unsere Tierhalter brauchen Planungssicherheit. Unsere Verbraucher wollen Tierwohl-Ware aus regionaler Erzeugung.

Herr Beringsmeier, wie denken Sie über Fairness in der Wertschöpfungskette?
Beringmeier:
Im Moment wird viel über Fairness diskutiert. Für mich als Landwirt ist es im Moment nicht fair. Im Moment kommen wir mit den aktuellen Preisen nicht klar. Ich muss aber auch fairerweise sagen, dass im Handel erkannt wird, dass wir stärker zusammenarbeiten müssen, weil es der Verbraucher auch wünscht. Ich sehe das als Chance, weil es der einzige Weg ist, den wir auch haben.
Pöschel: Wir sind da klar und vergüten den Landwirten den höheren Aufwand mit einem fairen Preis. Das heißt konkret: Edeka Südwest Fleisch zahlt den Bauern Konditionen, die weit über dem Marktpreis liegen. Dazu zählen Boni und Mindestpreise. Anfang dieses Jahres haben wir neue Verträge mit den Mästern unseres Markenprogramms Gutfleisch abgeschlossen. Hier haben wir eine Preisuntergrenze von 1,40 Euro pro Kilogramm Schwein festgelegt.
Beringmeier: Wir haben leider nicht die Lösung für die breite Masse. Wir brauchen wieder mehr Planungssicherheit. Die Erzeugerpreise sind im Moment nicht einmal kostendeckend. Außerdem brauchen die Landwirte eine langfristige Abnahmegarantie, dass sie ihre Tiere künftig auch für einen deutlich höheren Preis verkaufen können.
Dhem: Das Thema Planungssicherheit ist ein ganz großes Thema. Es ist immer eine große Forderung der Landwirte. Wir haben als Unternehmer aber auch keine Planungssicherheit. Wir treffen auch als Unternehmer immer strategische Entscheidungen. Ob das richtig ist oder nicht, das weiß ich immer erst 10 Jahre später. Das fehlt mir manchmal auf der landwirtschaftlichen Seite. Mir ist vor allem wichtig, dass hier gehandelt wird.

Sollte Fleisch teurer werden?
Nick:
Ich bin der Meinung, dass Fleisch teurer werden muss, da es unter Wert verkauft wird. Es muss aber überlegt werden, wie und ob das sozial abgefedert werden muss. Dennoch ist der Fleischverbrauch zu hoch. Zu viel Fleisch ist auch nicht gut – hier gibt es genügend Studien, die dies belegen.
Dhem: Dabei ist es wichtig, dass wir nicht nur von Fleisch reden, sondern auch von Fleisch und Verarbeitungsware. Wir müssen über alles reden, was aus dem Tier gemacht wird.
Beringmeier: Wenn die Politik beschließt, dass Fleisch ungesund ist, dass wäre für unsere Branche eine Katastrophe. Wir sind nicht dafür verantwortlich, dass Erkrankungen auftreten.
Nick: Das wäre auch unfair zu unterstellen. Es gibt ganz klar Studien, was gesund ist und was nicht. Und es geht vor allem um das Maß der Dinge. Die Kunden wollen ehrliche und nachvollziehbare Programme. Dann sind sie auch bereit, einen Aufschlag zu zahlen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Branche?
Dhem:
Wir müssen wieder stolz auf unsere Arbeit sein. Wir stellen hervorragende Lebensmittel her, natürlich in unterschiedlichen Qualitätsstufen, aber immer sicher. Als Branche schaffen wir es, alle Menschen zu ernähren – und für jeden Geldbeutel ein Angebot zu machen.
Beringmeier: Ich wünsche ich mir noch mehr Regionalität und einen stärkeren Kontakt zwischen Verbrauchern und Erzeugern.

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