Kakaofrucht statt Zucker So sieht die Schokolade der Zukunft aus

Forscher aus Zürich haben eine neuartige Schokolade entwickelt. Sie kommt ohne Kristallzucker aus und nutzt mehr von der Kakaofrucht. Das Produkt soll klimaschonender als normale Schokolade sein.

Montag, 07. Oktober 2024, 06:00 Uhr
Manuel Glasfort
Artikelbild So sieht die Schokolade der Zukunft aus
Die Kakaobohnen machen nur einen kleinen Teil der ganzen Frucht aus. Bildquelle: Getty Images

Genuss ohne Reue oder zumindest mit ­weniger Reue – das verspricht eine neuartige Schokolade, die Schweizer Forscher entwickelt haben und die nicht nur gesünder, sondern auch umweltschonender als die herkömmliche Alternative sein soll. Die neue Schokolade entstand an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich in Zusammenarbeit mit dem Start-up Koa und dem Schweizer Schokoladenhersteller Felchlin. Die Wissenschaftler stellten ihr Projekt in einer Studie im Magazin „Nature Food“ vor. „Das Ziel war klar, mehr von der Kakaofrucht zu verwerten“, erklärt Kim Mishra von der ETH, Hauptautor der Studie.

Durch die Verwendung von Fruchtfleisch könnte der Flächenverbrauch für den Kakaoanbau gesenkt werden. Herkömmliche Schokolade nutzt hauptsächlich die Kakaobohnen, die lediglich ein Viertel des Gewichts der ganzen Kakaofrucht ausmachen. Das führt zu einem hohen Flächenbedarf und entsprechenden Treibhausgasemissionen. Der CO2-Fußabdruck eines Kilogramms dunkler Schokolade wird auf bis zu 46,7 Kilogramm CO2-Äquivalent taxiert. Der Löwenanteil dieser Emissionen ist auf den Anbau zurückzuführen, nicht auf Transport und Weiterverarbeitung. „Wenn wir von der auf unserer Kakaoplantage gewonnenen Biomasse nur 25 Prozent brauchen, dann schlägt das gleich vierfach zu Buche“, sagt Mishra. Die neue Rezeptur verspricht, diese Umweltauswirkungen zu reduzieren, indem sie auch einen bisher ungenutzten Teil der Schale der Kakaofrucht verwendet, das Fruchtfleisch, auch Endokarp genannt.

20

Prozent mehr Ballaststoffe enthält die neue Schoki.

30

Prozent weniger gesättigte Fettsäuren sind enthalten.

20

Prozent Gelee, höher sollte der Anteil nicht sein.

40

Prozent Kristallzucker kann normale Zartbitterschokolade enthalten.

Quelle: ETH Zürich

Bei konventioneller Schokolade setzen die Hersteller Kristallzucker für die Süße hinzu. Die Forscher um Mishra haben einen Weg gefunden, den Kristallzucker mit einem Kakaogelee, das aus Bestandteilen der Frucht gewonnen wird, zu ersetzen. „In unserer Analyse der Frucht haben wir gesehen, dass ein Teil der Frucht einen sehr hohen Pektinanteil hat“, berichtet Mishra. Dabei handelt es sich um das besagte Endokarp. Die Süße steuert die Pulpe bei, die Schicht, die die Bohnen umhüllt. Aus der Pulpe wird ein süßer Saft gewonnen. Das Problem: Wasser und Schokolade vertragen sich nicht. Üblicherweise verklumpt Schokolade, wenn ihr Wasser zugefügt wird. „Unsere Entdeckung war, dass das Wasser durch die Pektine in einer Art gebunden werden kann, dass es trotzdem der Schokolade zugesetzt werden kann“, sagt Mishra. Das Endokarp wird zunächst getrocknet und zu Pulver vermahlen. Anschließend wird Pulpensaft hinzugefügt. So entsteht das süßende Kakaogelee.

Die Kakaofruchtschokolade ist dabei nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch für den Verbraucher weniger ungesund. Sie enthält nach Angaben der Forscher 20 Prozent mehr Ballaststoffe und 30 Prozent weniger gesättigte Fettsäuren als konventionelle dunkle Schokolade. „Nahrungsfasern regulieren die Darmaktivität auf natürliche Weise und lassen den Blutzuckerspiegel beim Verzehr von Schokolade weniger schnell ansteigen“, erläutert Mishra. Zudem könnte ein erhöhter Konsum gesättigter Fettsäuren mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung stehen.

Zudem könnte die neue Rezeptur den Kakaobauern zugutekommen. Durch die Vermarktung weiterer Fruchtbestandteile könnten sie ihr Einkommen diversifizieren. „Die Bauern könnten also neben dem Handel mit Kakaobohnen auch den Saft aus der Pulpe sowie das Endokarp trocknen, es zu Pulver mahlen und verkaufen“, erklärt Mishra. Dies dürfte die Nachhaltigkeit des Kakaoanbaus verbessern.

Die Entwicklung der optimalen Zusam­men­setzung stellte eine Herausforderung für die Forscher dar. Zu viel des aus der Pulpe gewonnenen Fruchtsafts lässt die Schokolade verklum­pen, zu wenig davon macht sie nicht genügend süß. Daher mussten die Wissenschaftler die goldene Mitte finden. Das Ergebnis: In Laborversuchen fanden die Forscher heraus, dass sie maximal 20 Prozent Gelee aus Fruchtfleisch und Pulpe beifügen können, ohne die Konsistenz der Schokolade zu beeinträchtigen. Dies entspricht von der Süßkraft her einer Schokolade mit etwa 5 bis 10 Prozent Kristallzucker. Zum Vergleich: Einer herkömmlichen Zartbitterschokolade werden oft 30 bis 40 Prozent Kristallzucker zugesetzt.

Um die Süßkraft der neuen Rezeptur zu ermitteln, führten die Forscher eine Sensorik-Studie durch. Geschulte Panelisten der Berner Fachhochschule verkosteten dabei Schokoladenstücke, die entweder mit Kristallzucker oder dem neu entwickelten Kakaogelee gesüßt waren. So konnten die Wissenschaftler die Süßkraft ihrer Rezeptur empirisch bestimmen.

Kakaofruchtschokolade

Fruchtigerer Geschmack

Und wie schmeckt die neuartige Schokolade? Die Textur komme der von konventioneller Schokolade sehr nahe, meint Mishra. Geschmack­lich gebe es allerdings Unterschiede: So sei die Kakaofruchtschokolade fruchtiger als gewöhnliche Schokolade. „Hinzu kommt, dass die Süße sich im Mund langsamer aufbaut als bei Kristallzucker.“

Bis die Kakaofruchtschokolade in den Handel kommt, wird es noch dauern. „Wir müssen erst die gesamte Wertschöpfungskette vervollständigen“, sagt Mishra. Dies beginnt bei den Kakaobauern, die Trocknungsanlagen benötigen, und reicht bis zur Herstellung ausreichen­der Mengen des Pulvers durch Lebensmittel verarbeitende Betriebe. Erst dann kann die Kakaofruchtschokolade in größerem Maßstab durch einen Schokoladenproduzenten herge­stellt und vermarktet werden.

Hersteller zeigen bereits Interesse

An mangelndem Interesse der Hersteller sollte die Marktreife jedenfalls nicht scheitern. Er sei nach Veröffentlichung des Artikels in „Nature Food“ von verschiedenen Herstellern kontaktiert worden, berichtet Mishra. Darunter seien vor allem kleine und mittelständische Unternehmen gewesen. Insbesondere in den Anbaulän­dern sei das Interesse groß, denn dort müsse die Verarbeitung von Pulpe und Endokarp stattfinden.

Die ETH Zürich hat die Rezeptur bereits zum Patent angemeldet. Insgesamt sehen die Forscher in der Entwicklung der Kakaofruchtschokolade ein vielversprechendes Beispiel dafür, wie Technologie, Ernährung, Umweltver­träglichkeit und Einkommensdiversifizierung für Kleinbauern zusammenwirken können, um die gesamte Wertschöpfungskette des Kakaos zu verbessern. Das sind gute Nachrichten für alle Schokoladenfans, die klima- und umweltfreund­licher snacken wollen.

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